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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Folge der Unterwerfung unter die Herrschaft des Menschen,
und durch die Erziehung, selten nur dadurch daß durch
Gefühl des einen Triebes der andre negirt wird. So
lernt im ersten Falle der Jagdhund den Nahrungstrieb be¬
herrschen, indem er vor dem Geflügel, das von Natur
seiner Beute bestimmt ist, ruhig stehen bleibt, oder indem
er versagt die Nahrung selbst anzunehmen, wenn sie ihm
nicht auf die Weise, die man ihm anerzogen hat, gereicht
wird u. s. w., aber freilich ist alles dies nicht eine wahre
Befreiung, im eignen Lichte der Freiheit hervorgegangen,
und trägt deßhalb auch dem eignen thierischen Seelenleben
keine weitern Früchte, sondern wie es durch Herrschgewalt
erlernt ist, so wird es auch nur als Sklavendienst geübt,
und immer gilt das Wort des Faust über den Pudel:

-- "ich finde nicht die Spur
von einem Geist, und alles ist Dressur!"

Im andern Falle befindet sich das Thier, wenn es
durch den Fortpflanzungstrieb den Nahrungstrieb beherrscht,
oder eine Nahrung die ihm selbst zukommen könnte der Brut
zuträgt u. s. w.

Nach allen diesen negativen Aeußerungen erwachenden
Bewußtseins, würden nun die positiven in Betrachtung
kommen, deren Verschiedenheit nothwendig wesentlich dadurch
bestimmt werden muß, daß sie entweder in der Sphäre der
Erkenntniß, oder der des Gefühls, oder der des Willens
sich hervorthun. Von besondrer Wichtigkeit sind hier die
Aeußerungen des Seelenlebens welche ein Er¬
kennen
-- nicht bloß ein unbewußt Hingezogenwerden oder
Abgestoßenwerden von irgend etwas -- sondern ein Auf¬
nehmen der Vorstellung von irgend einem Aeu¬
ßern
um seiner selbst willen -- kund geben. Diese
Züge im Leben der höhern Thierwelt verdienen besonders
das Studium des Psychologen und sind nur durch den
feinen Blick des Forschers zu entdecken. Das Früheste dieser
Art verräth sich vielleicht in Dem was man die Neugier

Folge der Unterwerfung unter die Herrſchaft des Menſchen,
und durch die Erziehung, ſelten nur dadurch daß durch
Gefühl des einen Triebes der andre negirt wird. So
lernt im erſten Falle der Jagdhund den Nahrungstrieb be¬
herrſchen, indem er vor dem Geflügel, das von Natur
ſeiner Beute beſtimmt iſt, ruhig ſtehen bleibt, oder indem
er verſagt die Nahrung ſelbſt anzunehmen, wenn ſie ihm
nicht auf die Weiſe, die man ihm anerzogen hat, gereicht
wird u. ſ. w., aber freilich iſt alles dies nicht eine wahre
Befreiung, im eignen Lichte der Freiheit hervorgegangen,
und trägt deßhalb auch dem eignen thieriſchen Seelenleben
keine weitern Früchte, ſondern wie es durch Herrſchgewalt
erlernt iſt, ſo wird es auch nur als Sklavendienſt geübt,
und immer gilt das Wort des Fauſt über den Pudel:

— „ich finde nicht die Spur
von einem Geiſt, und alles iſt Dreſſur!“

Im andern Falle befindet ſich das Thier, wenn es
durch den Fortpflanzungstrieb den Nahrungstrieb beherrſcht,
oder eine Nahrung die ihm ſelbſt zukommen könnte der Brut
zuträgt u. ſ. w.

Nach allen dieſen negativen Aeußerungen erwachenden
Bewußtſeins, würden nun die poſitiven in Betrachtung
kommen, deren Verſchiedenheit nothwendig weſentlich dadurch
beſtimmt werden muß, daß ſie entweder in der Sphäre der
Erkenntniß, oder der des Gefühls, oder der des Willens
ſich hervorthun. Von beſondrer Wichtigkeit ſind hier die
Aeußerungen des Seelenlebens welche ein Er¬
kennen
— nicht bloß ein unbewußt Hingezogenwerden oder
Abgeſtoßenwerden von irgend etwas — ſondern ein Auf¬
nehmen der Vorſtellung von irgend einem Aeu¬
ßern
um ſeiner ſelbſt willen — kund geben. Dieſe
Züge im Leben der höhern Thierwelt verdienen beſonders
das Studium des Pſychologen und ſind nur durch den
feinen Blick des Forſchers zu entdecken. Das Früheſte dieſer
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[144/0160] Folge der Unterwerfung unter die Herrſchaft des Menſchen, und durch die Erziehung, ſelten nur dadurch daß durch Gefühl des einen Triebes der andre negirt wird. So lernt im erſten Falle der Jagdhund den Nahrungstrieb be¬ herrſchen, indem er vor dem Geflügel, das von Natur ſeiner Beute beſtimmt iſt, ruhig ſtehen bleibt, oder indem er verſagt die Nahrung ſelbſt anzunehmen, wenn ſie ihm nicht auf die Weiſe, die man ihm anerzogen hat, gereicht wird u. ſ. w., aber freilich iſt alles dies nicht eine wahre Befreiung, im eignen Lichte der Freiheit hervorgegangen, und trägt deßhalb auch dem eignen thieriſchen Seelenleben keine weitern Früchte, ſondern wie es durch Herrſchgewalt erlernt iſt, ſo wird es auch nur als Sklavendienſt geübt, und immer gilt das Wort des Fauſt über den Pudel: — „ich finde nicht die Spur von einem Geiſt, und alles iſt Dreſſur!“ Im andern Falle befindet ſich das Thier, wenn es durch den Fortpflanzungstrieb den Nahrungstrieb beherrſcht, oder eine Nahrung die ihm ſelbſt zukommen könnte der Brut zuträgt u. ſ. w. Nach allen dieſen negativen Aeußerungen erwachenden Bewußtſeins, würden nun die poſitiven in Betrachtung kommen, deren Verſchiedenheit nothwendig weſentlich dadurch beſtimmt werden muß, daß ſie entweder in der Sphäre der Erkenntniß, oder der des Gefühls, oder der des Willens ſich hervorthun. Von beſondrer Wichtigkeit ſind hier die Aeußerungen des Seelenlebens welche ein Er¬ kennen — nicht bloß ein unbewußt Hingezogenwerden oder Abgeſtoßenwerden von irgend etwas — ſondern ein Auf¬ nehmen der Vorſtellung von irgend einem Aeu¬ ßern um ſeiner ſelbſt willen — kund geben. Dieſe Züge im Leben der höhern Thierwelt verdienen beſonders das Studium des Pſychologen und ſind nur durch den feinen Blick des Forſchers zu entdecken. Das Früheſte dieſer Art verräth ſich vielleicht in Dem was man die Neugier

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/160>, abgerufen am 29.04.2024.