Busoni, Ferruccio: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. 2. Aufl. Leipzig, [1916].
Der Name Wagner führt zur Programmusik zurück. Jedes Motiv - so will es mir scheinen - enthält wie 1
"- - - Beethoven, dont les esquisses thematiques ou elementaires Vincent d'Indy in " Cesar Franck."
Der Name Wagner führt zur Programmusik zurück. Jedes Motiv – so will es mir scheinen – enthält wie 1
»– – – Beethoven, dont les esquisses thématiques ou élémentaires Vincent d’Indy in „ César Franck.“ <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0013" n="13"/><q>„Er gibt uns zugleich mit dem Problem auch die Lösung“</q>,<lb/> wie ich einmal von <persName>Mozart</persName> sagte. Die Wege, die uns <persName>Beet-<lb/> hoven</persName> eröffnet, können nur von Generationen zurückgelegt<lb/> werden. Sie mögen – wie alles im Weltsystem – nur<lb/> einen Kreis bilden; dieser ist aber von solchen Dimensionen,<lb/> daß der Teil, den wir von ihm sehen, uns als gerade Linie<lb/> erscheint. <persName>Wagners</persName> Kreis überblicken wir vollständig. –<lb/> Ein Kreis im großen Kreise.</p><lb/> <p>Der Name <persName>Wagner</persName> führt zur Programmusik zurück.<lb/> Sie ist als ein Gegensatz zur sogenannten „absoluten“<lb/> Musik aufgestellt worden, und die Begriffe haben sich so ver-<lb/> härtet, daß selbst die Verständigen sich an den einen oder<lb/> den anderen Glauben halten, ohne eine dritte, außer und<lb/> über den beiden liegende Möglichkeit anzunehmen. In<lb/> Wirklichkeit ist die Programmusik ebenso einseitig und<lb/> begrenzt wie das als absolute Musik verkündete, von <persName>Hans-<lb/> lick</persName> verherrlichte Klang-Tapetenmuster <note resp="#MF" type="editorial"><persName>Busoni</persName> verweist mit dieser (erst der Fassung von 1916 hinzugefügten) polemischen Formulierung auf <persName>Eduard Hanslicks</persName> musikästhetische Schrift <title type="main">Vom Musikalisch-Schönen</title>. <persName>Hanslick</persName> postuliert darin eine sich ausschließlich in Musik äußernde und den Geist anregende <q>„Schönheit“</q> als oberstes kompositorisches Prinzip. Besonders die häufig als Formalismus missverstandene Formulierung <cit><quote>„Tönend bewegte Formen sind einzig und allein Inhalt und Gegenstand der Musik“</quote><bibl>(1. Auflage, 1854)</bibl></cit> und die mit der zentralen Kategorie der Schönheit einhergehende stilistische Einschränkung mögen bei <persName>Busoni</persName> auf Unwillen gestoßen sein. Das <q>„Klang-Tapetenmuster“</q> ist als bissige Anspielung auf die bei <persName>Hanslick</persName> als Vorbild für musikalische Schönheit angeführte Form der <q>„Arabeske“</q> zu verstehen.</note>. Anstatt architektoni-<lb/> scher und symmetrischer Formeln, anstatt der Tonika- und<lb/> Dominantenverhältnisse hat sie das bindende dichterische, zu-<lb/> weilen gar philosophische Programm als wie eine Schiene<lb/> sich angeschnürt.</p><lb/> <p>Jedes Motiv – so will es mir scheinen – enthält wie<lb/> ein Samen seinen Trieb in sich. Verschiedene Pflanzen-<lb/> samen treiben verschiedene Pflanzenarten, an Form, Blät-<lb/> tern, Blüten, Früchten, Wuchs und Farben voneinander<lb/> abweichend. <note place="foot" n="1"><cit><quote><hi rendition="#aq">»– – – <persName>Beethoven</persName>, dont les esquisses thématiques ou élémentaires<lb/> sont innombrables, mais qui, sitôt les thèmes <choice><sic>trouves</sic><corr>trouvés</corr></choice>, semble par cela<lb/> même en avoir établi tout le développement –«</hi></quote><lb/><bibl rendition="#et"><author><persName>Vincent d’Indy</persName></author> in <title type="main">„ <persName>César Franck</persName>.“</title> </bibl></cit></note> </p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [13/0013]
„Er gibt uns zugleich mit dem Problem auch die Lösung“,
wie ich einmal von Mozart sagte. Die Wege, die uns Beet-
hoven eröffnet, können nur von Generationen zurückgelegt
werden. Sie mögen – wie alles im Weltsystem – nur
einen Kreis bilden; dieser ist aber von solchen Dimensionen,
daß der Teil, den wir von ihm sehen, uns als gerade Linie
erscheint. Wagners Kreis überblicken wir vollständig. –
Ein Kreis im großen Kreise.
Der Name Wagner führt zur Programmusik zurück.
Sie ist als ein Gegensatz zur sogenannten „absoluten“
Musik aufgestellt worden, und die Begriffe haben sich so ver-
härtet, daß selbst die Verständigen sich an den einen oder
den anderen Glauben halten, ohne eine dritte, außer und
über den beiden liegende Möglichkeit anzunehmen. In
Wirklichkeit ist die Programmusik ebenso einseitig und
begrenzt wie das als absolute Musik verkündete, von Hans-
lick verherrlichte Klang-Tapetenmuster . Anstatt architektoni-
scher und symmetrischer Formeln, anstatt der Tonika- und
Dominantenverhältnisse hat sie das bindende dichterische, zu-
weilen gar philosophische Programm als wie eine Schiene
sich angeschnürt.
Jedes Motiv – so will es mir scheinen – enthält wie
ein Samen seinen Trieb in sich. Verschiedene Pflanzen-
samen treiben verschiedene Pflanzenarten, an Form, Blät-
tern, Blüten, Früchten, Wuchs und Farben voneinander
abweichend. 1
1 »– – – Beethoven, dont les esquisses thématiques ou élémentaires
sont innombrables, mais qui, sitôt les thèmes trouvés, semble par cela
même en avoir établi tout le développement –«
Vincent d’Indy in „ César Franck.“
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Zitationshilfe: | Busoni, Ferruccio: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. 2. Aufl. Leipzig, [1916], S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/busoni_entwurf_1916/13>, abgerufen am 27.07.2024. |