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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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reicht, auf welcher ein gewisses klareres Verstehen der
Außenwelt und ihrer Beziehung zum Individuum möglich
wird, kurz -- wo Das hervortritt was wir als Ver¬
stand
bezeichnen, auch das Thun, die Gegenwirkung
gegen die Außenwelt freier, und das Gefühl vom eignen
Zustande deutlicher werden muß. In den höhern Thieren
gibt sich daher nicht nur das Gefühl vom eignen Zustande
bereits deutlicher kund, Das, was wir Affekte -- Ge¬
müthszustände nennen, Traurigkeit, Freude, Ausgelassen¬
heit, Furcht, Angst, Muth, Zorn -- lassen sich unter¬
scheiden, ja das Thier kann dahin gebracht werden, durch
gewisse in ihm erregte Vorstellungen, z. B. durch die Vor¬
stellung vom Willen seines Herrn, ihm kund geworden oft
im bloßen Auffassen eines Blicks -- diese Gemüthszustände
mit einer gewissen Willkür zu beherrschen, die Furcht in
Muth, den Zorn in Ruhe oder in Furcht übergehen zu
lassen. Eben so verrathen die Handlungen, das Thun von
hier an durchaus, daß nicht mehr allein eine äußere Ein¬
wirkung, ein Reiz, sie unmittelbar als nothwendige Reac¬
tion hervorruft, oder nur ein Gemeingefühl sie -- in der
Form des Triebes -- bedingt (obwohl beides hier sowohl
als späterhin selbst im Menschen vorkommt, sobald es sich
nicht von der irgendwie bewußten, sondern von der unbe¬
wußten Sphäre des Lebens handelt), vielmehr werden sie
von nun an durch Gemüthszustände, Erinnerungen und
eine gewisse Vergleichung und Beurtheilung aufgenommener
Vorstellungen bestimmt. Auf diese Weise kommen hier
Handlungen zu Stande, welche bereits denen des gereiften
Menschen in vieler Beziehung sich nähern können. Das
Thier rächt empfangene Mißhandlungen, ist dankbar Dem,
der sich ihm gütig bewiesen hat, läßt sich (was besonders
von ausnehmender Wichtigkeit ist) erziehen, und ver¬
ändert und veredelt dabei nicht bloß sein weltbewußtes
Seelenleben, sondern zugleich, in Folge der Einwirkung
des Bewußten auf das Unbewußte, seine gesammte physische

reicht, auf welcher ein gewiſſes klareres Verſtehen der
Außenwelt und ihrer Beziehung zum Individuum möglich
wird, kurz — wo Das hervortritt was wir als Ver¬
ſtand
bezeichnen, auch das Thun, die Gegenwirkung
gegen die Außenwelt freier, und das Gefühl vom eignen
Zuſtande deutlicher werden muß. In den höhern Thieren
gibt ſich daher nicht nur das Gefühl vom eignen Zuſtande
bereits deutlicher kund, Das, was wir Affekte — Ge¬
müthszuſtände nennen, Traurigkeit, Freude, Ausgelaſſen¬
heit, Furcht, Angſt, Muth, Zorn — laſſen ſich unter¬
ſcheiden, ja das Thier kann dahin gebracht werden, durch
gewiſſe in ihm erregte Vorſtellungen, z. B. durch die Vor¬
ſtellung vom Willen ſeines Herrn, ihm kund geworden oft
im bloßen Auffaſſen eines Blicks — dieſe Gemüthszuſtände
mit einer gewiſſen Willkür zu beherrſchen, die Furcht in
Muth, den Zorn in Ruhe oder in Furcht übergehen zu
laſſen. Eben ſo verrathen die Handlungen, das Thun von
hier an durchaus, daß nicht mehr allein eine äußere Ein¬
wirkung, ein Reiz, ſie unmittelbar als nothwendige Reac¬
tion hervorruft, oder nur ein Gemeingefühl ſie — in der
Form des Triebes — bedingt (obwohl beides hier ſowohl
als ſpäterhin ſelbſt im Menſchen vorkommt, ſobald es ſich
nicht von der irgendwie bewußten, ſondern von der unbe¬
wußten Sphäre des Lebens handelt), vielmehr werden ſie
von nun an durch Gemüthszuſtände, Erinnerungen und
eine gewiſſe Vergleichung und Beurtheilung aufgenommener
Vorſtellungen beſtimmt. Auf dieſe Weiſe kommen hier
Handlungen zu Stande, welche bereits denen des gereiften
Menſchen in vieler Beziehung ſich nähern können. Das
Thier rächt empfangene Mißhandlungen, iſt dankbar Dem,
der ſich ihm gütig bewieſen hat, läßt ſich (was beſonders
von ausnehmender Wichtigkeit iſt) erziehen, und ver¬
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[135/0151] reicht, auf welcher ein gewiſſes klareres Verſtehen der Außenwelt und ihrer Beziehung zum Individuum möglich wird, kurz — wo Das hervortritt was wir als Ver¬ ſtand bezeichnen, auch das Thun, die Gegenwirkung gegen die Außenwelt freier, und das Gefühl vom eignen Zuſtande deutlicher werden muß. In den höhern Thieren gibt ſich daher nicht nur das Gefühl vom eignen Zuſtande bereits deutlicher kund, Das, was wir Affekte — Ge¬ müthszuſtände nennen, Traurigkeit, Freude, Ausgelaſſen¬ heit, Furcht, Angſt, Muth, Zorn — laſſen ſich unter¬ ſcheiden, ja das Thier kann dahin gebracht werden, durch gewiſſe in ihm erregte Vorſtellungen, z. B. durch die Vor¬ ſtellung vom Willen ſeines Herrn, ihm kund geworden oft im bloßen Auffaſſen eines Blicks — dieſe Gemüthszuſtände mit einer gewiſſen Willkür zu beherrſchen, die Furcht in Muth, den Zorn in Ruhe oder in Furcht übergehen zu laſſen. Eben ſo verrathen die Handlungen, das Thun von hier an durchaus, daß nicht mehr allein eine äußere Ein¬ wirkung, ein Reiz, ſie unmittelbar als nothwendige Reac¬ tion hervorruft, oder nur ein Gemeingefühl ſie — in der Form des Triebes — bedingt (obwohl beides hier ſowohl als ſpäterhin ſelbſt im Menſchen vorkommt, ſobald es ſich nicht von der irgendwie bewußten, ſondern von der unbe¬ wußten Sphäre des Lebens handelt), vielmehr werden ſie von nun an durch Gemüthszuſtände, Erinnerungen und eine gewiſſe Vergleichung und Beurtheilung aufgenommener Vorſtellungen beſtimmt. Auf dieſe Weiſe kommen hier Handlungen zu Stande, welche bereits denen des gereiften Menſchen in vieler Beziehung ſich nähern können. Das Thier rächt empfangene Mißhandlungen, iſt dankbar Dem, der ſich ihm gütig bewieſen hat, läßt ſich (was beſonders von ausnehmender Wichtigkeit iſt) erziehen, und ver¬ ändert und veredelt dabei nicht bloß ſein weltbewußtes Seelenleben, ſondern zugleich, in Folge der Einwirkung des Bewußten auf das Unbewußte, ſeine geſammte phyſiſche

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/151>, abgerufen am 29.04.2024.