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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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des in verschiednen Gattungen auf so verschiedne Weise
aus dem unbewußten Seelenleben hervortretenden und gei¬
stig sich offenbarenden bewußten Seelenlebens. Hiebei würde
namentlich hervorzuheben sein, daß dieses bewußte Seelen¬
leben sich offenbare, theils auf negative Weise, indem es
mehr oder weniger die Nothwendigkeit des unbewußten
Seelenlebens ganz aufhebt oder doch bedeutend umändert;
theils auf positive Weise, indem ein mehr selbstständig wer¬
dender Verstand und Wille und ein deutliches sich kund
gebendes Selbstgefühl allmählig wirklich im Thiere her¬
vortritt.

Das erstere, das negative Verhalten ist besonders
merkwürdig, bisher jedoch als solches weniger beachtet,
obwohl es sehr einleuchtend sein muß, daß gerade dadurch
daß ein früherhin Unabänderliches, ein früher unerläßlich
Gefordertes, nunmehr wenigstens theilweise auch aufge¬
hoben werden kann, entschieden ein Strahl der Freiheit
sich geltend macht, welcher wesentlich geeignet sein muß die
erste Morgenröthe vom eigentlichen Reiche des Geistes zu
verkünden. Es kommen dann allerdings auch diese Nega¬
tionen erst auf sehr hohen Stufen vor, und wenn man
die Macht des Unbewußten, welches hier negirt wird, recht
empfinden will, so mache man es sich nur recht deutlich
daß, wenn es z. B. möglich wäre, daß einer Biene es
einmal einfallen könnte, runde Zellen statt sechseckiger zu
bauen, oder einer Spinne, welche runde aus einer Spirale
gewobene Netze bilden muß, ein Netz von viereckiger Form,
gleich einem Fischernetze, zu weben, dies Erscheinungen
sein würden, die uns nicht minder überraschen und betroffen
machen müßten, als wenn wir den Mond statt in Osten
im Westen aufgehen sähen.

Bei einer ausführlichern Betrachtung dieser negativen
Einwirkung des erwachenden Bewußtseins würde denn ins¬
besondere zu erwägen sein, wie gar verschieden auf die
verschiednen Richtungen des unbewußten Seelenlebens sich

des in verſchiednen Gattungen auf ſo verſchiedne Weiſe
aus dem unbewußten Seelenleben hervortretenden und gei¬
ſtig ſich offenbarenden bewußten Seelenlebens. Hiebei würde
namentlich hervorzuheben ſein, daß dieſes bewußte Seelen¬
leben ſich offenbare, theils auf negative Weiſe, indem es
mehr oder weniger die Nothwendigkeit des unbewußten
Seelenlebens ganz aufhebt oder doch bedeutend umändert;
theils auf poſitive Weiſe, indem ein mehr ſelbſtſtändig wer¬
dender Verſtand und Wille und ein deutliches ſich kund
gebendes Selbſtgefühl allmählig wirklich im Thiere her¬
vortritt.

Das erſtere, das negative Verhalten iſt beſonders
merkwürdig, bisher jedoch als ſolches weniger beachtet,
obwohl es ſehr einleuchtend ſein muß, daß gerade dadurch
daß ein früherhin Unabänderliches, ein früher unerläßlich
Gefordertes, nunmehr wenigſtens theilweiſe auch aufge¬
hoben werden kann, entſchieden ein Strahl der Freiheit
ſich geltend macht, welcher weſentlich geeignet ſein muß die
erſte Morgenröthe vom eigentlichen Reiche des Geiſtes zu
verkünden. Es kommen dann allerdings auch dieſe Nega¬
tionen erſt auf ſehr hohen Stufen vor, und wenn man
die Macht des Unbewußten, welches hier negirt wird, recht
empfinden will, ſo mache man es ſich nur recht deutlich
daß, wenn es z. B. möglich wäre, daß einer Biene es
einmal einfallen könnte, runde Zellen ſtatt ſechseckiger zu
bauen, oder einer Spinne, welche runde aus einer Spirale
gewobene Netze bilden muß, ein Netz von viereckiger Form,
gleich einem Fiſchernetze, zu weben, dies Erſcheinungen
ſein würden, die uns nicht minder überraſchen und betroffen
machen müßten, als wenn wir den Mond ſtatt in Oſten
im Weſten aufgehen ſähen.

Bei einer ausführlichern Betrachtung dieſer negativen
Einwirkung des erwachenden Bewußtſeins würde denn ins¬
beſondere zu erwägen ſein, wie gar verſchieden auf die
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[142/0158] des in verſchiednen Gattungen auf ſo verſchiedne Weiſe aus dem unbewußten Seelenleben hervortretenden und gei¬ ſtig ſich offenbarenden bewußten Seelenlebens. Hiebei würde namentlich hervorzuheben ſein, daß dieſes bewußte Seelen¬ leben ſich offenbare, theils auf negative Weiſe, indem es mehr oder weniger die Nothwendigkeit des unbewußten Seelenlebens ganz aufhebt oder doch bedeutend umändert; theils auf poſitive Weiſe, indem ein mehr ſelbſtſtändig wer¬ dender Verſtand und Wille und ein deutliches ſich kund gebendes Selbſtgefühl allmählig wirklich im Thiere her¬ vortritt. Das erſtere, das negative Verhalten iſt beſonders merkwürdig, bisher jedoch als ſolches weniger beachtet, obwohl es ſehr einleuchtend ſein muß, daß gerade dadurch daß ein früherhin Unabänderliches, ein früher unerläßlich Gefordertes, nunmehr wenigſtens theilweiſe auch aufge¬ hoben werden kann, entſchieden ein Strahl der Freiheit ſich geltend macht, welcher weſentlich geeignet ſein muß die erſte Morgenröthe vom eigentlichen Reiche des Geiſtes zu verkünden. Es kommen dann allerdings auch dieſe Nega¬ tionen erſt auf ſehr hohen Stufen vor, und wenn man die Macht des Unbewußten, welches hier negirt wird, recht empfinden will, ſo mache man es ſich nur recht deutlich daß, wenn es z. B. möglich wäre, daß einer Biene es einmal einfallen könnte, runde Zellen ſtatt ſechseckiger zu bauen, oder einer Spinne, welche runde aus einer Spirale gewobene Netze bilden muß, ein Netz von viereckiger Form, gleich einem Fiſchernetze, zu weben, dies Erſcheinungen ſein würden, die uns nicht minder überraſchen und betroffen machen müßten, als wenn wir den Mond ſtatt in Oſten im Weſten aufgehen ſähen. Bei einer ausführlichern Betrachtung dieſer negativen Einwirkung des erwachenden Bewußtſeins würde denn ins¬ beſondere zu erwägen ſein, wie gar verſchieden auf die verſchiednen Richtungen des unbewußten Seelenlebens ſich

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/158>, abgerufen am 29.04.2024.