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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Erbe der alten Welt.
auch Fuss fassen, niemals ein ganzes Land ordnend zu beherrschen trachten,
sondern stets nur auf Handelsobjekte fahnden, sonst aber alles so
barbarisch lassen, wie es ist: man wird, sage ich, von solchen echten
Räubern die Römer zu unterscheiden lernen, die um den unverrück-
baren heimatlichen Mittelpunkt herum langsam und notgedrungen, um
sich die Segnungen ihrer eigenen Ordnung daheim zu bewahren, ihren
ordnenden, klärenden Einfluss auch nach aussen ausbreiten müssen,
niemals eigentlich erobernd (wenn sie es vermeiden können), jede
Eigenart mit Verehrung schonend, dabei aber so vorzüglich organi-
sierend, dass Völker mit der Bitte zu ihnen kommen, an dem Segen
dieser Ordnung teilnehmen zu dürfen,1) ihr eigenes, vortreffliches,
"römisches Recht" in liberalster Weise vielen, nach und nach immer
zahlreicheren zugänglich machend, zugleich die verschiedenen fremden
Rechte mit Zugrundelegung des römischen zu einem allmählich sich
klärenden "allgemeinen Weltrecht"2) vereinigend: das alles ist doch
wahrlich kein Räuberhandwerk! Vielmehr haben wir darin die Vor-
arbeiten zu erblicken für die dauernde Einführung indoeuropäischer
Freiheits- und Civilisationsideale. Mit Recht sagt Livius: "Nicht
unsere Waffen allein, auch die römische Gesetzgebung eroberte uns
weithinreichenden Einfluss".

Man sieht, die übliche Auffassung Roms, als der erobernden
Nation par excellence, ist eine durchaus falsche. Sogar als es sich
selber untreu geworden oder vielmehr, als das römische Volk eigent-
lich von der Erde ganz und gar verschwunden war und nur die
Idee desselben noch über seinem Grabe schwebte, sogar dann noch
konnte es von diesem grossen Prinzip seines Lebens nicht weit ab-

1) Eines der letzten Beispiele sind die Juden, welche mit der flehenden
Bitte nach Rom kamen (um das Jahr 1) sie von ihrem semitischen Königtum zu
erlösen und als römische Provinz aufzunehmen. Welche Dankbarkeit sie dem
mild und nachsichtig regierenden Rom später bewiesen, ist bekannt.
2) Über das häufig sehr unklar entwickelte und definierte "jus gentium"
schreibt Esmarch in seiner "Römischen Rechtsgeschichte", 3. Aufl., S. 185: "Dieses
Recht ist im römischen Sinne weder als ein aus der Vergleichung der bei allen
den Römern bekannten Völkern geltenden Rechte gewonnenes Aggregat zufällig
gemeinsamer Rechtssätze, noch als ein objektiv bestehendes, vom römischen Staate
anerkanntes und rezipiertes Handelsrecht, sondern seiner wesentlichen Substanz
nach als eine dem Kerne des römischen Volksbewusstseins ent-
sprungene Ordnung
für die internationalen privatrechtlichen Beziehungen auf-
zufassen." -- Innerhalb der einzelnen Länder blieben die Rechtsverhältnisse von
den Römern möglichst unangetastet, einer der überraschendsten Beweise von dem
grossen Respekt, den sie jeder Eigenart zollten.

Das Erbe der alten Welt.
auch Fuss fassen, niemals ein ganzes Land ordnend zu beherrschen trachten,
sondern stets nur auf Handelsobjekte fahnden, sonst aber alles so
barbarisch lassen, wie es ist: man wird, sage ich, von solchen echten
Räubern die Römer zu unterscheiden lernen, die um den unverrück-
baren heimatlichen Mittelpunkt herum langsam und notgedrungen, um
sich die Segnungen ihrer eigenen Ordnung daheim zu bewahren, ihren
ordnenden, klärenden Einfluss auch nach aussen ausbreiten müssen,
niemals eigentlich erobernd (wenn sie es vermeiden können), jede
Eigenart mit Verehrung schonend, dabei aber so vorzüglich organi-
sierend, dass Völker mit der Bitte zu ihnen kommen, an dem Segen
dieser Ordnung teilnehmen zu dürfen,1) ihr eigenes, vortreffliches,
»römisches Recht« in liberalster Weise vielen, nach und nach immer
zahlreicheren zugänglich machend, zugleich die verschiedenen fremden
Rechte mit Zugrundelegung des römischen zu einem allmählich sich
klärenden »allgemeinen Weltrecht«2) vereinigend: das alles ist doch
wahrlich kein Räuberhandwerk! Vielmehr haben wir darin die Vor-
arbeiten zu erblicken für die dauernde Einführung indoeuropäischer
Freiheits- und Civilisationsideale. Mit Recht sagt Livius: »Nicht
unsere Waffen allein, auch die römische Gesetzgebung eroberte uns
weithinreichenden Einfluss«.

Man sieht, die übliche Auffassung Roms, als der erobernden
Nation par excellence, ist eine durchaus falsche. Sogar als es sich
selber untreu geworden oder vielmehr, als das römische Volk eigent-
lich von der Erde ganz und gar verschwunden war und nur die
Idee desselben noch über seinem Grabe schwebte, sogar dann noch
konnte es von diesem grossen Prinzip seines Lebens nicht weit ab-

1) Eines der letzten Beispiele sind die Juden, welche mit der flehenden
Bitte nach Rom kamen (um das Jahr 1) sie von ihrem semitischen Königtum zu
erlösen und als römische Provinz aufzunehmen. Welche Dankbarkeit sie dem
mild und nachsichtig regierenden Rom später bewiesen, ist bekannt.
2) Über das häufig sehr unklar entwickelte und definierte »jus gentium«
schreibt Esmarch in seiner »Römischen Rechtsgeschichte«, 3. Aufl., S. 185: »Dieses
Recht ist im römischen Sinne weder als ein aus der Vergleichung der bei allen
den Römern bekannten Völkern geltenden Rechte gewonnenes Aggregat zufällig
gemeinsamer Rechtssätze, noch als ein objektiv bestehendes, vom römischen Staate
anerkanntes und rezipiertes Handelsrecht, sondern seiner wesentlichen Substanz
nach als eine dem Kerne des römischen Volksbewusstseins ent-
sprungene Ordnung
für die internationalen privatrechtlichen Beziehungen auf-
zufassen.« — Innerhalb der einzelnen Länder blieben die Rechtsverhältnisse von
den Römern möglichst unangetastet, einer der überraschendsten Beweise von dem
grossen Respekt, den sie jeder Eigenart zollten.
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[138/0161] Das Erbe der alten Welt. auch Fuss fassen, niemals ein ganzes Land ordnend zu beherrschen trachten, sondern stets nur auf Handelsobjekte fahnden, sonst aber alles so barbarisch lassen, wie es ist: man wird, sage ich, von solchen echten Räubern die Römer zu unterscheiden lernen, die um den unverrück- baren heimatlichen Mittelpunkt herum langsam und notgedrungen, um sich die Segnungen ihrer eigenen Ordnung daheim zu bewahren, ihren ordnenden, klärenden Einfluss auch nach aussen ausbreiten müssen, niemals eigentlich erobernd (wenn sie es vermeiden können), jede Eigenart mit Verehrung schonend, dabei aber so vorzüglich organi- sierend, dass Völker mit der Bitte zu ihnen kommen, an dem Segen dieser Ordnung teilnehmen zu dürfen, 1) ihr eigenes, vortreffliches, »römisches Recht« in liberalster Weise vielen, nach und nach immer zahlreicheren zugänglich machend, zugleich die verschiedenen fremden Rechte mit Zugrundelegung des römischen zu einem allmählich sich klärenden »allgemeinen Weltrecht« 2) vereinigend: das alles ist doch wahrlich kein Räuberhandwerk! Vielmehr haben wir darin die Vor- arbeiten zu erblicken für die dauernde Einführung indoeuropäischer Freiheits- und Civilisationsideale. Mit Recht sagt Livius: »Nicht unsere Waffen allein, auch die römische Gesetzgebung eroberte uns weithinreichenden Einfluss«. Man sieht, die übliche Auffassung Roms, als der erobernden Nation par excellence, ist eine durchaus falsche. Sogar als es sich selber untreu geworden oder vielmehr, als das römische Volk eigent- lich von der Erde ganz und gar verschwunden war und nur die Idee desselben noch über seinem Grabe schwebte, sogar dann noch konnte es von diesem grossen Prinzip seines Lebens nicht weit ab- 1) Eines der letzten Beispiele sind die Juden, welche mit der flehenden Bitte nach Rom kamen (um das Jahr 1) sie von ihrem semitischen Königtum zu erlösen und als römische Provinz aufzunehmen. Welche Dankbarkeit sie dem mild und nachsichtig regierenden Rom später bewiesen, ist bekannt. 2) Über das häufig sehr unklar entwickelte und definierte »jus gentium« schreibt Esmarch in seiner »Römischen Rechtsgeschichte«, 3. Aufl., S. 185: »Dieses Recht ist im römischen Sinne weder als ein aus der Vergleichung der bei allen den Römern bekannten Völkern geltenden Rechte gewonnenes Aggregat zufällig gemeinsamer Rechtssätze, noch als ein objektiv bestehendes, vom römischen Staate anerkanntes und rezipiertes Handelsrecht, sondern seiner wesentlichen Substanz nach als eine dem Kerne des römischen Volksbewusstseins ent- sprungene Ordnung für die internationalen privatrechtlichen Beziehungen auf- zufassen.« — Innerhalb der einzelnen Länder blieben die Rechtsverhältnisse von den Römern möglichst unangetastet, einer der überraschendsten Beweise von dem grossen Respekt, den sie jeder Eigenart zollten.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/161>, abgerufen am 28.04.2024.