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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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wacht, bei diesem Wiederauftauchen nun immer in irgend
einer Beziehung anders geworden sein wird und daß sie
von da an nicht mehr vollständig der frühern Art gleiche.
In einzelnen Fällen ist die Vorstellung vielleicht in sich
potenzirt worden, hat an Schönheit, Größe und Mannich¬
faltigkeit der Beziehungen gewonnen, in andern wird sie
gleichsam zurückgegangen sein und an Schönheit, Fülle und
Mächtigkeit verloren haben. Hier ist nun, wo immer theils
die Beziehungen auf die Wesenheit des Individuums selbst,
theils aber auch der innigere Rapport den alles unbewußte
Seelenleben mit der gesammten äußern Natur hat, auf die
Umbildung und Ausbildung der Vorstellung hat einwirken
müssen. Je edler und höher daher die Grundidee dieses
Daseins, je feiner und vielseitiger der Rapport mit dem
Makrokosmus, desto bestimmter wird die Vorstellung, der
Gedanke -- durch jenes Versenken ins Unbewußtsein an
Ausbildung zunehmen, je geringer die Idee und je schwä¬
cher der allgemeine Rapport, desto eher kann auch die ein¬
zelne Vorstellung hiedurch ein Rückschreiten erfahren. Es
ist darum nicht ohne tiefern Grund, wenn schon von vielen
Künstlern -- Dichtern -- Denkern die Aeußerung gehört
wurde: "nur ein langes in der Seele Behalten eines
Grundgedankens zu irgend einem bedeutenden Werke habe
ihnen immer das Reifwerden desselben begünstigt -- und
jeder Versuch einen solchen Gedanken zu schnell in einem
Kunst- oder Wissenschaftswerke zur wirklichen Darstellung
zu bringen, habe immer der innern Vollendung eines sol¬
chen Werkes geschadet;" denn wenn auch bei dergleichen
natürlich das öftere erneute bewußte Durchdenken das Werk
wirklich und wesentlich fördert, so ist doch hiebei gewiß alle¬
mal noch mehr auf jenes unbewußte Wachsen der
Vorstellung im Innern
zu gehen. Gilt es doch übri¬
gens auch nicht bloß von einzelnen Vorstellungen, Gedan¬
ken und Gedankenfolgen, daß eine Rückkehr ins Unbewußte
sie steigert und kräftigt, es gilt eben so vom Individuum

wacht, bei dieſem Wiederauftauchen nun immer in irgend
einer Beziehung anders geworden ſein wird und daß ſie
von da an nicht mehr vollſtändig der frühern Art gleiche.
In einzelnen Fällen iſt die Vorſtellung vielleicht in ſich
potenzirt worden, hat an Schönheit, Größe und Mannich¬
faltigkeit der Beziehungen gewonnen, in andern wird ſie
gleichſam zurückgegangen ſein und an Schönheit, Fülle und
Mächtigkeit verloren haben. Hier iſt nun, wo immer theils
die Beziehungen auf die Weſenheit des Individuums ſelbſt,
theils aber auch der innigere Rapport den alles unbewußte
Seelenleben mit der geſammten äußern Natur hat, auf die
Umbildung und Ausbildung der Vorſtellung hat einwirken
müſſen. Je edler und höher daher die Grundidee dieſes
Daſeins, je feiner und vielſeitiger der Rapport mit dem
Makrokosmus, deſto beſtimmter wird die Vorſtellung, der
Gedanke — durch jenes Verſenken ins Unbewußtſein an
Ausbildung zunehmen, je geringer die Idee und je ſchwä¬
cher der allgemeine Rapport, deſto eher kann auch die ein¬
zelne Vorſtellung hiedurch ein Rückſchreiten erfahren. Es
iſt darum nicht ohne tiefern Grund, wenn ſchon von vielen
Künſtlern — Dichtern — Denkern die Aeußerung gehört
wurde: „nur ein langes in der Seele Behalten eines
Grundgedankens zu irgend einem bedeutenden Werke habe
ihnen immer das Reifwerden deſſelben begünſtigt — und
jeder Verſuch einen ſolchen Gedanken zu ſchnell in einem
Kunſt- oder Wiſſenſchaftswerke zur wirklichen Darſtellung
zu bringen, habe immer der innern Vollendung eines ſol¬
chen Werkes geſchadet;“ denn wenn auch bei dergleichen
natürlich das öftere erneute bewußte Durchdenken das Werk
wirklich und weſentlich fördert, ſo iſt doch hiebei gewiß alle¬
mal noch mehr auf jenes unbewußte Wachſen der
Vorſtellung im Innern
zu gehen. Gilt es doch übri¬
gens auch nicht bloß von einzelnen Vorſtellungen, Gedan¬
ken und Gedankenfolgen, daß eine Rückkehr ins Unbewußte
ſie ſteigert und kräftigt, es gilt eben ſo vom Individuum

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[86/0102] wacht, bei dieſem Wiederauftauchen nun immer in irgend einer Beziehung anders geworden ſein wird und daß ſie von da an nicht mehr vollſtändig der frühern Art gleiche. In einzelnen Fällen iſt die Vorſtellung vielleicht in ſich potenzirt worden, hat an Schönheit, Größe und Mannich¬ faltigkeit der Beziehungen gewonnen, in andern wird ſie gleichſam zurückgegangen ſein und an Schönheit, Fülle und Mächtigkeit verloren haben. Hier iſt nun, wo immer theils die Beziehungen auf die Weſenheit des Individuums ſelbſt, theils aber auch der innigere Rapport den alles unbewußte Seelenleben mit der geſammten äußern Natur hat, auf die Umbildung und Ausbildung der Vorſtellung hat einwirken müſſen. Je edler und höher daher die Grundidee dieſes Daſeins, je feiner und vielſeitiger der Rapport mit dem Makrokosmus, deſto beſtimmter wird die Vorſtellung, der Gedanke — durch jenes Verſenken ins Unbewußtſein an Ausbildung zunehmen, je geringer die Idee und je ſchwä¬ cher der allgemeine Rapport, deſto eher kann auch die ein¬ zelne Vorſtellung hiedurch ein Rückſchreiten erfahren. Es iſt darum nicht ohne tiefern Grund, wenn ſchon von vielen Künſtlern — Dichtern — Denkern die Aeußerung gehört wurde: „nur ein langes in der Seele Behalten eines Grundgedankens zu irgend einem bedeutenden Werke habe ihnen immer das Reifwerden deſſelben begünſtigt — und jeder Verſuch einen ſolchen Gedanken zu ſchnell in einem Kunſt- oder Wiſſenſchaftswerke zur wirklichen Darſtellung zu bringen, habe immer der innern Vollendung eines ſol¬ chen Werkes geſchadet;“ denn wenn auch bei dergleichen natürlich das öftere erneute bewußte Durchdenken das Werk wirklich und weſentlich fördert, ſo iſt doch hiebei gewiß alle¬ mal noch mehr auf jenes unbewußte Wachſen der Vorſtellung im Innern zu gehen. Gilt es doch übri¬ gens auch nicht bloß von einzelnen Vorſtellungen, Gedan¬ ken und Gedankenfolgen, daß eine Rückkehr ins Unbewußte ſie ſteigert und kräftigt, es gilt eben ſo vom Individuum

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/102>, abgerufen am 04.05.2024.