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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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als z. B. beim Hunde die Art mit welcher er jedem an
ihn gerichteten leisen Worte, ja oft jeder Miene seines
Herrn Verständniß und Folge zeigt. Dagegen ist freilich
nicht zu vergessen daß auch das höchste Erkennen, wie es
bei den Thieren vorkommt, immer nur ein sehr subjektives
und egoistisches bleibt und nie dazu sich erhebt eine wahre
Objektivität zu erreichen, d. h. an der Erkenntniß
als solcher Freude zu haben
. Der einfache und
nothwendige Grund hievon ist eben daß das Thier nie die
Pubertät des Geistes erreicht, nie der Produktivität der
Idee fähig wird; darum muß ihm das Wahrnehmen der
Idee in der Erscheinung verschlossen bleiben, denn alle
Freude an wahrhaft objektiver Erkenntniß wird eben nur
möglich, indem der Geist die Idee der Erscheinung ver¬
nehmen lernt. So, weil im Thiere die Idee der Schön¬
heit nicht ins Bewußtsein treten kann, wird das Thier nie
das Schöne der Welt gewahr werden. Ein Thier steht
z. B. der schönsten Gegend, dem reinsten Kunstwerk durch¬
aus fühllos gegenüber und faßt eben so wenig die Schön¬
heit des Menschen als die Art von Schönheit, die in ihm,
dem Thiere, selbst sich verkörpern kann.

Mit dem Erkennen zugleich entwickelt sich das Selbst¬
gefühl
, und eben dadurch wird erst auf höhern Stufen
des Thierreichs das möglich, was wir Gemüthsbewegung
-- Affekt nennen. Von einem Insekt, einem Mollusk, einem
Fisch können wir noch nicht sagen, sie seien fröhlich oder
traurig u. s. w., höchstens der Affekt des Zorns tritt schon
sehr früh hervor. In den höhern Thieren hingegen ist fast
die ganze Reihe von Affekten, in so fern sie nicht, wie
etwa Liebe, Bewunderung -- ein Vernehmen der Idee
voraussetzen -- deutlich unterscheidbar. Freude, Trauer,
Abneigung, Zuneigung, Zorn, Furcht, Wuth u. s. w.
machen sich sehr bestimmt kenntlich. Natürlich dürfen wir
auch hier nie uns dem Gedanken überlassen, als wären
diese Affekte im Thiere ganz dieselben wie im selbstbewu߬

als z. B. beim Hunde die Art mit welcher er jedem an
ihn gerichteten leiſen Worte, ja oft jeder Miene ſeines
Herrn Verſtändniß und Folge zeigt. Dagegen iſt freilich
nicht zu vergeſſen daß auch das höchſte Erkennen, wie es
bei den Thieren vorkommt, immer nur ein ſehr ſubjektives
und egoiſtiſches bleibt und nie dazu ſich erhebt eine wahre
Objektivität zu erreichen, d. h. an der Erkenntniß
als ſolcher Freude zu haben
. Der einfache und
nothwendige Grund hievon iſt eben daß das Thier nie die
Pubertät des Geiſtes erreicht, nie der Produktivität der
Idee fähig wird; darum muß ihm das Wahrnehmen der
Idee in der Erſcheinung verſchloſſen bleiben, denn alle
Freude an wahrhaft objektiver Erkenntniß wird eben nur
möglich, indem der Geiſt die Idee der Erſcheinung ver¬
nehmen lernt. So, weil im Thiere die Idee der Schön¬
heit nicht ins Bewußtſein treten kann, wird das Thier nie
das Schöne der Welt gewahr werden. Ein Thier ſteht
z. B. der ſchönſten Gegend, dem reinſten Kunſtwerk durch¬
aus fühllos gegenüber und faßt eben ſo wenig die Schön¬
heit des Menſchen als die Art von Schönheit, die in ihm,
dem Thiere, ſelbſt ſich verkörpern kann.

Mit dem Erkennen zugleich entwickelt ſich das Selbſt¬
gefühl
, und eben dadurch wird erſt auf höhern Stufen
des Thierreichs das möglich, was wir Gemüthsbewegung
— Affekt nennen. Von einem Inſekt, einem Mollusk, einem
Fiſch können wir noch nicht ſagen, ſie ſeien fröhlich oder
traurig u. ſ. w., höchſtens der Affekt des Zorns tritt ſchon
ſehr früh hervor. In den höhern Thieren hingegen iſt faſt
die ganze Reihe von Affekten, in ſo fern ſie nicht, wie
etwa Liebe, Bewunderung — ein Vernehmen der Idee
vorausſetzen — deutlich unterſcheidbar. Freude, Trauer,
Abneigung, Zuneigung, Zorn, Furcht, Wuth u. ſ. w.
machen ſich ſehr beſtimmt kenntlich. Natürlich dürfen wir
auch hier nie uns dem Gedanken überlaſſen, als wären
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[146/0162] als z. B. beim Hunde die Art mit welcher er jedem an ihn gerichteten leiſen Worte, ja oft jeder Miene ſeines Herrn Verſtändniß und Folge zeigt. Dagegen iſt freilich nicht zu vergeſſen daß auch das höchſte Erkennen, wie es bei den Thieren vorkommt, immer nur ein ſehr ſubjektives und egoiſtiſches bleibt und nie dazu ſich erhebt eine wahre Objektivität zu erreichen, d. h. an der Erkenntniß als ſolcher Freude zu haben. Der einfache und nothwendige Grund hievon iſt eben daß das Thier nie die Pubertät des Geiſtes erreicht, nie der Produktivität der Idee fähig wird; darum muß ihm das Wahrnehmen der Idee in der Erſcheinung verſchloſſen bleiben, denn alle Freude an wahrhaft objektiver Erkenntniß wird eben nur möglich, indem der Geiſt die Idee der Erſcheinung ver¬ nehmen lernt. So, weil im Thiere die Idee der Schön¬ heit nicht ins Bewußtſein treten kann, wird das Thier nie das Schöne der Welt gewahr werden. Ein Thier ſteht z. B. der ſchönſten Gegend, dem reinſten Kunſtwerk durch¬ aus fühllos gegenüber und faßt eben ſo wenig die Schön¬ heit des Menſchen als die Art von Schönheit, die in ihm, dem Thiere, ſelbſt ſich verkörpern kann. Mit dem Erkennen zugleich entwickelt ſich das Selbſt¬ gefühl, und eben dadurch wird erſt auf höhern Stufen des Thierreichs das möglich, was wir Gemüthsbewegung — Affekt nennen. Von einem Inſekt, einem Mollusk, einem Fiſch können wir noch nicht ſagen, ſie ſeien fröhlich oder traurig u. ſ. w., höchſtens der Affekt des Zorns tritt ſchon ſehr früh hervor. In den höhern Thieren hingegen iſt faſt die ganze Reihe von Affekten, in ſo fern ſie nicht, wie etwa Liebe, Bewunderung — ein Vernehmen der Idee vorausſetzen — deutlich unterſcheidbar. Freude, Trauer, Abneigung, Zuneigung, Zorn, Furcht, Wuth u. ſ. w. machen ſich ſehr beſtimmt kenntlich. Natürlich dürfen wir auch hier nie uns dem Gedanken überlaſſen, als wären dieſe Affekte im Thiere ganz dieſelben wie im ſelbſtbewu߬

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/162>, abgerufen am 28.04.2024.