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Burdel, Édouard: Die Trunksucht. (Übers. Heinrich Gauss). Weimar, 1855.

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Seele mehr. Das Getränk hat dieselbe anfangs zusammenschrumpfen lassen, dann völlig zum Verschwinden gebracht und ihren bisherigen Inhaber so endlich in einen gemischten Zustand versetzt, der die Mitte hält zwischen dem Thiere und der todten Materie.

Und dennoch flößt dieser Mensch mir das tiefste Mitleid ein; auch geziemt es der öffentlichen Gesellschaft, daß sie ihm die Hand biete und sich keine Mühe verdrießen lasse, um, durch Benutzung einiger ihn noch durchzuckenden Vernunftblitze, ihn um jeden Preis dem schmutzigen Pfade zu entreißen, auf welchen sein böser Dämon ihn geführt hat.

Hat also einen solchen Menschen die Trägheit heute in's Wirthshaus gebracht, so wird die Leidenschaft ihn morgen wieder den Weg dahin weisen, die Leidenschaft, sage ich, dieses unerklärbare, unwiderstehliche Etwas, das selbst mehr als Bedürfniß ist, mehr Anziehungskraft als der Magnet zeigt, dieses Etwas, das sich mit Grund dem Schwindel, den man am Rande eines Abgrundes empfindet, vergleichen läßt.

Einmal auf diesen Weg gelangt, ist es um den Menschen geschehen, er ist unrettbar verloren; denn dort findet er sich zugleich durch andere Leidenschaften festgebannt, und mit diesen Leidenschaften stellen sich auch die Laster ein, welche gleichsam die Hefe derselben bilden. Das Spiel und die Lüderlichkeit werden die ersten Stufen sein, welche ihn unfehlbar zum Verbrechen führen. Ich sage, zum Verbrechen, denn Jedermann weiß aus den Gerichtsannalen, daß neunzehn Zwanzigstel Derjenigen, welche vor die verschiedenen Gerichtshöfe, von dem einfachen Friedens- und Polizei-Gericht hinauf bis zu den Assisen, gebracht werden, dahin mittelbar oder unmittelbar durch den Soff gelangen. Man frage einmal bei den Gerichtsbehörden nach, wie viele Urtheile wegen Thätlichkeiten, Schläge, Wunden, willkürlicher und unwillkürlicher Tödtungen, welche in der Trunksucht ihre Veranlassungsursachen fanden, gesprochen wurden. Man erkundige sich gleicherweise, wie viele Ehescheidungs-Processe,

Seele mehr. Das Getränk hat dieselbe anfangs zusammenschrumpfen lassen, dann völlig zum Verschwinden gebracht und ihren bisherigen Inhaber so endlich in einen gemischten Zustand versetzt, der die Mitte hält zwischen dem Thiere und der todten Materie.

Und dennoch flößt dieser Mensch mir das tiefste Mitleid ein; auch geziemt es der öffentlichen Gesellschaft, daß sie ihm die Hand biete und sich keine Mühe verdrießen lasse, um, durch Benutzung einiger ihn noch durchzuckenden Vernunftblitze, ihn um jeden Preis dem schmutzigen Pfade zu entreißen, auf welchen sein böser Dämon ihn geführt hat.

Hat also einen solchen Menschen die Trägheit heute in’s Wirthshaus gebracht, so wird die Leidenschaft ihn morgen wieder den Weg dahin weisen, die Leidenschaft, sage ich, dieses unerklärbare, unwiderstehliche Etwas, das selbst mehr als Bedürfniß ist, mehr Anziehungskraft als der Magnet zeigt, dieses Etwas, das sich mit Grund dem Schwindel, den man am Rande eines Abgrundes empfindet, vergleichen läßt.

Einmal auf diesen Weg gelangt, ist es um den Menschen geschehen, er ist unrettbar verloren; denn dort findet er sich zugleich durch andere Leidenschaften festgebannt, und mit diesen Leidenschaften stellen sich auch die Laster ein, welche gleichsam die Hefe derselben bilden. Das Spiel und die Lüderlichkeit werden die ersten Stufen sein, welche ihn unfehlbar zum Verbrechen führen. Ich sage, zum Verbrechen, denn Jedermann weiß aus den Gerichtsannalen, daß neunzehn Zwanzigstel Derjenigen, welche vor die verschiedenen Gerichtshöfe, von dem einfachen Friedens- und Polizei-Gericht hinauf bis zu den Assisen, gebracht werden, dahin mittelbar oder unmittelbar durch den Soff gelangen. Man frage einmal bei den Gerichtsbehörden nach, wie viele Urtheile wegen Thätlichkeiten, Schläge, Wunden, willkürlicher und unwillkürlicher Tödtungen, welche in der Trunksucht ihre Veranlassungsursachen fanden, gesprochen wurden. Man erkundige sich gleicherweise, wie viele Ehescheidungs-Processe,

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[41/0051] Seele mehr. Das Getränk hat dieselbe anfangs zusammenschrumpfen lassen, dann völlig zum Verschwinden gebracht und ihren bisherigen Inhaber so endlich in einen gemischten Zustand versetzt, der die Mitte hält zwischen dem Thiere und der todten Materie. Und dennoch flößt dieser Mensch mir das tiefste Mitleid ein; auch geziemt es der öffentlichen Gesellschaft, daß sie ihm die Hand biete und sich keine Mühe verdrießen lasse, um, durch Benutzung einiger ihn noch durchzuckenden Vernunftblitze, ihn um jeden Preis dem schmutzigen Pfade zu entreißen, auf welchen sein böser Dämon ihn geführt hat. Hat also einen solchen Menschen die Trägheit heute in’s Wirthshaus gebracht, so wird die Leidenschaft ihn morgen wieder den Weg dahin weisen, die Leidenschaft, sage ich, dieses unerklärbare, unwiderstehliche Etwas, das selbst mehr als Bedürfniß ist, mehr Anziehungskraft als der Magnet zeigt, dieses Etwas, das sich mit Grund dem Schwindel, den man am Rande eines Abgrundes empfindet, vergleichen läßt. Einmal auf diesen Weg gelangt, ist es um den Menschen geschehen, er ist unrettbar verloren; denn dort findet er sich zugleich durch andere Leidenschaften festgebannt, und mit diesen Leidenschaften stellen sich auch die Laster ein, welche gleichsam die Hefe derselben bilden. Das Spiel und die Lüderlichkeit werden die ersten Stufen sein, welche ihn unfehlbar zum Verbrechen führen. Ich sage, zum Verbrechen, denn Jedermann weiß aus den Gerichtsannalen, daß neunzehn Zwanzigstel Derjenigen, welche vor die verschiedenen Gerichtshöfe, von dem einfachen Friedens- und Polizei-Gericht hinauf bis zu den Assisen, gebracht werden, dahin mittelbar oder unmittelbar durch den Soff gelangen. Man frage einmal bei den Gerichtsbehörden nach, wie viele Urtheile wegen Thätlichkeiten, Schläge, Wunden, willkürlicher und unwillkürlicher Tödtungen, welche in der Trunksucht ihre Veranlassungsursachen fanden, gesprochen wurden. Man erkundige sich gleicherweise, wie viele Ehescheidungs-Processe,

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Zitationshilfe: Burdel, Édouard: Die Trunksucht. (Übers. Heinrich Gauss). Weimar, 1855, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdel_trunksucht_1855/51>, abgerufen am 29.04.2024.