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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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kenntniß
zum Willen, zum Vermögen thätiger Gegen¬
wirkung.

Alle bewußte That ist aber so unmittelbar von Er¬
kenntniß bedingt, daß man zweifelhaft werden könnte, ob
überhaupt von einem Verhältniß zwischen Willen und Er¬
kenntniß die Rede sein dürfe, oder ob beide durchaus eins
seien. Damit man sich jedoch von ersterem überzeuge, darf
man nur beachten einmal, daß es auch ein unbewußtes
Thun, ein Thun ohne Erkenntniß gibt, und ein andermal,
daß dieselbe Erkenntniß in verschiedenen Individuen eine
verschiedene Energie des Thuns hervorruft. Freilich macht
sich, in je höherer Entwicklung wir das Seelenleben be¬
trachten, um so entschiedener das Einssein aller seiner
Strahlungen deutlich, und es ist schlechterdings unmöglich
in unserm Bewußtsein irgendwie eine scharfe Gränze zu
ziehen zwischen Erkennen, Fühlen und Wollen; denn in
jedem Moment unsers bewußten Daseins gebahren wir
absichtlich, also durch einen Willensakt, mit denen das
Licht der Erkenntniß in sich tragenden Gedanken, und diese
Gedanken selbst sind wieder allemal gleichzeitig durchströmt
von irgend einer Färbung des Gefühls. Das, worin aber
innerhalb der Einheit zu gleicher Zeit doch auch die Drei¬
faltigkeit dieses höhern Seelenlebens offenbar wird, sind
die verschiedenen Richtungen, oder wenn wir so sagen wollen,
die verschiedenen Verwendungen desselben. Das Moment
in der Seele, welches die Bedingung davon enthält, daß
irgend eine Erkenntniß oder irgend ein Gefühl zur That
werde, d. h. auf irgend eine Weise durch Wirkung nach
außen sich bethätige, sei es nun als Rede oder als Hand¬
lung, als Wissenschaftsbau oder Kunstwerk, oder als irgend
eine, das Verhältniß des Menschenlebens ändernde That, es ist
eine besondere und eigenthümliche Strahlung unsers Innern
und wird als Wille bezeichnet, während jenes reine in
der Welt der Gedanken sich Vertiefen, jedes tiefer in sich

Wir betrachten drittens das Verhältniß der Er¬
kenntniß
zum Willen, zum Vermögen thätiger Gegen¬
wirkung.

Alle bewußte That iſt aber ſo unmittelbar von Er¬
kenntniß bedingt, daß man zweifelhaft werden könnte, ob
überhaupt von einem Verhältniß zwiſchen Willen und Er¬
kenntniß die Rede ſein dürfe, oder ob beide durchaus eins
ſeien. Damit man ſich jedoch von erſterem überzeuge, darf
man nur beachten einmal, daß es auch ein unbewußtes
Thun, ein Thun ohne Erkenntniß gibt, und ein andermal,
daß dieſelbe Erkenntniß in verſchiedenen Individuen eine
verſchiedene Energie des Thuns hervorruft. Freilich macht
ſich, in je höherer Entwicklung wir das Seelenleben be¬
trachten, um ſo entſchiedener das Einsſein aller ſeiner
Strahlungen deutlich, und es iſt ſchlechterdings unmöglich
in unſerm Bewußtſein irgendwie eine ſcharfe Gränze zu
ziehen zwiſchen Erkennen, Fühlen und Wollen; denn in
jedem Moment unſers bewußten Daſeins gebahren wir
abſichtlich, alſo durch einen Willensakt, mit denen das
Licht der Erkenntniß in ſich tragenden Gedanken, und dieſe
Gedanken ſelbſt ſind wieder allemal gleichzeitig durchſtrömt
von irgend einer Färbung des Gefühls. Das, worin aber
innerhalb der Einheit zu gleicher Zeit doch auch die Drei¬
faltigkeit dieſes höhern Seelenlebens offenbar wird, ſind
die verſchiedenen Richtungen, oder wenn wir ſo ſagen wollen,
die verſchiedenen Verwendungen deſſelben. Das Moment
in der Seele, welches die Bedingung davon enthält, daß
irgend eine Erkenntniß oder irgend ein Gefühl zur That
werde, d. h. auf irgend eine Weiſe durch Wirkung nach
außen ſich bethätige, ſei es nun als Rede oder als Hand¬
lung, als Wiſſenſchaftsbau oder Kunſtwerk, oder als irgend
eine, das Verhältniß des Menſchenlebens ändernde That, es iſt
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und wird als Wille bezeichnet, während jenes reine in
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[344/0360] Wir betrachten drittens das Verhältniß der Er¬ kenntniß zum Willen, zum Vermögen thätiger Gegen¬ wirkung. Alle bewußte That iſt aber ſo unmittelbar von Er¬ kenntniß bedingt, daß man zweifelhaft werden könnte, ob überhaupt von einem Verhältniß zwiſchen Willen und Er¬ kenntniß die Rede ſein dürfe, oder ob beide durchaus eins ſeien. Damit man ſich jedoch von erſterem überzeuge, darf man nur beachten einmal, daß es auch ein unbewußtes Thun, ein Thun ohne Erkenntniß gibt, und ein andermal, daß dieſelbe Erkenntniß in verſchiedenen Individuen eine verſchiedene Energie des Thuns hervorruft. Freilich macht ſich, in je höherer Entwicklung wir das Seelenleben be¬ trachten, um ſo entſchiedener das Einsſein aller ſeiner Strahlungen deutlich, und es iſt ſchlechterdings unmöglich in unſerm Bewußtſein irgendwie eine ſcharfe Gränze zu ziehen zwiſchen Erkennen, Fühlen und Wollen; denn in jedem Moment unſers bewußten Daſeins gebahren wir abſichtlich, alſo durch einen Willensakt, mit denen das Licht der Erkenntniß in ſich tragenden Gedanken, und dieſe Gedanken ſelbſt ſind wieder allemal gleichzeitig durchſtrömt von irgend einer Färbung des Gefühls. Das, worin aber innerhalb der Einheit zu gleicher Zeit doch auch die Drei¬ faltigkeit dieſes höhern Seelenlebens offenbar wird, ſind die verſchiedenen Richtungen, oder wenn wir ſo ſagen wollen, die verſchiedenen Verwendungen deſſelben. Das Moment in der Seele, welches die Bedingung davon enthält, daß irgend eine Erkenntniß oder irgend ein Gefühl zur That werde, d. h. auf irgend eine Weiſe durch Wirkung nach außen ſich bethätige, ſei es nun als Rede oder als Hand¬ lung, als Wiſſenſchaftsbau oder Kunſtwerk, oder als irgend eine, das Verhältniß des Menſchenlebens ändernde That, es iſt eine beſondere und eigenthümliche Strahlung unſers Innern und wird als Wille bezeichnet, während jenes reine in der Welt der Gedanken ſich Vertiefen, jedes tiefer in ſich

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/360>, abgerufen am 16.05.2024.