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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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des Verfassers
(damit es nicht scheinen möge, als wenn sie dieses ohne Grund behaupteten)
eine lange Reihe tatarischer Chane; sie stimmen aber weder in den Angebun-
gen der Jahre, noch in den Begebenheiten, mit einander überein. Nicephorus
Gregoras saget: Dschingjiß Chan (den er Sitzischan nennet) sey um das
Jahr 1222 (vielmehr im Jahre 1216, wie wir gezeiget haben) unter der
Regierung Johann Dukas aufgestanden. Als Dschingjiß Chan, heißet es bey
ihm weiter, mit Tode abging: so hinterließ er zweene Söhne, Chalaos und
Telepugas. Chalaos ließ die kaspische See und den Fluß Jaxartes gegen
Norden hinter sich, und zog sich durch das niedere Asien herunter. Telepugas
hingegen, nachdem er sein Reich gegründet hatte, wendete sich gegen Süden,
ging über die kaukasischen Gebirge und die kaspische See, zog durch das Gebiet
der Sauromaten und Messageten, und brachte nicht allein dieselben, sondern
auch alle diejenigen Völker, die um den möotischen Sumpf und den Don herum
wohneten, unter seine Gewalt. Lonicer, der Dschingjiß Chans Zug in das
Jahr 1202 setzet, erzählet; nachdem derselbe das indianische Reich zerstöret:
so habe er das Reich der großen Tataren gestiftet, und zwölf Jahre lang in Asien
regieret. Er hatte zum Nachfolger (fähret derselbe fort) seinen Sohn Hoca-
tan; und dieser Madschußchan, der den Christen im Jahre 1260 Antiochia
wegnahm. Als Madschußchan starb: so regierete Helio; und nach demsel-
ben, im Jahre 1280, Abusaga. Dieser letztere hatte zum Nachfolger Tana-
godorus, der die christliche Religion annahm und Nikolaus genennet wurde;
er kehrete aber wieder zu seinem vorigen Aberglauben zurück, und ließ sich
(wie er saget) Muhämmed nennen. Battus war dessen Nachfolger; er wurde
aber von Casan, Argos Sohne, vom Throne gestoßen, der im Jahre 1310
ganz Syrien überschwemmete. Nach Casan kam Carbadagrus; und als
unter diesem das Reich der Tatarn in Verfall geriethe: so wurde dagegen
das othomanische Reich aufgerichtet. Diese Reihe der tatarischen Könige hin-
durch rechnet Lonicer hundert und acht Jahre; andere aber, acht und neunzig
Jahre. Allein, alle die vorhin angeführten Namen zu übergehen, die in der
türkischen Sprache und Geschichte gänzlich unbekannt und fremd sind: so sind
alle diejenigen, die geschriebene Geschichte von morgenländischen Völkern hinter-

lassen
f 3

des Verfaſſers
(damit es nicht ſcheinen moͤge, als wenn ſie dieſes ohne Grund behaupteten)
eine lange Reihe tatariſcher Chane; ſie ſtimmen aber weder in den Angebun-
gen der Jahre, noch in den Begebenheiten, mit einander uͤberein. Nicephorus
Gregoras ſaget: Dſchingjiß Chan (den er Sitzischan nennet) ſey um das
Jahr 1222 (vielmehr im Jahre 1216, wie wir gezeiget haben) unter der
Regierung Johann Dukas aufgeſtanden. Als Dſchingjiß Chan, heißet es bey
ihm weiter, mit Tode abging: ſo hinterließ er zweene Soͤhne, Chalaos und
Telepugas. Chalaos ließ die kaſpiſche See und den Fluß Jaxartes gegen
Norden hinter ſich, und zog ſich durch das niedere Aſien herunter. Telepugas
hingegen, nachdem er ſein Reich gegruͤndet hatte, wendete ſich gegen Suͤden,
ging uͤber die kaukaſiſchen Gebirge und die kaſpiſche See, zog durch das Gebiet
der Sauromaten und Meſſageten, und brachte nicht allein dieſelben, ſondern
auch alle diejenigen Voͤlker, die um den moͤotiſchen Sumpf und den Don herum
wohneten, unter ſeine Gewalt. Lonicer, der Dſchingjiß Chans Zug in das
Jahr 1202 ſetzet, erzaͤhlet; nachdem derſelbe das indianiſche Reich zerſtoͤret:
ſo habe er das Reich der großen Tataren geſtiftet, und zwoͤlf Jahre lang in Aſien
regieret. Er hatte zum Nachfolger (faͤhret derſelbe fort) ſeinen Sohn Hoca-
tan; und dieſer Madſchußchan, der den Chriſten im Jahre 1260 Antiochia
wegnahm. Als Madſchußchan ſtarb: ſo regierete Helio; und nach demſel-
ben, im Jahre 1280, Abuſaga. Dieſer letztere hatte zum Nachfolger Tana-
godorus, der die chriſtliche Religion annahm und Nikolaus genennet wurde;
er kehrete aber wieder zu ſeinem vorigen Aberglauben zuruͤck, und ließ ſich
(wie er ſaget) Muhaͤmmed nennen. Battus war deſſen Nachfolger; er wurde
aber von Caſan, Argos Sohne, vom Throne geſtoßen, der im Jahre 1310
ganz Syrien uͤberſchwemmete. Nach Caſan kam Carbadagrus; und als
unter dieſem das Reich der Tatarn in Verfall geriethe: ſo wurde dagegen
das othomaniſche Reich aufgerichtet. Dieſe Reihe der tatariſchen Koͤnige hin-
durch rechnet Lonicer hundert und acht Jahre; andere aber, acht und neunzig
Jahre. Allein, alle die vorhin angefuͤhrten Namen zu uͤbergehen, die in der
tuͤrkiſchen Sprache und Geſchichte gaͤnzlich unbekannt und fremd ſind: ſo ſind
alle diejenigen, die geſchriebene Geſchichte von morgenlaͤndiſchen Voͤlkern hinter-

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[45/0051] des Verfaſſers (damit es nicht ſcheinen moͤge, als wenn ſie dieſes ohne Grund behaupteten) eine lange Reihe tatariſcher Chane; ſie ſtimmen aber weder in den Angebun- gen der Jahre, noch in den Begebenheiten, mit einander uͤberein. Nicephorus Gregoras ſaget: Dſchingjiß Chan (den er Sitzischan nennet) ſey um das Jahr 1222 (vielmehr im Jahre 1216, wie wir gezeiget haben) unter der Regierung Johann Dukas aufgeſtanden. Als Dſchingjiß Chan, heißet es bey ihm weiter, mit Tode abging: ſo hinterließ er zweene Soͤhne, Chalaos und Telepugas. Chalaos ließ die kaſpiſche See und den Fluß Jaxartes gegen Norden hinter ſich, und zog ſich durch das niedere Aſien herunter. Telepugas hingegen, nachdem er ſein Reich gegruͤndet hatte, wendete ſich gegen Suͤden, ging uͤber die kaukaſiſchen Gebirge und die kaſpiſche See, zog durch das Gebiet der Sauromaten und Meſſageten, und brachte nicht allein dieſelben, ſondern auch alle diejenigen Voͤlker, die um den moͤotiſchen Sumpf und den Don herum wohneten, unter ſeine Gewalt. Lonicer, der Dſchingjiß Chans Zug in das Jahr 1202 ſetzet, erzaͤhlet; nachdem derſelbe das indianiſche Reich zerſtoͤret: ſo habe er das Reich der großen Tataren geſtiftet, und zwoͤlf Jahre lang in Aſien regieret. Er hatte zum Nachfolger (faͤhret derſelbe fort) ſeinen Sohn Hoca- tan; und dieſer Madſchußchan, der den Chriſten im Jahre 1260 Antiochia wegnahm. Als Madſchußchan ſtarb: ſo regierete Helio; und nach demſel- ben, im Jahre 1280, Abuſaga. Dieſer letztere hatte zum Nachfolger Tana- godorus, der die chriſtliche Religion annahm und Nikolaus genennet wurde; er kehrete aber wieder zu ſeinem vorigen Aberglauben zuruͤck, und ließ ſich (wie er ſaget) Muhaͤmmed nennen. Battus war deſſen Nachfolger; er wurde aber von Caſan, Argos Sohne, vom Throne geſtoßen, der im Jahre 1310 ganz Syrien uͤberſchwemmete. Nach Caſan kam Carbadagrus; und als unter dieſem das Reich der Tatarn in Verfall geriethe: ſo wurde dagegen das othomaniſche Reich aufgerichtet. Dieſe Reihe der tatariſchen Koͤnige hin- durch rechnet Lonicer hundert und acht Jahre; andere aber, acht und neunzig Jahre. Allein, alle die vorhin angefuͤhrten Namen zu uͤbergehen, die in der tuͤrkiſchen Sprache und Geſchichte gaͤnzlich unbekannt und fremd ſind: ſo ſind alle diejenigen, die geſchriebene Geſchichte von morgenlaͤndiſchen Voͤlkern hinter- laſſen f 3

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/51>, abgerufen am 26.04.2024.