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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820.

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der Menschheit nach den ihnen einwohnenden ewigen Ge-
setzen, wo nur Glied an Glied sich reiht, und so ein großes
Ganzes weiter und weiter sich entwickelt.

§. 642.

Vergleichen wir nun aber das Hervorbilden des mensch-
lichen Organismus aus dem mütterlichen mit dem der Thiere
und Pflanzen, so ergiebt sich ein bedeutungsvoller Unter-
schied. -- In Pflanzen und Thieren nämlich ist das erste
Rudiment des neu zu bildenden Körpers anfänglich sehr
deutlich ein wahrer integrirender Theil des mütterlichen Kör-
pers, so in der Pflanzenblüthe der Fruchtknoten (Germen),
in den Thieren (z. B. in den Fischen und Amphibien) das
ohne Begattung, gleich jedem andern Eingeweide des Thier-
körpers entstehende Ey. -- In dem menschlichen Geschlechte
hingegen ist ein solcher dem Aelternkörper angehöriger, vor
der Begattung schon gebildeter Keim weit weniger nachzu-
weisen, vielmehr darf man wohl annehmen, daß der Keim
selbst erst das Produkt der Begattung sey, und er eben da-
durch um so viel freier und selbstständiger erscheinen müsse,
als im Gegentheil Thiere mit früher schon gebildeten Keimen
sich mehr der Fortpflanzungswelse der untersten Thierfamilien
z. B. der Polypen nähern, wo das Junge ohne alle Be-
gattung gleich einem Zweige aus dem Mutterkörper hervor-
sproßt.

§. 643.

Frägt man nach dem Speciellen des Vorganges bey
Hervorbildung dieses Keimes, so dürfen wir wohl, gestützt
auf die Vergleichung der Fortpflanzung anderer vegetabili-
scher und animalischer Körper behaupten, daß die Masse,
der Bildungsstoff, hergegeben werde von dem weiblichen
Körper, das Belebende, Begeistigende hingegen durch Ein-
wirkung des männlichen Körpers mitgetheilt werde. Wir
können es vergleichen einem Baume, welcher Blumen und
Früchte hervor treibt unter Einwirkung von Licht und Wärme,
oder der Erde selbst, deren organisches Leben wie das Hervor-

der Menſchheit nach den ihnen einwohnenden ewigen Ge-
ſetzen, wo nur Glied an Glied ſich reiht, und ſo ein großes
Ganzes weiter und weiter ſich entwickelt.

§. 642.

Vergleichen wir nun aber das Hervorbilden des menſch-
lichen Organismus aus dem muͤtterlichen mit dem der Thiere
und Pflanzen, ſo ergiebt ſich ein bedeutungsvoller Unter-
ſchied. — In Pflanzen und Thieren naͤmlich iſt das erſte
Rudiment des neu zu bildenden Koͤrpers anfaͤnglich ſehr
deutlich ein wahrer integrirender Theil des muͤtterlichen Koͤr-
pers, ſo in der Pflanzenbluͤthe der Fruchtknoten (Germen),
in den Thieren (z. B. in den Fiſchen und Amphibien) das
ohne Begattung, gleich jedem andern Eingeweide des Thier-
koͤrpers entſtehende Ey. — In dem menſchlichen Geſchlechte
hingegen iſt ein ſolcher dem Aelternkoͤrper angehoͤriger, vor
der Begattung ſchon gebildeter Keim weit weniger nachzu-
weiſen, vielmehr darf man wohl annehmen, daß der Keim
ſelbſt erſt das Produkt der Begattung ſey, und er eben da-
durch um ſo viel freier und ſelbſtſtaͤndiger erſcheinen muͤſſe,
als im Gegentheil Thiere mit fruͤher ſchon gebildeten Keimen
ſich mehr der Fortpflanzungswelſe der unterſten Thierfamilien
z. B. der Polypen naͤhern, wo das Junge ohne alle Be-
gattung gleich einem Zweige aus dem Mutterkoͤrper hervor-
ſproßt.

§. 643.

Fraͤgt man nach dem Speciellen des Vorganges bey
Hervorbildung dieſes Keimes, ſo duͤrfen wir wohl, geſtuͤtzt
auf die Vergleichung der Fortpflanzung anderer vegetabili-
ſcher und animaliſcher Koͤrper behaupten, daß die Maſſe,
der Bildungsſtoff, hergegeben werde von dem weiblichen
Koͤrper, das Belebende, Begeiſtigende hingegen durch Ein-
wirkung des maͤnnlichen Koͤrpers mitgetheilt werde. Wir
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[7/0029] der Menſchheit nach den ihnen einwohnenden ewigen Ge- ſetzen, wo nur Glied an Glied ſich reiht, und ſo ein großes Ganzes weiter und weiter ſich entwickelt. §. 642. Vergleichen wir nun aber das Hervorbilden des menſch- lichen Organismus aus dem muͤtterlichen mit dem der Thiere und Pflanzen, ſo ergiebt ſich ein bedeutungsvoller Unter- ſchied. — In Pflanzen und Thieren naͤmlich iſt das erſte Rudiment des neu zu bildenden Koͤrpers anfaͤnglich ſehr deutlich ein wahrer integrirender Theil des muͤtterlichen Koͤr- pers, ſo in der Pflanzenbluͤthe der Fruchtknoten (Germen), in den Thieren (z. B. in den Fiſchen und Amphibien) das ohne Begattung, gleich jedem andern Eingeweide des Thier- koͤrpers entſtehende Ey. — In dem menſchlichen Geſchlechte hingegen iſt ein ſolcher dem Aelternkoͤrper angehoͤriger, vor der Begattung ſchon gebildeter Keim weit weniger nachzu- weiſen, vielmehr darf man wohl annehmen, daß der Keim ſelbſt erſt das Produkt der Begattung ſey, und er eben da- durch um ſo viel freier und ſelbſtſtaͤndiger erſcheinen muͤſſe, als im Gegentheil Thiere mit fruͤher ſchon gebildeten Keimen ſich mehr der Fortpflanzungswelſe der unterſten Thierfamilien z. B. der Polypen naͤhern, wo das Junge ohne alle Be- gattung gleich einem Zweige aus dem Mutterkoͤrper hervor- ſproßt. §. 643. Fraͤgt man nach dem Speciellen des Vorganges bey Hervorbildung dieſes Keimes, ſo duͤrfen wir wohl, geſtuͤtzt auf die Vergleichung der Fortpflanzung anderer vegetabili- ſcher und animaliſcher Koͤrper behaupten, daß die Maſſe, der Bildungsſtoff, hergegeben werde von dem weiblichen Koͤrper, das Belebende, Begeiſtigende hingegen durch Ein- wirkung des maͤnnlichen Koͤrpers mitgetheilt werde. Wir koͤnnen es vergleichen einem Baume, welcher Blumen und Fruͤchte hervor treibt unter Einwirkung von Licht und Waͤrme, oder der Erde ſelbſt, deren organiſches Leben wie das Hervor-

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820/29>, abgerufen am 29.04.2024.