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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Periode der Morphologie.
die vielfach erörterte Frage nach dem einfachen oder mehrfachen Ur-
sprunge des Menschengeschlechts eingehende Berücksichtigung. Vor allem
leistete aber die Weiterführung der Schädelmessungen der Naturgeschichte
des Menschen Vorschub. Und hier sind wieder C. E. von Baer und
Andr. Retzius zu nennen, welche die Form des Schädels schärfer
als bisher zu bestimmen suchten. An sie schließen sich zahlreiche neuere
Forscher, welche die Messungsmethoden mehr und mehr verbessern.
Wichtigkeit erhielt aber besonders die Ausdehnung der Messungen auf
den ganzen übrigen Körper, wie sie zuerst in ausgedehnter Weise von
den die Novara begleitenden Forschern Scherzer und Schwarz aus-
geführt und kürzlich veröffentlicht wurden. -- Wie noch Cuvier das
fossile Vorkommen von Affen leugnete, so wurde auch das Auftreten
des Menschen auf der Erde für so neu gehalten, daß man alle früheren
Angaben über fossile Reste desselben von vornherein für falsch erklärte.
Nun halten diese allerdings einer eingehenden Prüfung nicht Stich;
dagegen haben neuere Untersuchungen ein höheres Alter des Menschen-
geschlechts als bisher angenommen wurde erwiesen. Es berühren sich
hier antiquarische mit naturhistorischen Forschungen. Von ersterer Seite
gebührt Boucher de Perthes das Verdienst, zuerst auf das Vor-
kommen von Kunstproducten aus entschieden vorhistorischer Zeit hinge-
wiesen zu haben. Auf die Untersuchungen, welche im Anschluß hieran
zur Annahme der Stein-, Bronze- und Eisenperiode geführt haben,
kann hier nur hingedeutet werden. Wesentliche Unterstützung fanden
dieselben in der Entdeckung der Pfahlbauten, welche F. Keller 1853
bei Meilen im Züricher See machte, sowie ähnliche Spuren menschlicher
Wohnplätze, deren wissenschaftliche Ausbeute besonders Steenstrup
verwerthete. Endlich führte das Auffinden einzelner Skeletreste zu einer
wiederholten Prüfung der Frage von der vorgeschichtlichen Existenz des
Menschen, welche durch zahlreiche Höhlenfunde sowie durch Untersuchung
jüngerer Gesteinsschichten eine Beantwortung dahin fand, daß der
Mensch mindestens Zeitgenosse des Höhlenbären, Mammuth und woll-
haarigen Rhinoceros war.


Periode der Morphologie.
die vielfach erörterte Frage nach dem einfachen oder mehrfachen Ur-
ſprunge des Menſchengeſchlechts eingehende Berückſichtigung. Vor allem
leiſtete aber die Weiterführung der Schädelmeſſungen der Naturgeſchichte
des Menſchen Vorſchub. Und hier ſind wieder C. E. von Baer und
Andr. Retzius zu nennen, welche die Form des Schädels ſchärfer
als bisher zu beſtimmen ſuchten. An ſie ſchließen ſich zahlreiche neuere
Forſcher, welche die Meſſungsmethoden mehr und mehr verbeſſern.
Wichtigkeit erhielt aber beſonders die Ausdehnung der Meſſungen auf
den ganzen übrigen Körper, wie ſie zuerſt in ausgedehnter Weiſe von
den die Novara begleitenden Forſchern Scherzer und Schwarz aus-
geführt und kürzlich veröffentlicht wurden. — Wie noch Cuvier das
foſſile Vorkommen von Affen leugnete, ſo wurde auch das Auftreten
des Menſchen auf der Erde für ſo neu gehalten, daß man alle früheren
Angaben über foſſile Reſte deſſelben von vornherein für falſch erklärte.
Nun halten dieſe allerdings einer eingehenden Prüfung nicht Stich;
dagegen haben neuere Unterſuchungen ein höheres Alter des Menſchen-
geſchlechts als bisher angenommen wurde erwieſen. Es berühren ſich
hier antiquariſche mit naturhiſtoriſchen Forſchungen. Von erſterer Seite
gebührt Boucher de Perthes das Verdienſt, zuerſt auf das Vor-
kommen von Kunſtproducten aus entſchieden vorhiſtoriſcher Zeit hinge-
wieſen zu haben. Auf die Unterſuchungen, welche im Anſchluß hieran
zur Annahme der Stein-, Bronze- und Eiſenperiode geführt haben,
kann hier nur hingedeutet werden. Weſentliche Unterſtützung fanden
dieſelben in der Entdeckung der Pfahlbauten, welche F. Keller 1853
bei Meilen im Züricher See machte, ſowie ähnliche Spuren menſchlicher
Wohnplätze, deren wiſſenſchaftliche Ausbeute beſonders Steenſtrup
verwerthete. Endlich führte das Auffinden einzelner Skeletreſte zu einer
wiederholten Prüfung der Frage von der vorgeſchichtlichen Exiſtenz des
Menſchen, welche durch zahlreiche Höhlenfunde ſowie durch Unterſuchung
jüngerer Geſteinsſchichten eine Beantwortung dahin fand, daß der
Menſch mindeſtens Zeitgenoſſe des Höhlenbären, Mammuth und woll-
haarigen Rhinoceros war.


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[716/0727] Periode der Morphologie. die vielfach erörterte Frage nach dem einfachen oder mehrfachen Ur- ſprunge des Menſchengeſchlechts eingehende Berückſichtigung. Vor allem leiſtete aber die Weiterführung der Schädelmeſſungen der Naturgeſchichte des Menſchen Vorſchub. Und hier ſind wieder C. E. von Baer und Andr. Retzius zu nennen, welche die Form des Schädels ſchärfer als bisher zu beſtimmen ſuchten. An ſie ſchließen ſich zahlreiche neuere Forſcher, welche die Meſſungsmethoden mehr und mehr verbeſſern. Wichtigkeit erhielt aber beſonders die Ausdehnung der Meſſungen auf den ganzen übrigen Körper, wie ſie zuerſt in ausgedehnter Weiſe von den die Novara begleitenden Forſchern Scherzer und Schwarz aus- geführt und kürzlich veröffentlicht wurden. — Wie noch Cuvier das foſſile Vorkommen von Affen leugnete, ſo wurde auch das Auftreten des Menſchen auf der Erde für ſo neu gehalten, daß man alle früheren Angaben über foſſile Reſte deſſelben von vornherein für falſch erklärte. Nun halten dieſe allerdings einer eingehenden Prüfung nicht Stich; dagegen haben neuere Unterſuchungen ein höheres Alter des Menſchen- geſchlechts als bisher angenommen wurde erwieſen. Es berühren ſich hier antiquariſche mit naturhiſtoriſchen Forſchungen. Von erſterer Seite gebührt Boucher de Perthes das Verdienſt, zuerſt auf das Vor- kommen von Kunſtproducten aus entſchieden vorhiſtoriſcher Zeit hinge- wieſen zu haben. Auf die Unterſuchungen, welche im Anſchluß hieran zur Annahme der Stein-, Bronze- und Eiſenperiode geführt haben, kann hier nur hingedeutet werden. Weſentliche Unterſtützung fanden dieſelben in der Entdeckung der Pfahlbauten, welche F. Keller 1853 bei Meilen im Züricher See machte, ſowie ähnliche Spuren menſchlicher Wohnplätze, deren wiſſenſchaftliche Ausbeute beſonders Steenſtrup verwerthete. Endlich führte das Auffinden einzelner Skeletreſte zu einer wiederholten Prüfung der Frage von der vorgeſchichtlichen Exiſtenz des Menſchen, welche durch zahlreiche Höhlenfunde ſowie durch Unterſuchung jüngerer Geſteinsſchichten eine Beantwortung dahin fand, daß der Menſch mindeſtens Zeitgenoſſe des Höhlenbären, Mammuth und woll- haarigen Rhinoceros war.

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 716. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/727>, abgerufen am 28.04.2024.