Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Periode der Systematik.
beitrug, war er die ersten drei Jahre lang Secretair, später vieljähriger
Director. Er machte ihr nicht bloß zahlreiche naturgeschichtliche Mit-
theilungen, sondern nahm auch 1749 "die Arbeiten eines ordentlichen
Operators über sich" und erzählte der Gesellschaft "nach Anleitung der
Wolfischen Physik die Dinge, so in der Erde befindlich sind". Klein
starb am 27. Februar 1759. Trotz der vielen Fehler, welche Klein's
System hat und der großen Oberflächlichkeit, mit welcher es aufgestellt
wurde, ist es doch eine äußerst charakteristische Erscheinung sowohl für
die Zeit, in welcher es entstand, als auch für die Ansprüche, welche
man von sehr vielen Seiten aus an ein solches stellte. Man kann wohl
sagen, es trägt den Stempel der Liebhaberarbeit an der Stirn; denn
wenn auch viele der bedeutendsten Leistungen, deren oben gedacht
wurde, aus Liebhaberei zur Natur hervorgiengen, so besteht doch zwi-
schen jenen und den Versuchen Klein's der große Unterschied, daß jene
vom Einzelnen ausgehend daran Genüge fanden und sich von ihnen
aus inductiv zu allgemeinen Ansichten zu erheben versuchten, während
Klein gewissermaßen von oben herabsehend und arbeitend einen schola-
stischen Formalismus zur Anwendung bringt und daher auch nur das
alleräußerlichste Verlangen an das System stellt, ihm auf eine leichte und
sichere Art die Mittel zu bieten, "fremde oder noch nie gesehene Thiere
nach auffallenden Charakteren erkennen und benennen zu können"36).
An der hier angezogenen Stelle weist Klein die in Linne's Charakteristik
der Amphibien enthaltenen Worte, daß dieselben keine Backzähne haben,
mit der Bemerkung zurück, daß man, um dies zu entscheiden, die Fin-
ger oder das anatomische Messer anwenden müsse; dies gehöre aber
eigentlich gar nicht zur zoologischen Methode. Wolle man wissen, ob
ein Thier Zähne habe, dann müsse man ja vielleicht gewaltsam den
Mund öffnen! Eine Erklärung der einzelnen Formen, ein Versuch,
sich das Zustandekommen oder die Entstehung besonders abweichend er-
scheinender Thiergruppen zu denken, findet sich bei Klein nicht. Ari-
stoteles
hatte die Verwandtschaft der Schlangen mit den Eidechsen ganz

36) Klein, Summa dubiorum circa classes Quadrupedum et Amphi-
biorum. p. 25.
Anm. g.

Periode der Syſtematik.
beitrug, war er die erſten drei Jahre lang Secretair, ſpäter vieljähriger
Director. Er machte ihr nicht bloß zahlreiche naturgeſchichtliche Mit-
theilungen, ſondern nahm auch 1749 „die Arbeiten eines ordentlichen
Operators über ſich“ und erzählte der Geſellſchaft „nach Anleitung der
Wolfiſchen Phyſik die Dinge, ſo in der Erde befindlich ſind“. Klein
ſtarb am 27. Februar 1759. Trotz der vielen Fehler, welche Klein's
Syſtem hat und der großen Oberflächlichkeit, mit welcher es aufgeſtellt
wurde, iſt es doch eine äußerſt charakteriſtiſche Erſcheinung ſowohl für
die Zeit, in welcher es entſtand, als auch für die Anſprüche, welche
man von ſehr vielen Seiten aus an ein ſolches ſtellte. Man kann wohl
ſagen, es trägt den Stempel der Liebhaberarbeit an der Stirn; denn
wenn auch viele der bedeutendſten Leiſtungen, deren oben gedacht
wurde, aus Liebhaberei zur Natur hervorgiengen, ſo beſteht doch zwi-
ſchen jenen und den Verſuchen Klein's der große Unterſchied, daß jene
vom Einzelnen ausgehend daran Genüge fanden und ſich von ihnen
aus inductiv zu allgemeinen Anſichten zu erheben verſuchten, während
Klein gewiſſermaßen von oben herabſehend und arbeitend einen ſchola-
ſtiſchen Formalismus zur Anwendung bringt und daher auch nur das
alleräußerlichſte Verlangen an das Syſtem ſtellt, ihm auf eine leichte und
ſichere Art die Mittel zu bieten, „fremde oder noch nie geſehene Thiere
nach auffallenden Charakteren erkennen und benennen zu können“36).
An der hier angezogenen Stelle weiſt Klein die in Linné's Charakteriſtik
der Amphibien enthaltenen Worte, daß dieſelben keine Backzähne haben,
mit der Bemerkung zurück, daß man, um dies zu entſcheiden, die Fin-
ger oder das anatomiſche Meſſer anwenden müſſe; dies gehöre aber
eigentlich gar nicht zur zoologiſchen Methode. Wolle man wiſſen, ob
ein Thier Zähne habe, dann müſſe man ja vielleicht gewaltſam den
Mund öffnen! Eine Erklärung der einzelnen Formen, ein Verſuch,
ſich das Zuſtandekommen oder die Entſtehung beſonders abweichend er-
ſcheinender Thiergruppen zu denken, findet ſich bei Klein nicht. Ari-
ſtoteles
hatte die Verwandtſchaft der Schlangen mit den Eidechſen ganz

36) Klein, Summa dubiorum circa classes Quadrupedum et Amphi-
biorum. p. 25.
Anm. γ.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0485" n="474"/><fw place="top" type="header">Periode der Sy&#x017F;tematik.</fw><lb/>
beitrug, war er die er&#x017F;ten drei Jahre lang Secretair, &#x017F;päter vieljähriger<lb/>
Director. Er machte ihr nicht bloß zahlreiche naturge&#x017F;chichtliche Mit-<lb/>
theilungen, &#x017F;ondern nahm auch 1749 &#x201E;die Arbeiten eines ordentlichen<lb/>
Operators über &#x017F;ich&#x201C; und erzählte der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x201E;nach Anleitung der<lb/>
Wolfi&#x017F;chen Phy&#x017F;ik die Dinge, &#x017F;o in der Erde befindlich &#x017F;ind&#x201C;. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117523216">Klein</persName><lb/>
&#x017F;tarb am 27. Februar 1759. Trotz der vielen Fehler, welche <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117523216">Klein</persName>'s<lb/>
Sy&#x017F;tem hat und der großen Oberflächlichkeit, mit welcher es aufge&#x017F;tellt<lb/>
wurde, i&#x017F;t es doch eine äußer&#x017F;t charakteri&#x017F;ti&#x017F;che Er&#x017F;cheinung &#x017F;owohl für<lb/>
die Zeit, in welcher es ent&#x017F;tand, als auch für die An&#x017F;prüche, welche<lb/>
man von &#x017F;ehr vielen Seiten aus an ein &#x017F;olches &#x017F;tellte. Man kann wohl<lb/>
&#x017F;agen, es trägt den Stempel der Liebhaberarbeit an der Stirn; denn<lb/>
wenn auch viele der bedeutend&#x017F;ten Lei&#x017F;tungen, deren oben gedacht<lb/>
wurde, aus Liebhaberei zur Natur hervorgiengen, &#x017F;o be&#x017F;teht doch zwi-<lb/>
&#x017F;chen jenen und den Ver&#x017F;uchen <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117523216">Klein</persName>'s der große Unter&#x017F;chied, daß jene<lb/>
vom Einzelnen ausgehend daran Genüge fanden und &#x017F;ich von ihnen<lb/>
aus inductiv zu allgemeinen An&#x017F;ichten zu erheben ver&#x017F;uchten, während<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/117523216">Klein</persName> gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen von oben herab&#x017F;ehend und arbeitend einen &#x017F;chola-<lb/>
&#x017F;ti&#x017F;chen Formalismus zur Anwendung bringt und daher auch nur das<lb/>
alleräußerlich&#x017F;te Verlangen an das Sy&#x017F;tem &#x017F;tellt, ihm auf eine leichte und<lb/>
&#x017F;ichere Art die Mittel zu bieten, &#x201E;fremde oder noch nie ge&#x017F;ehene Thiere<lb/>
nach auffallenden Charakteren erkennen und benennen zu können&#x201C;<note place="foot" n="36)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/117523216">Klein</persName></hi>, Summa dubiorum circa classes Quadrupedum et Amphi-<lb/>
biorum. p. 25.</hi> Anm. &#x03B3;.</note>.<lb/>
An der hier angezogenen Stelle wei&#x017F;t <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117523216">Klein</persName> die in <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118573349">Linné</persName>'s Charakteri&#x017F;tik<lb/>
der Amphibien enthaltenen Worte, daß die&#x017F;elben keine Backzähne haben,<lb/>
mit der Bemerkung zurück, daß man, um dies zu ent&#x017F;cheiden, die Fin-<lb/>
ger oder das anatomi&#x017F;che Me&#x017F;&#x017F;er anwenden mü&#x017F;&#x017F;e; dies gehöre aber<lb/>
eigentlich gar nicht zur zoologi&#x017F;chen Methode. Wolle man wi&#x017F;&#x017F;en, ob<lb/>
ein Thier Zähne habe, dann mü&#x017F;&#x017F;e man ja vielleicht gewalt&#x017F;am den<lb/>
Mund öffnen! Eine Erklärung der einzelnen Formen, ein Ver&#x017F;uch,<lb/>
&#x017F;ich das Zu&#x017F;tandekommen oder die Ent&#x017F;tehung be&#x017F;onders abweichend er-<lb/>
&#x017F;cheinender Thiergruppen zu denken, findet &#x017F;ich bei <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117523216">Klein</persName> nicht. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650130">Ari-<lb/>
&#x017F;toteles</persName> hatte die Verwandt&#x017F;chaft der Schlangen mit den Eidech&#x017F;en ganz<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[474/0485] Periode der Syſtematik. beitrug, war er die erſten drei Jahre lang Secretair, ſpäter vieljähriger Director. Er machte ihr nicht bloß zahlreiche naturgeſchichtliche Mit- theilungen, ſondern nahm auch 1749 „die Arbeiten eines ordentlichen Operators über ſich“ und erzählte der Geſellſchaft „nach Anleitung der Wolfiſchen Phyſik die Dinge, ſo in der Erde befindlich ſind“. Klein ſtarb am 27. Februar 1759. Trotz der vielen Fehler, welche Klein's Syſtem hat und der großen Oberflächlichkeit, mit welcher es aufgeſtellt wurde, iſt es doch eine äußerſt charakteriſtiſche Erſcheinung ſowohl für die Zeit, in welcher es entſtand, als auch für die Anſprüche, welche man von ſehr vielen Seiten aus an ein ſolches ſtellte. Man kann wohl ſagen, es trägt den Stempel der Liebhaberarbeit an der Stirn; denn wenn auch viele der bedeutendſten Leiſtungen, deren oben gedacht wurde, aus Liebhaberei zur Natur hervorgiengen, ſo beſteht doch zwi- ſchen jenen und den Verſuchen Klein's der große Unterſchied, daß jene vom Einzelnen ausgehend daran Genüge fanden und ſich von ihnen aus inductiv zu allgemeinen Anſichten zu erheben verſuchten, während Klein gewiſſermaßen von oben herabſehend und arbeitend einen ſchola- ſtiſchen Formalismus zur Anwendung bringt und daher auch nur das alleräußerlichſte Verlangen an das Syſtem ſtellt, ihm auf eine leichte und ſichere Art die Mittel zu bieten, „fremde oder noch nie geſehene Thiere nach auffallenden Charakteren erkennen und benennen zu können“ 36). An der hier angezogenen Stelle weiſt Klein die in Linné's Charakteriſtik der Amphibien enthaltenen Worte, daß dieſelben keine Backzähne haben, mit der Bemerkung zurück, daß man, um dies zu entſcheiden, die Fin- ger oder das anatomiſche Meſſer anwenden müſſe; dies gehöre aber eigentlich gar nicht zur zoologiſchen Methode. Wolle man wiſſen, ob ein Thier Zähne habe, dann müſſe man ja vielleicht gewaltſam den Mund öffnen! Eine Erklärung der einzelnen Formen, ein Verſuch, ſich das Zuſtandekommen oder die Entſtehung beſonders abweichend er- ſcheinender Thiergruppen zu denken, findet ſich bei Klein nicht. Ari- ſtoteles hatte die Verwandtſchaft der Schlangen mit den Eidechſen ganz 36) Klein, Summa dubiorum circa classes Quadrupedum et Amphi- biorum. p. 25. Anm. γ.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/485
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/485>, abgerufen am 05.05.2024.