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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Völkerchaos.
hundert der Klerisei an, doch handelt es sich hierbei um eine rein
formelle Sache, die ihren Grund lediglich in gewissen Rechts-
verhältnissen findet; und gerade aus diesem Stand heraus, das heisst
aus der Mitte jener Männer, welche die Kirche genau kannten, ist alle
Empörung gegen sie hervorgegangen, gerade die Universitäten wurden
die Hochschulen der Befreiung der Nationen. Die Fürsten haben die
Kirche beschützt, die gelehrten Kleriker haben sie befehdet. Desswegen
hat aber auch die Kirche ununterbrochen gegen die grossen Geister,
die sich, um in Ruhe zu arbeiten, in ihren Schutz begeben hatten,
Krieg geführt; hätte es an ihr gelegen, so wären Wissen und Kultur
nie wieder flügge geworden! Doch dieselben Fürsten, welche die
Kirche beschützten, beschützten die von ihr verfolgten Gelehrten. Schon
im 9. Jahrhundert taucht im fernen Norden (aus den schon damals an
bedeutenden Männern reichen Schulen Englands hervorgegangen) der
grosse Scotus Erigena auf: die Kirche that, was sie konnte, um dieses
hellglänzende Licht auszulöschen, doch Karl der Kahle (derselbe,
welcher angeblich dem römischen Papste grosse Schenkungen gemacht
haben sollte) streckte seine fürstliche Hand über Scotus aus; als dieser
Schutz nicht mehr hinreichte, lud ihn Alfred nach England ein, wo er die
Schule von Oxford zu hoher Blüte trieb, bis er im Auftrag der
kirchlichen Zentralgewalt von Mönchen erdolcht wurde. Vom 9. bis
zum 19. Jahrhundert -- von der Ermordung des Scotus bis zum
Erlass des Syllabus -- blieb das Verhältnis unverändert. In letzter
Instanz ist die geistige Wiedergeburt das Werk der Rasse im Gegen-
satz zur rassenlosen Universalkirche, das Werk germanischen Wissens-
durstes und germanischen, nationalen Freiheitsdranges. Aus dem
Schosse der katholischen Religion sind ununterbrochen grosse Männer
hervorgegangen; Männer, welche, wie man anerkennen muss, der
spezifisch katholische Gedanke, mit seiner umfassenden Grösse, seinem
harmonischen Aufbau, seiner symbolischen Reichhaltigkeit und Schön-
heit getragen und grösser gemacht hat, als sie ohne ihn geworden
wären: die römische Kirche aber, rein als solche, d. h. als organisierte,
weltliche Theocratie, hat stets als Tochter des verfallenden Imperiums,
als letzte Vertreterin des universalen, antinationalen Prinzips gehandelt.
Mehr als alle Mönche der Welt hat der eine Karl der Grosse für die Ver-
breitung von Unterricht und Wissen gethan. Er hatte eine voll-
ständige Sammlung der Nationalpoesie der Germanen anlegen lassen:
die Kirche vernichtete sie. Ich nannte auch vorhin Alfred! Wo
hat ein Kirchenfürst, wo hat ein Scholastiker für die Erweckung

Das Völkerchaos.
hundert der Klerisei an, doch handelt es sich hierbei um eine rein
formelle Sache, die ihren Grund lediglich in gewissen Rechts-
verhältnissen findet; und gerade aus diesem Stand heraus, das heisst
aus der Mitte jener Männer, welche die Kirche genau kannten, ist alle
Empörung gegen sie hervorgegangen, gerade die Universitäten wurden
die Hochschulen der Befreiung der Nationen. Die Fürsten haben die
Kirche beschützt, die gelehrten Kleriker haben sie befehdet. Desswegen
hat aber auch die Kirche ununterbrochen gegen die grossen Geister,
die sich, um in Ruhe zu arbeiten, in ihren Schutz begeben hatten,
Krieg geführt; hätte es an ihr gelegen, so wären Wissen und Kultur
nie wieder flügge geworden! Doch dieselben Fürsten, welche die
Kirche beschützten, beschützten die von ihr verfolgten Gelehrten. Schon
im 9. Jahrhundert taucht im fernen Norden (aus den schon damals an
bedeutenden Männern reichen Schulen Englands hervorgegangen) der
grosse Scotus Erigena auf: die Kirche that, was sie konnte, um dieses
hellglänzende Licht auszulöschen, doch Karl der Kahle (derselbe,
welcher angeblich dem römischen Papste grosse Schenkungen gemacht
haben sollte) streckte seine fürstliche Hand über Scotus aus; als dieser
Schutz nicht mehr hinreichte, lud ihn Alfred nach England ein, wo er die
Schule von Oxford zu hoher Blüte trieb, bis er im Auftrag der
kirchlichen Zentralgewalt von Mönchen erdolcht wurde. Vom 9. bis
zum 19. Jahrhundert — von der Ermordung des Scotus bis zum
Erlass des Syllabus — blieb das Verhältnis unverändert. In letzter
Instanz ist die geistige Wiedergeburt das Werk der Rasse im Gegen-
satz zur rassenlosen Universalkirche, das Werk germanischen Wissens-
durstes und germanischen, nationalen Freiheitsdranges. Aus dem
Schosse der katholischen Religion sind ununterbrochen grosse Männer
hervorgegangen; Männer, welche, wie man anerkennen muss, der
spezifisch katholische Gedanke, mit seiner umfassenden Grösse, seinem
harmonischen Aufbau, seiner symbolischen Reichhaltigkeit und Schön-
heit getragen und grösser gemacht hat, als sie ohne ihn geworden
wären: die römische Kirche aber, rein als solche, d. h. als organisierte,
weltliche Theocratie, hat stets als Tochter des verfallenden Imperiums,
als letzte Vertreterin des universalen, antinationalen Prinzips gehandelt.
Mehr als alle Mönche der Welt hat der eine Karl der Grosse für die Ver-
breitung von Unterricht und Wissen gethan. Er hatte eine voll-
ständige Sammlung der Nationalpoesie der Germanen anlegen lassen:
die Kirche vernichtete sie. Ich nannte auch vorhin Alfred! Wo
hat ein Kirchenfürst, wo hat ein Scholastiker für die Erweckung

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[317/0340] Das Völkerchaos. hundert der Klerisei an, doch handelt es sich hierbei um eine rein formelle Sache, die ihren Grund lediglich in gewissen Rechts- verhältnissen findet; und gerade aus diesem Stand heraus, das heisst aus der Mitte jener Männer, welche die Kirche genau kannten, ist alle Empörung gegen sie hervorgegangen, gerade die Universitäten wurden die Hochschulen der Befreiung der Nationen. Die Fürsten haben die Kirche beschützt, die gelehrten Kleriker haben sie befehdet. Desswegen hat aber auch die Kirche ununterbrochen gegen die grossen Geister, die sich, um in Ruhe zu arbeiten, in ihren Schutz begeben hatten, Krieg geführt; hätte es an ihr gelegen, so wären Wissen und Kultur nie wieder flügge geworden! Doch dieselben Fürsten, welche die Kirche beschützten, beschützten die von ihr verfolgten Gelehrten. Schon im 9. Jahrhundert taucht im fernen Norden (aus den schon damals an bedeutenden Männern reichen Schulen Englands hervorgegangen) der grosse Scotus Erigena auf: die Kirche that, was sie konnte, um dieses hellglänzende Licht auszulöschen, doch Karl der Kahle (derselbe, welcher angeblich dem römischen Papste grosse Schenkungen gemacht haben sollte) streckte seine fürstliche Hand über Scotus aus; als dieser Schutz nicht mehr hinreichte, lud ihn Alfred nach England ein, wo er die Schule von Oxford zu hoher Blüte trieb, bis er im Auftrag der kirchlichen Zentralgewalt von Mönchen erdolcht wurde. Vom 9. bis zum 19. Jahrhundert — von der Ermordung des Scotus bis zum Erlass des Syllabus — blieb das Verhältnis unverändert. In letzter Instanz ist die geistige Wiedergeburt das Werk der Rasse im Gegen- satz zur rassenlosen Universalkirche, das Werk germanischen Wissens- durstes und germanischen, nationalen Freiheitsdranges. Aus dem Schosse der katholischen Religion sind ununterbrochen grosse Männer hervorgegangen; Männer, welche, wie man anerkennen muss, der spezifisch katholische Gedanke, mit seiner umfassenden Grösse, seinem harmonischen Aufbau, seiner symbolischen Reichhaltigkeit und Schön- heit getragen und grösser gemacht hat, als sie ohne ihn geworden wären: die römische Kirche aber, rein als solche, d. h. als organisierte, weltliche Theocratie, hat stets als Tochter des verfallenden Imperiums, als letzte Vertreterin des universalen, antinationalen Prinzips gehandelt. Mehr als alle Mönche der Welt hat der eine Karl der Grosse für die Ver- breitung von Unterricht und Wissen gethan. Er hatte eine voll- ständige Sammlung der Nationalpoesie der Germanen anlegen lassen: die Kirche vernichtete sie. Ich nannte auch vorhin Alfred! Wo hat ein Kirchenfürst, wo hat ein Scholastiker für die Erweckung

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/340>, abgerufen am 29.04.2024.