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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Die Zoologie der Araber.
thum andererseits vorhanden waren und so viel davon besonders in der
Ritualistik des religiösen Lebens zur Erscheinung kam, so lag doch darin
ein großer Unterschied, daß im jüdischen und christlichen Gottesbegriff
ein ziemlich weit gehender Anthropomorphismus auftrat, während der
Muhammedaner sich und die ganze Welt in einen viel schrofferen Ge-
gensatz zu Gott stellte. Selbstverständlich soll damit nicht gesagt sein,
daß sich die dichterische Phantasie der Araber nicht mit Bildern erfüllt
hätte, welche Gott menschlich faßbar darstellten. Wichtig ist aber dieser
Umstand in Bezug auf die Beurtheilung des Verhältnisses der Natur
zu Gott.

Entsprechend der Verbreitungsweise des Islam durch das Schwert
konnte besonders im Anfange seiner Laufbahn ein reiches Erblühn wis-
senschaftlichen Lebens nicht erwartet werden. Die Verlegung des Cha-
lifensitzes von Mekka nach Damaskus unter Muawia I führte zwar
dort die Araber nicht bloß mitten in eine griechisch-christliche Bevölke-
rung, sondern ließ auch unter dem genannten wie unter seinem Nach-
folger Abd-el-Melik eine medicinische Schule entstehen, in welcher jeden-
falls griechische Autoren der Bildung werden zu Grunde gelegt worden
sein77). Eine besondere Anregung erhielt aber das Aufblühn der Wis-
senschaft, als unter den Abbasiden die schon seit längerer Zeit an stren-
gere geistige Arbeit gewöhnten griechischen Christen und die der Pflege
der Gelehrsamkeit besonders ergebenen Perser in den Kreis der ara-
bischen Geistesbildung gezogen wurden. Freilich führte das Studium
zunächst zur Auslegung des Koran und Begründung einer aus diesem
abzuleitenden, für die Sicherung der sich neu ordnenden socialen Ver-

77) Sie wurde von einem griechischen Arzte Theodokos in
der ersten Hälfte
des 8. Jahrhunderts gegründet. Aus ihr gieng unter andern Schülern einer her-
vor, den Häser (Geschichte der Medicin, 2. Aufl. 1. Bd. S. 128) irrig Jbn
Schdinatha und einen der berühmtesten arabischen Aerzte und Naturforscher nennt.
Es ist dies die Stelle aus Abulfaragii Hist. dynast. ed. Pococke, S. 200,
Uebersetzung S. 128, wo der unter Mansur lebende Jude, Phorat Ibn Schonatha
(oder Forat Jbn Schachnasa, wie ihn Hammer von Purgstall, Literaturgesch. d.
Araber I, 3. S. 270 nennt) einfach als Schüler dieser Schule angeführt wird. vergl.
über die Stelle bei Häser: E. Meyer, Gesch. der Botanik 3. Bd. S. 92, wo der
Irrthum bereits berichtigt wird.

Die Zoologie der Araber.
thum andererſeits vorhanden waren und ſo viel davon beſonders in der
Ritualiſtik des religiöſen Lebens zur Erſcheinung kam, ſo lag doch darin
ein großer Unterſchied, daß im jüdiſchen und chriſtlichen Gottesbegriff
ein ziemlich weit gehender Anthropomorphismus auftrat, während der
Muhammedaner ſich und die ganze Welt in einen viel ſchrofferen Ge-
genſatz zu Gott ſtellte. Selbſtverſtändlich ſoll damit nicht geſagt ſein,
daß ſich die dichteriſche Phantaſie der Araber nicht mit Bildern erfüllt
hätte, welche Gott menſchlich faßbar darſtellten. Wichtig iſt aber dieſer
Umſtand in Bezug auf die Beurtheilung des Verhältniſſes der Natur
zu Gott.

Entſprechend der Verbreitungsweiſe des Islam durch das Schwert
konnte beſonders im Anfange ſeiner Laufbahn ein reiches Erblühn wiſ-
ſenſchaftlichen Lebens nicht erwartet werden. Die Verlegung des Cha-
lifenſitzes von Mekka nach Damaskus unter Muawia I führte zwar
dort die Araber nicht bloß mitten in eine griechiſch-chriſtliche Bevölke-
rung, ſondern ließ auch unter dem genannten wie unter ſeinem Nach-
folger Abd-el-Melik eine mediciniſche Schule entſtehen, in welcher jeden-
falls griechiſche Autoren der Bildung werden zu Grunde gelegt worden
ſein77). Eine beſondere Anregung erhielt aber das Aufblühn der Wiſ-
ſenſchaft, als unter den Abbaſiden die ſchon ſeit längerer Zeit an ſtren-
gere geiſtige Arbeit gewöhnten griechiſchen Chriſten und die der Pflege
der Gelehrſamkeit beſonders ergebenen Perſer in den Kreis der ara-
biſchen Geiſtesbildung gezogen wurden. Freilich führte das Studium
zunächſt zur Auslegung des Koran und Begründung einer aus dieſem
abzuleitenden, für die Sicherung der ſich neu ordnenden ſocialen Ver-

77) Sie wurde von einem griechiſchen Arzte Theodokos in
der erſten Hälfte
des 8. Jahrhunderts gegründet. Aus ihr gieng unter andern Schülern einer her-
vor, den Häſer (Geſchichte der Medicin, 2. Aufl. 1. Bd. S. 128) irrig Jbn
Schdinatha und einen der berühmteſten arabiſchen Aerzte und Naturforſcher nennt.
Es iſt dies die Stelle aus Abulfaragii Hiſt. dynaſt. ed. Pococke, S. 200,
Ueberſetzung S. 128, wo der unter Manſur lebende Jude, Phorat Ibn Schonatha
(oder Forat Jbn Schachnaſa, wie ihn Hammer von Purgſtall, Literaturgeſch. d.
Araber I, 3. S. 270 nennt) einfach als Schüler dieſer Schule angeführt wird. vergl.
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Irrthum bereits berichtigt wird.
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[153/0164] Die Zoologie der Araber. thum andererſeits vorhanden waren und ſo viel davon beſonders in der Ritualiſtik des religiöſen Lebens zur Erſcheinung kam, ſo lag doch darin ein großer Unterſchied, daß im jüdiſchen und chriſtlichen Gottesbegriff ein ziemlich weit gehender Anthropomorphismus auftrat, während der Muhammedaner ſich und die ganze Welt in einen viel ſchrofferen Ge- genſatz zu Gott ſtellte. Selbſtverſtändlich ſoll damit nicht geſagt ſein, daß ſich die dichteriſche Phantaſie der Araber nicht mit Bildern erfüllt hätte, welche Gott menſchlich faßbar darſtellten. Wichtig iſt aber dieſer Umſtand in Bezug auf die Beurtheilung des Verhältniſſes der Natur zu Gott. Entſprechend der Verbreitungsweiſe des Islam durch das Schwert konnte beſonders im Anfange ſeiner Laufbahn ein reiches Erblühn wiſ- ſenſchaftlichen Lebens nicht erwartet werden. Die Verlegung des Cha- lifenſitzes von Mekka nach Damaskus unter Muawia I führte zwar dort die Araber nicht bloß mitten in eine griechiſch-chriſtliche Bevölke- rung, ſondern ließ auch unter dem genannten wie unter ſeinem Nach- folger Abd-el-Melik eine mediciniſche Schule entſtehen, in welcher jeden- falls griechiſche Autoren der Bildung werden zu Grunde gelegt worden ſein 77). Eine beſondere Anregung erhielt aber das Aufblühn der Wiſ- ſenſchaft, als unter den Abbaſiden die ſchon ſeit längerer Zeit an ſtren- gere geiſtige Arbeit gewöhnten griechiſchen Chriſten und die der Pflege der Gelehrſamkeit beſonders ergebenen Perſer in den Kreis der ara- biſchen Geiſtesbildung gezogen wurden. Freilich führte das Studium zunächſt zur Auslegung des Koran und Begründung einer aus dieſem abzuleitenden, für die Sicherung der ſich neu ordnenden ſocialen Ver- 77) Sie wurde von einem griechiſchen Arzte Theodokos in der erſten Hälfte des 8. Jahrhunderts gegründet. Aus ihr gieng unter andern Schülern einer her- vor, den Häſer (Geſchichte der Medicin, 2. Aufl. 1. Bd. S. 128) irrig Jbn Schdinatha und einen der berühmteſten arabiſchen Aerzte und Naturforſcher nennt. Es iſt dies die Stelle aus Abulfaragii Hiſt. dynaſt. ed. Pococke, S. 200, Ueberſetzung S. 128, wo der unter Manſur lebende Jude, Phorat Ibn Schonatha (oder Forat Jbn Schachnaſa, wie ihn Hammer von Purgſtall, Literaturgeſch. d. Araber I, 3. S. 270 nennt) einfach als Schüler dieſer Schule angeführt wird. vergl. über die Stelle bei Häſer: E. Meyer, Geſch. der Botanik 3. Bd. S. 92, wo der Irrthum bereits berichtigt wird.

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/164>, abgerufen am 14.05.2024.