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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Das dreizehnte Jahrhundert.
Zusammenhange mit der modernen Welt, die ganzen Anschauungen,
Sitten, Beziehungen dieser wurzeln so sehr in der vorhumanistischen
Zeit des Mittelalters, daß man trotz der bedeutenden Oede des vier-
zehnten und fünfzehnten Jahrhunderts doch das dreizehnte mit Fug
und Recht als Ausgangspunkt wie der naturwissenschaftlichen Erhebung
im Allgemeinen, so besonders auch der Zoologie ansehen darf. Ueber
den allerdings kaum hoch genug zu schätzenden, aber doch immer nur
formalen Werth der mit dem Aufblühn des Humanismus erwachenden
und durch ihn geförderten Bildung, welche besonders der wissenschaft-
lichen Darstellungsweise wieder Geschmack und bessere Form einbrachte,
hat man nun aber leider versäumt, tiefer eingehend sich mit dem gei-
stigen, jetzt nur in Schriften noch erkennbaren Leben jenes merkwür-
digen Zeitalters auch auf anderm als theologischem Gebiete zu beschäf-
tigen und vor Allem die litterarischen Fäden zu verfolgen, welche jetzt
nicht bloß bei den einzelnen Schriftstellern der betreffenden Zeit, son-
dern auch in den wechselseitigen Verkehrserscheinungen verwandter Lit-
teraturen sich zu fast unlösbarem Knoten zu verschlingen scheinen. Die
nachher specieller zu erwähnenden wichtigen Werke erhalten allerdings
durch das Anknüpfen an Aristoteles ihre größte Bedeutung. Da sie
aber in einer Zeit erschienen, in welcher in Folge der Kreuzzüge, des
regeren Verkehrs, des allgemeinen freieren Aufschwungs eine lebendi-
gere Theilnahme für die Natur rege wurde und in welcher daher auch
die Litteratur sich reichlicher auf Besprechungen natürlicher Erscheinun-
gen einließ, so wäre es nicht bloß von litterarischem Interesse, den
Boden auf dem sie sich erheben, mehr in's Einzelne kennen zu lernen,
als es für jetzt noch möglich ist.

Wäre mit dem Bekanntwerden des Aristoteles gleich seine Me-
thode oder wenigstens seine Anschauungsart überall zu Grunde gelegt
worden, so würde eine Untersuchung über das zu jener Zeit vorliegende
Material an bekannten Thierformen besondere Bedeutung erhalten.
Es ließe sich daraus ableiten, bis zu welchen wissenschaftlichen Folge-
rungen zu schreiten die Zeit in der Lage war. Nun gab es allerdings
damals weder Zoologen von Fach noch sich vorzüglich mit Thierge-
schichte beschäftigende Aerzte. Doch ist es immerhin von Wichtigkeit,

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Das dreizehnte Jahrhundert.
Zuſammenhange mit der modernen Welt, die ganzen Anſchauungen,
Sitten, Beziehungen dieſer wurzeln ſo ſehr in der vorhumaniſtiſchen
Zeit des Mittelalters, daß man trotz der bedeutenden Oede des vier-
zehnten und fünfzehnten Jahrhunderts doch das dreizehnte mit Fug
und Recht als Ausgangspunkt wie der naturwiſſenſchaftlichen Erhebung
im Allgemeinen, ſo beſonders auch der Zoologie anſehen darf. Ueber
den allerdings kaum hoch genug zu ſchätzenden, aber doch immer nur
formalen Werth der mit dem Aufblühn des Humanismus erwachenden
und durch ihn geförderten Bildung, welche beſonders der wiſſenſchaft-
lichen Darſtellungsweiſe wieder Geſchmack und beſſere Form einbrachte,
hat man nun aber leider verſäumt, tiefer eingehend ſich mit dem gei-
ſtigen, jetzt nur in Schriften noch erkennbaren Leben jenes merkwür-
digen Zeitalters auch auf anderm als theologiſchem Gebiete zu beſchäf-
tigen und vor Allem die litterariſchen Fäden zu verfolgen, welche jetzt
nicht bloß bei den einzelnen Schriftſtellern der betreffenden Zeit, ſon-
dern auch in den wechſelſeitigen Verkehrserſcheinungen verwandter Lit-
teraturen ſich zu faſt unlösbarem Knoten zu verſchlingen ſcheinen. Die
nachher ſpecieller zu erwähnenden wichtigen Werke erhalten allerdings
durch das Anknüpfen an Ariſtoteles ihre größte Bedeutung. Da ſie
aber in einer Zeit erſchienen, in welcher in Folge der Kreuzzüge, des
regeren Verkehrs, des allgemeinen freieren Aufſchwungs eine lebendi-
gere Theilnahme für die Natur rege wurde und in welcher daher auch
die Litteratur ſich reichlicher auf Beſprechungen natürlicher Erſcheinun-
gen einließ, ſo wäre es nicht bloß von litterariſchem Intereſſe, den
Boden auf dem ſie ſich erheben, mehr in's Einzelne kennen zu lernen,
als es für jetzt noch möglich iſt.

Wäre mit dem Bekanntwerden des Ariſtoteles gleich ſeine Me-
thode oder wenigſtens ſeine Anſchauungsart überall zu Grunde gelegt
worden, ſo würde eine Unterſuchung über das zu jener Zeit vorliegende
Material an bekannten Thierformen beſondere Bedeutung erhalten.
Es ließe ſich daraus ableiten, bis zu welchen wiſſenſchaftlichen Folge-
rungen zu ſchreiten die Zeit in der Lage war. Nun gab es allerdings
damals weder Zoologen von Fach noch ſich vorzüglich mit Thierge-
ſchichte beſchäftigende Aerzte. Doch iſt es immerhin von Wichtigkeit,

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[179/0190] Das dreizehnte Jahrhundert. Zuſammenhange mit der modernen Welt, die ganzen Anſchauungen, Sitten, Beziehungen dieſer wurzeln ſo ſehr in der vorhumaniſtiſchen Zeit des Mittelalters, daß man trotz der bedeutenden Oede des vier- zehnten und fünfzehnten Jahrhunderts doch das dreizehnte mit Fug und Recht als Ausgangspunkt wie der naturwiſſenſchaftlichen Erhebung im Allgemeinen, ſo beſonders auch der Zoologie anſehen darf. Ueber den allerdings kaum hoch genug zu ſchätzenden, aber doch immer nur formalen Werth der mit dem Aufblühn des Humanismus erwachenden und durch ihn geförderten Bildung, welche beſonders der wiſſenſchaft- lichen Darſtellungsweiſe wieder Geſchmack und beſſere Form einbrachte, hat man nun aber leider verſäumt, tiefer eingehend ſich mit dem gei- ſtigen, jetzt nur in Schriften noch erkennbaren Leben jenes merkwür- digen Zeitalters auch auf anderm als theologiſchem Gebiete zu beſchäf- tigen und vor Allem die litterariſchen Fäden zu verfolgen, welche jetzt nicht bloß bei den einzelnen Schriftſtellern der betreffenden Zeit, ſon- dern auch in den wechſelſeitigen Verkehrserſcheinungen verwandter Lit- teraturen ſich zu faſt unlösbarem Knoten zu verſchlingen ſcheinen. Die nachher ſpecieller zu erwähnenden wichtigen Werke erhalten allerdings durch das Anknüpfen an Ariſtoteles ihre größte Bedeutung. Da ſie aber in einer Zeit erſchienen, in welcher in Folge der Kreuzzüge, des regeren Verkehrs, des allgemeinen freieren Aufſchwungs eine lebendi- gere Theilnahme für die Natur rege wurde und in welcher daher auch die Litteratur ſich reichlicher auf Beſprechungen natürlicher Erſcheinun- gen einließ, ſo wäre es nicht bloß von litterariſchem Intereſſe, den Boden auf dem ſie ſich erheben, mehr in's Einzelne kennen zu lernen, als es für jetzt noch möglich iſt. Wäre mit dem Bekanntwerden des Ariſtoteles gleich ſeine Me- thode oder wenigſtens ſeine Anſchauungsart überall zu Grunde gelegt worden, ſo würde eine Unterſuchung über das zu jener Zeit vorliegende Material an bekannten Thierformen beſondere Bedeutung erhalten. Es ließe ſich daraus ableiten, bis zu welchen wiſſenſchaftlichen Folge- rungen zu ſchreiten die Zeit in der Lage war. Nun gab es allerdings damals weder Zoologen von Fach noch ſich vorzüglich mit Thierge- ſchichte beſchäftigende Aerzte. Doch iſt es immerhin von Wichtigkeit, 12 *

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/190>, abgerufen am 29.04.2024.