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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Anregungen des Seelenlebens, d. h. auf der Er¬
innerung
, alle Möglichkeit der höhern Ausbildung des
Bewußtseins. Wenn in der Seele nicht fest blieben die
Empfindungen von den mannichfachen Einwirkungen der
Außenwelt, wenn nicht dadurch es möglich würde gleich¬
zeitig
die Verschiedenheit dieser Einwirkungen anzu¬
schauen und dadurch zu einer Vergleichung derselben zu
gelangen, um aus dieser Vergleichung dann das Wissen
von einer Welt, im Gegensatz zum Individuum, möglich
zu machen, so würde es nimmermehr ein Bewußtsein, nicht
einmal als bloßes Weltbewußtsein geben können. Um dies
Festhalten, diese Erinnerung, recht zu verstehen und in
ihrem nothwendigen Grunde zu begreifen, muß man daher
stets gegenwärtig haben, was früher davon gesagt ist, daß
jedes Lebendige vermöge der in ihm sich darlebenden Idee,
in wie fern diese ein Göttliches ist, auch an dem Wesen
der Ewigkeit Theil haben, und daß eben deßhalb seine Ver¬
gangenheit und Zukunft in einer steten allgemeinen Gegen¬
wart ihm angehören müsse. Wie nun hieraus im unbe¬
wußten Leben alle Fortschreitung und Beziehung der Bildung
sich erklärt, haben wir schon oben bemerkt. Es wird aber
fernerhin auch nur hieraus klar, daß, wenn ein eigentlich
seelisches Gebilde, ein Nervensystem sich entwickelt hat,
wenn dieses Gebilde, als das eigentliche Sensorium von
den Regungen der Außenwelt auf gleiche Weise wie vom
Regen der eignen Psyche bewegt, oder um einen mehr be¬
zeichnenden Ausdruck zu brauchen polarisirt, -- in den
Spannungsverhältnissen dessen was wir Innervation nen¬
nen -- verändert wird, daß, sage ich, nun auch diese Po¬
larisationen nicht durch und durch vorübergehend sein, son¬
dern in gewissem Maße bleibend -- die vergangenen stets
gegenwärtig -- verharren müssen. Nicht mehr bloß dem
unbewußten Leben ist es dann eigen, daß ihm der frühere,
ja der früheste Zustand unverloren bleibt (wie wir z. B.
oben sagten, daß die Pflanze auf ihrem langen Entwick¬

Anregungen des Seelenlebens, d. h. auf der Er¬
innerung
, alle Möglichkeit der höhern Ausbildung des
Bewußtſeins. Wenn in der Seele nicht feſt blieben die
Empfindungen von den mannichfachen Einwirkungen der
Außenwelt, wenn nicht dadurch es möglich würde gleich¬
zeitig
die Verſchiedenheit dieſer Einwirkungen anzu¬
ſchauen und dadurch zu einer Vergleichung derſelben zu
gelangen, um aus dieſer Vergleichung dann das Wiſſen
von einer Welt, im Gegenſatz zum Individuum, möglich
zu machen, ſo würde es nimmermehr ein Bewußtſein, nicht
einmal als bloßes Weltbewußtſein geben können. Um dies
Feſthalten, dieſe Erinnerung, recht zu verſtehen und in
ihrem nothwendigen Grunde zu begreifen, muß man daher
ſtets gegenwärtig haben, was früher davon geſagt iſt, daß
jedes Lebendige vermöge der in ihm ſich darlebenden Idee,
in wie fern dieſe ein Göttliches iſt, auch an dem Weſen
der Ewigkeit Theil haben, und daß eben deßhalb ſeine Ver¬
gangenheit und Zukunft in einer ſteten allgemeinen Gegen¬
wart ihm angehören müſſe. Wie nun hieraus im unbe¬
wußten Leben alle Fortſchreitung und Beziehung der Bildung
ſich erklärt, haben wir ſchon oben bemerkt. Es wird aber
fernerhin auch nur hieraus klar, daß, wenn ein eigentlich
ſeeliſches Gebilde, ein Nervenſyſtem ſich entwickelt hat,
wenn dieſes Gebilde, als das eigentliche Senſorium von
den Regungen der Außenwelt auf gleiche Weiſe wie vom
Regen der eignen Pſyche bewegt, oder um einen mehr be¬
zeichnenden Ausdruck zu brauchen polariſirt, — in den
Spannungsverhältniſſen deſſen was wir Innervation nen¬
nen — verändert wird, daß, ſage ich, nun auch dieſe Po¬
lariſationen nicht durch und durch vorübergehend ſein, ſon¬
dern in gewiſſem Maße bleibend — die vergangenen ſtets
gegenwärtig — verharren müſſen. Nicht mehr bloß dem
unbewußten Leben iſt es dann eigen, daß ihm der frühere,
ja der früheſte Zuſtand unverloren bleibt (wie wir z. B.
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[105/0121] Anregungen des Seelenlebens, d. h. auf der Er¬ innerung, alle Möglichkeit der höhern Ausbildung des Bewußtſeins. Wenn in der Seele nicht feſt blieben die Empfindungen von den mannichfachen Einwirkungen der Außenwelt, wenn nicht dadurch es möglich würde gleich¬ zeitig die Verſchiedenheit dieſer Einwirkungen anzu¬ ſchauen und dadurch zu einer Vergleichung derſelben zu gelangen, um aus dieſer Vergleichung dann das Wiſſen von einer Welt, im Gegenſatz zum Individuum, möglich zu machen, ſo würde es nimmermehr ein Bewußtſein, nicht einmal als bloßes Weltbewußtſein geben können. Um dies Feſthalten, dieſe Erinnerung, recht zu verſtehen und in ihrem nothwendigen Grunde zu begreifen, muß man daher ſtets gegenwärtig haben, was früher davon geſagt iſt, daß jedes Lebendige vermöge der in ihm ſich darlebenden Idee, in wie fern dieſe ein Göttliches iſt, auch an dem Weſen der Ewigkeit Theil haben, und daß eben deßhalb ſeine Ver¬ gangenheit und Zukunft in einer ſteten allgemeinen Gegen¬ wart ihm angehören müſſe. Wie nun hieraus im unbe¬ wußten Leben alle Fortſchreitung und Beziehung der Bildung ſich erklärt, haben wir ſchon oben bemerkt. Es wird aber fernerhin auch nur hieraus klar, daß, wenn ein eigentlich ſeeliſches Gebilde, ein Nervenſyſtem ſich entwickelt hat, wenn dieſes Gebilde, als das eigentliche Senſorium von den Regungen der Außenwelt auf gleiche Weiſe wie vom Regen der eignen Pſyche bewegt, oder um einen mehr be¬ zeichnenden Ausdruck zu brauchen polariſirt, — in den Spannungsverhältniſſen deſſen was wir Innervation nen¬ nen — verändert wird, daß, ſage ich, nun auch dieſe Po¬ lariſationen nicht durch und durch vorübergehend ſein, ſon¬ dern in gewiſſem Maße bleibend — die vergangenen ſtets gegenwärtig — verharren müſſen. Nicht mehr bloß dem unbewußten Leben iſt es dann eigen, daß ihm der frühere, ja der früheſte Zuſtand unverloren bleibt (wie wir z. B. oben ſagten, daß die Pflanze auf ihrem langen Entwick¬

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/121>, abgerufen am 03.05.2024.