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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Römisches Recht.
mag, und doch müsste man blind oder unehrlich sein, wollte man
nicht bekennen, dass das Problem des Judentums in unserer Mitte
zu den schwierigsten und gefährlichsten der Gegenwart gehört; nun
denke man sich dazu noch eine phönicische Nation, von frühester
Zeit an alle Häfen besetzt haltend, allen Handel monopolisierend, im
Besitze der reichsten Metropole der Welt und einer uralten nationalen
Religion (gewissermassen Juden, die niemals Propheten gekannt
hätten) -- -- --! Es ist kein phantastisches Geschichtsphilosophieren,
sondern eine objektiv beweisbare Thatsache, dass unter solchen Be-
dingungen das, was wir heute Europa nennen, niemals hätte entstehen
können. Von Neuem verweise ich auf die gelehrten Werke über die Phöni-
cier, vor Allem aber, weil Jedermann zugänglich, auf die meisterhafte
Zusammenfassung in Mommsen's Römische Geschichte, drittes Buch,
Kapitel I "Karthago". Die geistige Unfruchtbarkeit dieses Volkes war
geradezu entsetzenerregend. Trotzdem das Schicksal die Phönicier zu
Maklern der Civilisation gemacht, hat sie dies nie dazu angeregt, auch
nur das Geringste selber zu erfinden; die Civilisation blieb überhaupt
für sie etwas ganz Äusserliches; was wir "Kultur" nennen, haben
sie bis zuletzt nie geahnt: in den herrlichsten Stoffen gekleidet, von
Kunstwerken umgeben, im Besitze alles Wissens ihrer Zeit, trieben
sie nach wie vor Zauberei, brachten Menschenopfer, und lebten in
einem solchen Pfuhl unnennbarer Laster, dass die verdorbensten Orien-
talen sich mit Abscheu von ihnen abwandten. Über ihr Wirken zur
Verbreitung der Civilisation urteilt Mommsen: "Das haben sie mehr
wie der Vogel das Samenkorn,1) als wie der Ackersmann die
Saat ausgestreut. Die Kraft, die bildungsfähigen Völker, mit denen
sie sich berührten, zu civilisieren und sich zu assimilieren, wie sie die
Hellenen und selbst die Italiker besitzen, fehlt den Phönikern gänzlich.
Im Eroberungsgebiet der Römer sind vor der romanischen Zunge
die iberischen und die keltischen Sprachen verschollen; die Berbern
Afrikas reden heute noch dieselbe Sprache wie zu den Zeiten der
Hannos und der Barkiden. Aber vor Allem mangelt den Phönikern,
wie allen aramäischen Nationen im Gegensatz zu den indogermanischen,
der staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke der sich selber regierenden
Freiheit." Wo die Phönicier sich niederliessen, war ihre Verfassung
im letzten Grunde einfach "ein Kapitalistenregiment, bestehend

1) Jeder Leser weiss wohl, durch welchen automatischen Prozess der Vogel
unwissend zur Verbreitung der Pflanzen beiträgt?

Römisches Recht.
mag, und doch müsste man blind oder unehrlich sein, wollte man
nicht bekennen, dass das Problem des Judentums in unserer Mitte
zu den schwierigsten und gefährlichsten der Gegenwart gehört; nun
denke man sich dazu noch eine phönicische Nation, von frühester
Zeit an alle Häfen besetzt haltend, allen Handel monopolisierend, im
Besitze der reichsten Metropole der Welt und einer uralten nationalen
Religion (gewissermassen Juden, die niemals Propheten gekannt
hätten) — — —! Es ist kein phantastisches Geschichtsphilosophieren,
sondern eine objektiv beweisbare Thatsache, dass unter solchen Be-
dingungen das, was wir heute Europa nennen, niemals hätte entstehen
können. Von Neuem verweise ich auf die gelehrten Werke über die Phöni-
cier, vor Allem aber, weil Jedermann zugänglich, auf die meisterhafte
Zusammenfassung in Mommsen’s Römische Geschichte, drittes Buch,
Kapitel I »Karthago«. Die geistige Unfruchtbarkeit dieses Volkes war
geradezu entsetzenerregend. Trotzdem das Schicksal die Phönicier zu
Maklern der Civilisation gemacht, hat sie dies nie dazu angeregt, auch
nur das Geringste selber zu erfinden; die Civilisation blieb überhaupt
für sie etwas ganz Äusserliches; was wir »Kultur« nennen, haben
sie bis zuletzt nie geahnt: in den herrlichsten Stoffen gekleidet, von
Kunstwerken umgeben, im Besitze alles Wissens ihrer Zeit, trieben
sie nach wie vor Zauberei, brachten Menschenopfer, und lebten in
einem solchen Pfuhl unnennbarer Laster, dass die verdorbensten Orien-
talen sich mit Abscheu von ihnen abwandten. Über ihr Wirken zur
Verbreitung der Civilisation urteilt Mommsen: »Das haben sie mehr
wie der Vogel das Samenkorn,1) als wie der Ackersmann die
Saat ausgestreut. Die Kraft, die bildungsfähigen Völker, mit denen
sie sich berührten, zu civilisieren und sich zu assimilieren, wie sie die
Hellenen und selbst die Italiker besitzen, fehlt den Phönikern gänzlich.
Im Eroberungsgebiet der Römer sind vor der romanischen Zunge
die iberischen und die keltischen Sprachen verschollen; die Berbern
Afrikas reden heute noch dieselbe Sprache wie zu den Zeiten der
Hannos und der Barkiden. Aber vor Allem mangelt den Phönikern,
wie allen aramäischen Nationen im Gegensatz zu den indogermanischen,
der staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke der sich selber regierenden
Freiheit.« Wo die Phönicier sich niederliessen, war ihre Verfassung
im letzten Grunde einfach »ein Kapitalistenregiment, bestehend

1) Jeder Leser weiss wohl, durch welchen automatischen Prozess der Vogel
unwissend zur Verbreitung der Pflanzen beiträgt?
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[141/0164] Römisches Recht. mag, und doch müsste man blind oder unehrlich sein, wollte man nicht bekennen, dass das Problem des Judentums in unserer Mitte zu den schwierigsten und gefährlichsten der Gegenwart gehört; nun denke man sich dazu noch eine phönicische Nation, von frühester Zeit an alle Häfen besetzt haltend, allen Handel monopolisierend, im Besitze der reichsten Metropole der Welt und einer uralten nationalen Religion (gewissermassen Juden, die niemals Propheten gekannt hätten) — — —! Es ist kein phantastisches Geschichtsphilosophieren, sondern eine objektiv beweisbare Thatsache, dass unter solchen Be- dingungen das, was wir heute Europa nennen, niemals hätte entstehen können. Von Neuem verweise ich auf die gelehrten Werke über die Phöni- cier, vor Allem aber, weil Jedermann zugänglich, auf die meisterhafte Zusammenfassung in Mommsen’s Römische Geschichte, drittes Buch, Kapitel I »Karthago«. Die geistige Unfruchtbarkeit dieses Volkes war geradezu entsetzenerregend. Trotzdem das Schicksal die Phönicier zu Maklern der Civilisation gemacht, hat sie dies nie dazu angeregt, auch nur das Geringste selber zu erfinden; die Civilisation blieb überhaupt für sie etwas ganz Äusserliches; was wir »Kultur« nennen, haben sie bis zuletzt nie geahnt: in den herrlichsten Stoffen gekleidet, von Kunstwerken umgeben, im Besitze alles Wissens ihrer Zeit, trieben sie nach wie vor Zauberei, brachten Menschenopfer, und lebten in einem solchen Pfuhl unnennbarer Laster, dass die verdorbensten Orien- talen sich mit Abscheu von ihnen abwandten. Über ihr Wirken zur Verbreitung der Civilisation urteilt Mommsen: »Das haben sie mehr wie der Vogel das Samenkorn, 1) als wie der Ackersmann die Saat ausgestreut. Die Kraft, die bildungsfähigen Völker, mit denen sie sich berührten, zu civilisieren und sich zu assimilieren, wie sie die Hellenen und selbst die Italiker besitzen, fehlt den Phönikern gänzlich. Im Eroberungsgebiet der Römer sind vor der romanischen Zunge die iberischen und die keltischen Sprachen verschollen; die Berbern Afrikas reden heute noch dieselbe Sprache wie zu den Zeiten der Hannos und der Barkiden. Aber vor Allem mangelt den Phönikern, wie allen aramäischen Nationen im Gegensatz zu den indogermanischen, der staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke der sich selber regierenden Freiheit.« Wo die Phönicier sich niederliessen, war ihre Verfassung im letzten Grunde einfach »ein Kapitalistenregiment, bestehend 1) Jeder Leser weiss wohl, durch welchen automatischen Prozess der Vogel unwissend zur Verbreitung der Pflanzen beiträgt?

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/164>, abgerufen am 27.04.2024.