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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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endlich) steigern, wenn man jeder neuen Lebensform als
Bedingung ihres Seins eine eigenthümliche, neue, und
doch ewige Idee andichten wollte. Von einem göttlichen
Urbilde kann niemals zugegeben werden, daß es an und
für sich als ein neues aufträte, da es begreiflicherweise dem
Wesen des Ewigen widerspricht, es irgend als ein früher
noch nicht Dagewesenes zu denken, als welches jede Idee
doch gedacht werden müßte, die erst aus Theilung oder als
Vervielfältigung anderer Ideen entstanden angenommen
würde. Mache man es sich also hier nochmals recht deut¬
lich, daß nicht bloß zunächst für alle bewußtlos sich darle¬
benden, sondern auch für die zur Freiheit des Bewußtseins
bestimmten Ideen das Beispiel gelte, welches wir oben
vom Gesetz einer mathematischen Gestaltung hergenommen
hatten: daß nämlich, so wie das Gesetz des Dreiecks eines
und dasselbe bleibt, obwohl unzählige Male immer und immer
wieder in der Wirklichkeit als zeitlich vergängliches Dreieck
dargestellt, so auch sie, obwohl in sich immer dem Wesen
nach dieselben, doch in der Erscheinung unendliche Male
sich darzuleben vermögen.

Auf diese Weise also entsteht und vergeht und entsteht
immer wieder zunächst die unendliche Mannichfaltigkeit der
im Unbewußtsein verharrenden Welt. Systeme von Welt¬
körpern mit allen ihren unermeßlichen in der Nacht der
Bewußtlosigkeit verharrenden Geschöpfen, wo immerfort Ge¬
neration an Generation sich reiht, sie zeigen nur eben so
viele wiederholte Offenbarungen von einen und denselben
unendlichen in Gott gedachten Ideen, und wenn das Gesetz
einer Pflanzen- oder Thierform ins Unermeßliche immer
wieder in neuen Gestaltungen sich abbildet, so bleiben doch
die Urbilder in alle Ewigkeit dieselben. Ganz auf dieselbe
Weise ist aber in dieser Beziehung auch die unendliche Man¬
nichfaltigkeit in der Welt des bewußten Geistes zu denken!
Schon was wir früher erkannt haben von der Ewigkeit
jeder, nicht nur eine Seele schlechthin, sondern jede einzelne

endlich) ſteigern, wenn man jeder neuen Lebensform als
Bedingung ihres Seins eine eigenthümliche, neue, und
doch ewige Idee andichten wollte. Von einem göttlichen
Urbilde kann niemals zugegeben werden, daß es an und
für ſich als ein neues aufträte, da es begreiflicherweiſe dem
Weſen des Ewigen widerſpricht, es irgend als ein früher
noch nicht Dageweſenes zu denken, als welches jede Idee
doch gedacht werden müßte, die erſt aus Theilung oder als
Vervielfältigung anderer Ideen entſtanden angenommen
würde. Mache man es ſich alſo hier nochmals recht deut¬
lich, daß nicht bloß zunächſt für alle bewußtlos ſich darle¬
benden, ſondern auch für die zur Freiheit des Bewußtſeins
beſtimmten Ideen das Beiſpiel gelte, welches wir oben
vom Geſetz einer mathematiſchen Geſtaltung hergenommen
hatten: daß nämlich, ſo wie das Geſetz des Dreiecks eines
und daſſelbe bleibt, obwohl unzählige Male immer und immer
wieder in der Wirklichkeit als zeitlich vergängliches Dreieck
dargeſtellt, ſo auch ſie, obwohl in ſich immer dem Weſen
nach dieſelben, doch in der Erſcheinung unendliche Male
ſich darzuleben vermögen.

Auf dieſe Weiſe alſo entſteht und vergeht und entſteht
immer wieder zunächſt die unendliche Mannichfaltigkeit der
im Unbewußtſein verharrenden Welt. Syſteme von Welt¬
körpern mit allen ihren unermeßlichen in der Nacht der
Bewußtloſigkeit verharrenden Geſchöpfen, wo immerfort Ge¬
neration an Generation ſich reiht, ſie zeigen nur eben ſo
viele wiederholte Offenbarungen von einen und denſelben
unendlichen in Gott gedachten Ideen, und wenn das Geſetz
einer Pflanzen- oder Thierform ins Unermeßliche immer
wieder in neuen Geſtaltungen ſich abbildet, ſo bleiben doch
die Urbilder in alle Ewigkeit dieſelben. Ganz auf dieſelbe
Weiſe iſt aber in dieſer Beziehung auch die unendliche Man¬
nichfaltigkeit in der Welt des bewußten Geiſtes zu denken!
Schon was wir früher erkannt haben von der Ewigkeit
jeder, nicht nur eine Seele ſchlechthin, ſondern jede einzelne

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[473/0489] endlich) ſteigern, wenn man jeder neuen Lebensform als Bedingung ihres Seins eine eigenthümliche, neue, und doch ewige Idee andichten wollte. Von einem göttlichen Urbilde kann niemals zugegeben werden, daß es an und für ſich als ein neues aufträte, da es begreiflicherweiſe dem Weſen des Ewigen widerſpricht, es irgend als ein früher noch nicht Dageweſenes zu denken, als welches jede Idee doch gedacht werden müßte, die erſt aus Theilung oder als Vervielfältigung anderer Ideen entſtanden angenommen würde. Mache man es ſich alſo hier nochmals recht deut¬ lich, daß nicht bloß zunächſt für alle bewußtlos ſich darle¬ benden, ſondern auch für die zur Freiheit des Bewußtſeins beſtimmten Ideen das Beiſpiel gelte, welches wir oben vom Geſetz einer mathematiſchen Geſtaltung hergenommen hatten: daß nämlich, ſo wie das Geſetz des Dreiecks eines und daſſelbe bleibt, obwohl unzählige Male immer und immer wieder in der Wirklichkeit als zeitlich vergängliches Dreieck dargeſtellt, ſo auch ſie, obwohl in ſich immer dem Weſen nach dieſelben, doch in der Erſcheinung unendliche Male ſich darzuleben vermögen. Auf dieſe Weiſe alſo entſteht und vergeht und entſteht immer wieder zunächſt die unendliche Mannichfaltigkeit der im Unbewußtſein verharrenden Welt. Syſteme von Welt¬ körpern mit allen ihren unermeßlichen in der Nacht der Bewußtloſigkeit verharrenden Geſchöpfen, wo immerfort Ge¬ neration an Generation ſich reiht, ſie zeigen nur eben ſo viele wiederholte Offenbarungen von einen und denſelben unendlichen in Gott gedachten Ideen, und wenn das Geſetz einer Pflanzen- oder Thierform ins Unermeßliche immer wieder in neuen Geſtaltungen ſich abbildet, ſo bleiben doch die Urbilder in alle Ewigkeit dieſelben. Ganz auf dieſelbe Weiſe iſt aber in dieſer Beziehung auch die unendliche Man¬ nichfaltigkeit in der Welt des bewußten Geiſtes zu denken! Schon was wir früher erkannt haben von der Ewigkeit jeder, nicht nur eine Seele ſchlechthin, ſondern jede einzelne

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/489>, abgerufen am 04.06.2024.