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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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und ist nun erst im Stande als ein Wechselndes in diesem
einen Bleibenden sich zu spiegeln. Erst dieses ist dann,
was da ferner führt und soll führen, zu unendlichen Unter¬
scheidungen unendlicher Vorstellungen; Vorstellungen, welche
nun erst, da es in der Seele ein Beharrendes gibt, auch
selbst fortwährend vorhanden bleiben -- so daß sich denn
auch erst von diesem Momente an jenes früher erwähnte
unbewußte epimetheische Princip, als bewußter Epimetheus,
als Erinnerung bethätigen kann. -- In solchem Unter¬
scheiden
beharrender Vorstellungen ist es denn namentlich,
daß das Wesen des Verstandes ausgesprochen und ge¬
geben wird, und ist dabei sehr merkwürdig recht genau
nachzugehen, wie dieses innere Schauen der Verschiedenheit
in der Seele des Kindes sich allmählig ausbildet, ohne
daß doch zuvor noch irgend ein Bewußtsein von Einheit
und Ewigkeit vorgekommen und möglich geworden wäre.
Das Kind fängt an eine Menge Vorstellungen zu unter¬
scheiden, das Gedächtniß ist das frischeste und willigste, die
Freude an dem immer neu Aufnehmen von Vorstellungen
die allergrößeste, aber fern ist ihm noch Alles was auf
eine höhere Einheit der Erscheinungen, ja der Welt über¬
haupt deutet, und obwohl nun ein Verstand entwickelt ist,
so ist er doch eben deßhalb noch ein so viel geringerer als
der des gereiften Mannes. An diesem Verhältnisse können
wir nun sogleich wieder ein anderes großes Gesetz bestätigt
finden, welches, wie schon in der äußern organischen Welt,
so auch im Reiche der Seele gültig ist; nämlich: daß,
wenn in irgend einem Individuellen überhaupt
eine Reihe von Entwicklungszuständen die Auf¬
gabe des Daseins wird
, immer das Hervor¬
treten des Höhern zugleich zwar etwas von dem
vorausgegangenen Niedern negirt und vernichtet
,
aber auch, in so fern dasselbe vorhanden bleibt,
es mit erhöht und veredelt. Es wird nämlich so¬
gleich, wenn wir vom Standpunkte höherer geistiger Ent¬

und iſt nun erſt im Stande als ein Wechſelndes in dieſem
einen Bleibenden ſich zu ſpiegeln. Erſt dieſes iſt dann,
was da ferner führt und ſoll führen, zu unendlichen Unter¬
ſcheidungen unendlicher Vorſtellungen; Vorſtellungen, welche
nun erſt, da es in der Seele ein Beharrendes gibt, auch
ſelbſt fortwährend vorhanden bleiben — ſo daß ſich denn
auch erſt von dieſem Momente an jenes früher erwähnte
unbewußte epimetheïſche Princip, als bewußter Epimetheus,
als Erinnerung bethätigen kann. — In ſolchem Unter¬
ſcheiden
beharrender Vorſtellungen iſt es denn namentlich,
daß das Weſen des Verſtandes ausgeſprochen und ge¬
geben wird, und iſt dabei ſehr merkwürdig recht genau
nachzugehen, wie dieſes innere Schauen der Verſchiedenheit
in der Seele des Kindes ſich allmählig ausbildet, ohne
daß doch zuvor noch irgend ein Bewußtſein von Einheit
und Ewigkeit vorgekommen und möglich geworden wäre.
Das Kind fängt an eine Menge Vorſtellungen zu unter¬
ſcheiden, das Gedächtniß iſt das friſcheſte und willigſte, die
Freude an dem immer neu Aufnehmen von Vorſtellungen
die allergrößeſte, aber fern iſt ihm noch Alles was auf
eine höhere Einheit der Erſcheinungen, ja der Welt über¬
haupt deutet, und obwohl nun ein Verſtand entwickelt iſt,
ſo iſt er doch eben deßhalb noch ein ſo viel geringerer als
der des gereiften Mannes. An dieſem Verhältniſſe können
wir nun ſogleich wieder ein anderes großes Geſetz beſtätigt
finden, welches, wie ſchon in der äußern organiſchen Welt,
ſo auch im Reiche der Seele gültig iſt; nämlich: daß,
wenn in irgend einem Individuellen überhaupt
eine Reihe von Entwicklungszuſtänden die Auf¬
gabe des Daſeins wird
, immer das Hervor¬
treten des Höhern zugleich zwar etwas von dem
vorausgegangenen Niedern negirt und vernichtet
,
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[164/0180] und iſt nun erſt im Stande als ein Wechſelndes in dieſem einen Bleibenden ſich zu ſpiegeln. Erſt dieſes iſt dann, was da ferner führt und ſoll führen, zu unendlichen Unter¬ ſcheidungen unendlicher Vorſtellungen; Vorſtellungen, welche nun erſt, da es in der Seele ein Beharrendes gibt, auch ſelbſt fortwährend vorhanden bleiben — ſo daß ſich denn auch erſt von dieſem Momente an jenes früher erwähnte unbewußte epimetheïſche Princip, als bewußter Epimetheus, als Erinnerung bethätigen kann. — In ſolchem Unter¬ ſcheiden beharrender Vorſtellungen iſt es denn namentlich, daß das Weſen des Verſtandes ausgeſprochen und ge¬ geben wird, und iſt dabei ſehr merkwürdig recht genau nachzugehen, wie dieſes innere Schauen der Verſchiedenheit in der Seele des Kindes ſich allmählig ausbildet, ohne daß doch zuvor noch irgend ein Bewußtſein von Einheit und Ewigkeit vorgekommen und möglich geworden wäre. Das Kind fängt an eine Menge Vorſtellungen zu unter¬ ſcheiden, das Gedächtniß iſt das friſcheſte und willigſte, die Freude an dem immer neu Aufnehmen von Vorſtellungen die allergrößeſte, aber fern iſt ihm noch Alles was auf eine höhere Einheit der Erſcheinungen, ja der Welt über¬ haupt deutet, und obwohl nun ein Verſtand entwickelt iſt, ſo iſt er doch eben deßhalb noch ein ſo viel geringerer als der des gereiften Mannes. An dieſem Verhältniſſe können wir nun ſogleich wieder ein anderes großes Geſetz beſtätigt finden, welches, wie ſchon in der äußern organiſchen Welt, ſo auch im Reiche der Seele gültig iſt; nämlich: daß, wenn in irgend einem Individuellen überhaupt eine Reihe von Entwicklungszuſtänden die Auf¬ gabe des Daſeins wird, immer das Hervor¬ treten des Höhern zugleich zwar etwas von dem vorausgegangenen Niedern negirt und vernichtet, aber auch, in ſo fern daſſelbe vorhanden bleibt, es mit erhöht und veredelt. Es wird nämlich ſo¬ gleich, wenn wir vom Standpunkte höherer geiſtiger Ent¬

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/180>, abgerufen am 29.04.2024.