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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Willens aufführen können, dahin gehören nur theils Re¬
actionen ohne hinreichende Leitung der Erkenntniß oder die
ihr ungemäß sind, theils Reactionen, welche zu viel und
unmittelbar da vom Unbewußten bestimmt sind, wo sie es
nur vom Bewußten sein sollten. Wir nennen das kindisch
und eigenwillig, wenn im gereiftern Menschen Willens¬
regungen hervortreten, welche dem Lichte höherer Erkenntniß
entfremdet sind, wenn z. B. mit Heftigkeit ungeeignete und
unzweckmäßige Nahrungsmittel begehrt werden, wenn Neigung
oder Abneigung sogleich zu heftigen unangemessenen Willens¬
regungen ausschlagen u. s. w., und dies aus keinem andern
Grunde, als weil eben im Kinde diese höhere Erkenntniß
noch fehlt und somit immerfort Willensbewegungen hervor¬
treten müssen, welche ungeregelt und unangemessen wie sie
sind, hier zwar nicht anders sein können, aber in gereifterer
Erkenntniß als krankhaft erscheinen. In allen diesen Be¬
ziehungen tritt sonach die ursprüngliche innere Einheit von
Erkenntniß und Wille mit größter Deutlichkeit hervor.

Die andere Art regelwidriger Willensregungen, welche
recht insbesondere den Namen der krankhaften Abschweifungen
verdienen, weil sie nur bei allgemein krankhaften Zuständen
vorzukommen pflegen, sind die, welche da, wo nur das
Bewußtsein bestimmen sollte, vom Unbewußten bestimmt
werden und dem Bewußten keine Folge leisten. Es gehören
dahin alle unwillkürliche von Krankheitsreiz hervorgerufene
Bewegungen, die wir convulsivische nennen, und von wel¬
chen eine Form besonders hier Erwähnung verdient, weil
sie wieder innerhalb der Einheit des Geistes sehr bestimmt
auf jene divergente Strahlung oder gewisse Zweiheit deutet,
welche wir als Wille und Erkenntniß unterscheiden, ja,
welche zum Theil auch noch zwischen dem Willen und der
Willensvollstreckung einen besondern Unterschied zu erkennen
Gelegenheit gibt. Es gehören dahin die Fälle, wenn ent¬
weder ganz entgegengesetzt dem Urtheile der Erkenntniß ein
Wollen hervortritt, welches niemals im normalen Zustande

Willens aufführen können, dahin gehören nur theils Re¬
actionen ohne hinreichende Leitung der Erkenntniß oder die
ihr ungemäß ſind, theils Reactionen, welche zu viel und
unmittelbar da vom Unbewußten beſtimmt ſind, wo ſie es
nur vom Bewußten ſein ſollten. Wir nennen das kindiſch
und eigenwillig, wenn im gereiftern Menſchen Willens¬
regungen hervortreten, welche dem Lichte höherer Erkenntniß
entfremdet ſind, wenn z. B. mit Heftigkeit ungeeignete und
unzweckmäßige Nahrungsmittel begehrt werden, wenn Neigung
oder Abneigung ſogleich zu heftigen unangemeſſenen Willens¬
regungen ausſchlagen u. ſ. w., und dies aus keinem andern
Grunde, als weil eben im Kinde dieſe höhere Erkenntniß
noch fehlt und ſomit immerfort Willensbewegungen hervor¬
treten müſſen, welche ungeregelt und unangemeſſen wie ſie
ſind, hier zwar nicht anders ſein können, aber in gereifterer
Erkenntniß als krankhaft erſcheinen. In allen dieſen Be¬
ziehungen tritt ſonach die urſprüngliche innere Einheit von
Erkenntniß und Wille mit größter Deutlichkeit hervor.

Die andere Art regelwidriger Willensregungen, welche
recht insbeſondere den Namen der krankhaften Abſchweifungen
verdienen, weil ſie nur bei allgemein krankhaften Zuſtänden
vorzukommen pflegen, ſind die, welche da, wo nur das
Bewußtſein beſtimmen ſollte, vom Unbewußten beſtimmt
werden und dem Bewußten keine Folge leiſten. Es gehören
dahin alle unwillkürliche von Krankheitsreiz hervorgerufene
Bewegungen, die wir convulſiviſche nennen, und von wel¬
chen eine Form beſonders hier Erwähnung verdient, weil
ſie wieder innerhalb der Einheit des Geiſtes ſehr beſtimmt
auf jene divergente Strahlung oder gewiſſe Zweiheit deutet,
welche wir als Wille und Erkenntniß unterſcheiden, ja,
welche zum Theil auch noch zwiſchen dem Willen und der
Willensvollſtreckung einen beſondern Unterſchied zu erkennen
Gelegenheit gibt. Es gehören dahin die Fälle, wenn ent¬
weder ganz entgegengeſetzt dem Urtheile der Erkenntniß ein
Wollen hervortritt, welches niemals im normalen Zuſtande

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[366/0382] Willens aufführen können, dahin gehören nur theils Re¬ actionen ohne hinreichende Leitung der Erkenntniß oder die ihr ungemäß ſind, theils Reactionen, welche zu viel und unmittelbar da vom Unbewußten beſtimmt ſind, wo ſie es nur vom Bewußten ſein ſollten. Wir nennen das kindiſch und eigenwillig, wenn im gereiftern Menſchen Willens¬ regungen hervortreten, welche dem Lichte höherer Erkenntniß entfremdet ſind, wenn z. B. mit Heftigkeit ungeeignete und unzweckmäßige Nahrungsmittel begehrt werden, wenn Neigung oder Abneigung ſogleich zu heftigen unangemeſſenen Willens¬ regungen ausſchlagen u. ſ. w., und dies aus keinem andern Grunde, als weil eben im Kinde dieſe höhere Erkenntniß noch fehlt und ſomit immerfort Willensbewegungen hervor¬ treten müſſen, welche ungeregelt und unangemeſſen wie ſie ſind, hier zwar nicht anders ſein können, aber in gereifterer Erkenntniß als krankhaft erſcheinen. In allen dieſen Be¬ ziehungen tritt ſonach die urſprüngliche innere Einheit von Erkenntniß und Wille mit größter Deutlichkeit hervor. Die andere Art regelwidriger Willensregungen, welche recht insbeſondere den Namen der krankhaften Abſchweifungen verdienen, weil ſie nur bei allgemein krankhaften Zuſtänden vorzukommen pflegen, ſind die, welche da, wo nur das Bewußtſein beſtimmen ſollte, vom Unbewußten beſtimmt werden und dem Bewußten keine Folge leiſten. Es gehören dahin alle unwillkürliche von Krankheitsreiz hervorgerufene Bewegungen, die wir convulſiviſche nennen, und von wel¬ chen eine Form beſonders hier Erwähnung verdient, weil ſie wieder innerhalb der Einheit des Geiſtes ſehr beſtimmt auf jene divergente Strahlung oder gewiſſe Zweiheit deutet, welche wir als Wille und Erkenntniß unterſcheiden, ja, welche zum Theil auch noch zwiſchen dem Willen und der Willensvollſtreckung einen beſondern Unterſchied zu erkennen Gelegenheit gibt. Es gehören dahin die Fälle, wenn ent¬ weder ganz entgegengeſetzt dem Urtheile der Erkenntniß ein Wollen hervortritt, welches niemals im normalen Zuſtande

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/382>, abgerufen am 16.05.2024.