welche unverbunden und nur zufälligen Erfahrungen entsprungen wa- ren. Doch ist das, was wir aus den in der Sprache niedergelegten Er- gebnissen jener anfänglichen Bekanntschaft mit den Thieren abzuleiten im Stande sind, auch für rein zoologische Fragen von wissenschaftlichem Werthe.
In Folge des gegen spätere Zeiten ungleich innigeren Anschlusses an die Natur, von welcher den Menschen weder Verweichlichung und Verfeinerung der Sitten noch Beschäftigung mit nicht streng zu ihr Ge- hörigem geschieden hatte, entwickelte sich allmählich ein nicht bloß äußer- liches Vertrautsein mit dem Leben der Thiere. Wie der Mensch bei Thie- ren gemüthliche Aeußerungen, Neigungen und Abneigungen, häusliches oder geselliges Leben beobachtete, Erscheinungen, welche dem von und an ihm selbst Gefühlten und Erlebten wenn auch nicht dem Inhalte doch der Form nach ähnlich waren, so trat die Veranlassung wohl nicht unbe- gründet an ihn heran, ähnliche äußere Wirkungen auch auf ähnliche innere Ursachen zurückzuführen und die bei Thieren gesehenen Regun- gen geistigen Lebens mit einem seiner Seelenthätigkeit entsprechenden Maßstab zu messen. Mischte auch die Einbildungskraft ein reichliches Theil völlig Unhaltbaren der Gesammtheit des richtig Beobachteten zu, so gehören doch die über das Seelenleben einzelner Thiere gewonnenen Kenntnisse zu dem Werthvollsten, was uns die schöne sagenreiche Ur- zeit, "als noch die Thiere sprachen", überliefert hat. Auch hiervon hat eine Geschichte der Zoologie manches Bedeutungsvolle aufzunehmen.
Führte so die erste Bekanntschaft mit Thieren zu einer Kenntniß der äußeren Gestalt derselben und derjenigen ihrer Eigenschaften, welche wesentlich die Art ihres Verhältnisses zum Menschen bestimmten, so konnte das gliedernde und ordnende Denkvermögen dem sich immer reicher entfaltenden Bilde des Thierlebens gegenüber nicht hierbei bloß stehen bleiben. Wie schon die Sprache in ihren Bezeichnungen für die verschiedenen Thiere keine Namen für Einzelwesen, sondern Gesammt- ausdrücke für sämmtliche gleichgestaltete, gleichgefärbte, gleichlebende Thiere schuf, so wurden dieselben allmählich zu der Bedeutung erwei- tert, daß sie gewissermaßen als Fächer zur Aufnahme neuer, nach und nach in die Erfahrung des Menschen eintretender Thiere dienen konn-
Einleitung.
welche unverbunden und nur zufälligen Erfahrungen entſprungen wa- ren. Doch iſt das, was wir aus den in der Sprache niedergelegten Er- gebniſſen jener anfänglichen Bekanntſchaft mit den Thieren abzuleiten im Stande ſind, auch für rein zoologiſche Fragen von wiſſenſchaftlichem Werthe.
In Folge des gegen ſpätere Zeiten ungleich innigeren Anſchluſſes an die Natur, von welcher den Menſchen weder Verweichlichung und Verfeinerung der Sitten noch Beſchäftigung mit nicht ſtreng zu ihr Ge- hörigem geſchieden hatte, entwickelte ſich allmählich ein nicht bloß äußer- liches Vertrautſein mit dem Leben der Thiere. Wie der Menſch bei Thie- ren gemüthliche Aeußerungen, Neigungen und Abneigungen, häusliches oder geſelliges Leben beobachtete, Erſcheinungen, welche dem von und an ihm ſelbſt Gefühlten und Erlebten wenn auch nicht dem Inhalte doch der Form nach ähnlich waren, ſo trat die Veranlaſſung wohl nicht unbe- gründet an ihn heran, ähnliche äußere Wirkungen auch auf ähnliche innere Urſachen zurückzuführen und die bei Thieren geſehenen Regun- gen geiſtigen Lebens mit einem ſeiner Seelenthätigkeit entſprechenden Maßſtab zu meſſen. Miſchte auch die Einbildungskraft ein reichliches Theil völlig Unhaltbaren der Geſammtheit des richtig Beobachteten zu, ſo gehören doch die über das Seelenleben einzelner Thiere gewonnenen Kenntniſſe zu dem Werthvollſten, was uns die ſchöne ſagenreiche Ur- zeit, „als noch die Thiere ſprachen“, überliefert hat. Auch hiervon hat eine Geſchichte der Zoologie manches Bedeutungsvolle aufzunehmen.
Führte ſo die erſte Bekanntſchaft mit Thieren zu einer Kenntniß der äußeren Geſtalt derſelben und derjenigen ihrer Eigenſchaften, welche weſentlich die Art ihres Verhältniſſes zum Menſchen beſtimmten, ſo konnte das gliedernde und ordnende Denkvermögen dem ſich immer reicher entfaltenden Bilde des Thierlebens gegenüber nicht hierbei bloß ſtehen bleiben. Wie ſchon die Sprache in ihren Bezeichnungen für die verſchiedenen Thiere keine Namen für Einzelweſen, ſondern Geſammt- ausdrücke für ſämmtliche gleichgeſtaltete, gleichgefärbte, gleichlebende Thiere ſchuf, ſo wurden dieſelben allmählich zu der Bedeutung erwei- tert, daß ſie gewiſſermaßen als Fächer zur Aufnahme neuer, nach und nach in die Erfahrung des Menſchen eintretender Thiere dienen konn-
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Einleitung.
welche unverbunden und nur zufälligen Erfahrungen entſprungen wa-
ren. Doch iſt das, was wir aus den in der Sprache niedergelegten Er-
gebniſſen jener anfänglichen Bekanntſchaft mit den Thieren abzuleiten
im Stande ſind, auch für rein zoologiſche Fragen von wiſſenſchaftlichem
Werthe.
In Folge des gegen ſpätere Zeiten ungleich innigeren Anſchluſſes
an die Natur, von welcher den Menſchen weder Verweichlichung und
Verfeinerung der Sitten noch Beſchäftigung mit nicht ſtreng zu ihr Ge-
hörigem geſchieden hatte, entwickelte ſich allmählich ein nicht bloß äußer-
liches Vertrautſein mit dem Leben der Thiere. Wie der Menſch bei Thie-
ren gemüthliche Aeußerungen, Neigungen und Abneigungen, häusliches
oder geſelliges Leben beobachtete, Erſcheinungen, welche dem von und an
ihm ſelbſt Gefühlten und Erlebten wenn auch nicht dem Inhalte doch der
Form nach ähnlich waren, ſo trat die Veranlaſſung wohl nicht unbe-
gründet an ihn heran, ähnliche äußere Wirkungen auch auf ähnliche
innere Urſachen zurückzuführen und die bei Thieren geſehenen Regun-
gen geiſtigen Lebens mit einem ſeiner Seelenthätigkeit entſprechenden
Maßſtab zu meſſen. Miſchte auch die Einbildungskraft ein reichliches
Theil völlig Unhaltbaren der Geſammtheit des richtig Beobachteten zu,
ſo gehören doch die über das Seelenleben einzelner Thiere gewonnenen
Kenntniſſe zu dem Werthvollſten, was uns die ſchöne ſagenreiche Ur-
zeit, „als noch die Thiere ſprachen“, überliefert hat. Auch hiervon hat
eine Geſchichte der Zoologie manches Bedeutungsvolle aufzunehmen.
Führte ſo die erſte Bekanntſchaft mit Thieren zu einer Kenntniß
der äußeren Geſtalt derſelben und derjenigen ihrer Eigenſchaften, welche
weſentlich die Art ihres Verhältniſſes zum Menſchen beſtimmten, ſo
konnte das gliedernde und ordnende Denkvermögen dem ſich immer
reicher entfaltenden Bilde des Thierlebens gegenüber nicht hierbei bloß
ſtehen bleiben. Wie ſchon die Sprache in ihren Bezeichnungen für die
verſchiedenen Thiere keine Namen für Einzelweſen, ſondern Geſammt-
ausdrücke für ſämmtliche gleichgeſtaltete, gleichgefärbte, gleichlebende
Thiere ſchuf, ſo wurden dieſelben allmählich zu der Bedeutung erwei-
tert, daß ſie gewiſſermaßen als Fächer zur Aufnahme neuer, nach und
nach in die Erfahrung des Menſchen eintretender Thiere dienen konn-
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/13>, abgerufen am 29.04.2024.
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