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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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sie da sei, läßt für uns eine weitere Erkenntniß unmittel¬
bar nicht zu, weil eben hier das Erkennen selbst seinen
Grund hat, und es unmöglich ist daß das Auge sich selbst
sieht.

Wir müssen daher erwägen, ob uns die morphologi¬
sche Entwicklung des Gehirns noch einen Anhalt darbietet
um irgend sonst eine lokale Beziehung hier nachweisen zu
können. Nehmen wir diese Rücksicht, so stellt sich noch
Folgendes heraus: Wir sehen in den niedern Thieren, in
welchen nur ein allgemeines Weltbewußtsein sich entwickelt
und von geistigem Erkennen und Freiheit des Willens noch
nicht die Rede ist, die Stelle des Hirns immer nur durch
eine einzige sphärische Masse dargestellt, aus welcher we¬
sentlich nur das Paar der Sehnerven hervorgeht. In den
höhern Thieren, von den Fischen an, also in der Reihe,
an welche zuhöchst menschliche Bildung unmittelbar sich an¬
schließt, und wo endlich der Geist in der Seele aufgeht,
und mit dem Erkennen auch das Wollen freier wird, wäh¬
rend immer noch eine weite dunkle Region des unbewußten
oder mir weltbewußten Seelenlebens übrig bleibt, ist durch¬
aus, neben einer durchgehenden Theilung der Breite in
zwei symmetrische Hälften, eine ursprüngliche nach der
Dimension der Länge gehende Dreigliederung des
Hirns und der ihn umschließenden Schädelgebilde gegeben.
Ueberall, und allemal am deutlichsten in der ersten Anlage,
unterscheidet man in letzterer Beziehung drei wesentlich ver¬
schiedene Hirnmassen: ein Vorhirn, Mittelhirn, Nachhirn.
Das Mittelhirn läßt dadurch, daß aus ihm noch die Seh¬
nerven hervorgehen, deutlich erkennen daß es dieselbe Masse
sei, welche in den niederen Thieren noch das ganze Hirn
ausmacht. Das Vorhirn ist das, aus welchem die Ge¬
ruchsnerven hervorgehen, und an ihm bemerken wir auf
das bestimmteste, daß, so wie die Bedeutung des Thieres
sich steigert, wie sein Seelenleben mehr zum Bewußten,
zum Geist sich entwickelt, und daher am allermeisten im

ſie da ſei, läßt für uns eine weitere Erkenntniß unmittel¬
bar nicht zu, weil eben hier das Erkennen ſelbſt ſeinen
Grund hat, und es unmöglich iſt daß das Auge ſich ſelbſt
ſieht.

Wir müſſen daher erwägen, ob uns die morphologi¬
ſche Entwicklung des Gehirns noch einen Anhalt darbietet
um irgend ſonſt eine lokale Beziehung hier nachweiſen zu
können. Nehmen wir dieſe Rückſicht, ſo ſtellt ſich noch
Folgendes heraus: Wir ſehen in den niedern Thieren, in
welchen nur ein allgemeines Weltbewußtſein ſich entwickelt
und von geiſtigem Erkennen und Freiheit des Willens noch
nicht die Rede iſt, die Stelle des Hirns immer nur durch
eine einzige ſphäriſche Maſſe dargeſtellt, aus welcher we¬
ſentlich nur das Paar der Sehnerven hervorgeht. In den
höhern Thieren, von den Fiſchen an, alſo in der Reihe,
an welche zuhöchſt menſchliche Bildung unmittelbar ſich an¬
ſchließt, und wo endlich der Geiſt in der Seele aufgeht,
und mit dem Erkennen auch das Wollen freier wird, wäh¬
rend immer noch eine weite dunkle Region des unbewußten
oder mir weltbewußten Seelenlebens übrig bleibt, iſt durch¬
aus, neben einer durchgehenden Theilung der Breite in
zwei symmetriſche Hälften, eine urſprüngliche nach der
Dimenſion der Länge gehende Dreigliederung des
Hirns und der ihn umſchließenden Schädelgebilde gegeben.
Ueberall, und allemal am deutlichſten in der erſten Anlage,
unterſcheidet man in letzterer Beziehung drei weſentlich ver¬
ſchiedene Hirnmaſſen: ein Vorhirn, Mittelhirn, Nachhirn.
Das Mittelhirn läßt dadurch, daß aus ihm noch die Seh¬
nerven hervorgehen, deutlich erkennen daß es dieſelbe Maſſe
ſei, welche in den niederen Thieren noch das ganze Hirn
ausmacht. Das Vorhirn iſt das, aus welchem die Ge¬
ruchsnerven hervorgehen, und an ihm bemerken wir auf
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[183/0199] ſie da ſei, läßt für uns eine weitere Erkenntniß unmittel¬ bar nicht zu, weil eben hier das Erkennen ſelbſt ſeinen Grund hat, und es unmöglich iſt daß das Auge ſich ſelbſt ſieht. Wir müſſen daher erwägen, ob uns die morphologi¬ ſche Entwicklung des Gehirns noch einen Anhalt darbietet um irgend ſonſt eine lokale Beziehung hier nachweiſen zu können. Nehmen wir dieſe Rückſicht, ſo ſtellt ſich noch Folgendes heraus: Wir ſehen in den niedern Thieren, in welchen nur ein allgemeines Weltbewußtſein ſich entwickelt und von geiſtigem Erkennen und Freiheit des Willens noch nicht die Rede iſt, die Stelle des Hirns immer nur durch eine einzige ſphäriſche Maſſe dargeſtellt, aus welcher we¬ ſentlich nur das Paar der Sehnerven hervorgeht. In den höhern Thieren, von den Fiſchen an, alſo in der Reihe, an welche zuhöchſt menſchliche Bildung unmittelbar ſich an¬ ſchließt, und wo endlich der Geiſt in der Seele aufgeht, und mit dem Erkennen auch das Wollen freier wird, wäh¬ rend immer noch eine weite dunkle Region des unbewußten oder mir weltbewußten Seelenlebens übrig bleibt, iſt durch¬ aus, neben einer durchgehenden Theilung der Breite in zwei symmetriſche Hälften, eine urſprüngliche nach der Dimenſion der Länge gehende Dreigliederung des Hirns und der ihn umſchließenden Schädelgebilde gegeben. Ueberall, und allemal am deutlichſten in der erſten Anlage, unterſcheidet man in letzterer Beziehung drei weſentlich ver¬ ſchiedene Hirnmaſſen: ein Vorhirn, Mittelhirn, Nachhirn. Das Mittelhirn läßt dadurch, daß aus ihm noch die Seh¬ nerven hervorgehen, deutlich erkennen daß es dieſelbe Maſſe ſei, welche in den niederen Thieren noch das ganze Hirn ausmacht. Das Vorhirn iſt das, aus welchem die Ge¬ ruchsnerven hervorgehen, und an ihm bemerken wir auf das beſtimmteſte, daß, ſo wie die Bedeutung des Thieres ſich ſteigert, wie ſein Seelenleben mehr zum Bewußten, zum Geiſt ſich entwickelt, und daher am allermeiſten im

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/199>, abgerufen am 29.04.2024.