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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Erbe der alten Welt.
dem Leser als Richtungspfeile zu dienen. Damit man klar denke und
deutlich vorstelle, ist es vor Allem nötig, richtig zu trennen und richtig
zu verbinden. Das war mein Bestreben; darauf musste ich mich
beschränken.



Juristische
Technik.

Neben dieser mehr oder weniger unbewusst fortgeführten Erb-
schaft besitzen wir Europäer ein Vermächtnis Roms, das wie kein
zweites aus dem Altertum zu einem wesentlichen Bestandteil unseres
Lebens und unserer Wissenschaft geworden ist: das römische Recht.
Darunter ist sowohl das öffentliche Recht (jus publicum), wie
auch das Privatrecht (jus privatum) zu verstehen.1) Hierüber zu
berichten, ist insofern ein Leichtes, als dieses Recht uns in einer sehr
späten zusammenfassenden Kodifikation, der des Kaisers Justinian, aus
der Mitte des 6. Jahrhunderts nach Christus, vorliegt und es ausserdem
den Bemühungen der Juristen und Historiker gelungen ist, den Spuren
des allmählichen Werdens dieses Rechtes bis weit hinauf nachzugehen,
in letzter Zeit sogar, den Zusammenhang seiner Ursprünge mit dem
altarischen Recht darzuthun, andrerseits die Schicksale dieses Rechtes
in den verschiedenen Ländern Europas durch die Jahrhunderte der
dunkeln Gährung hindurch bis auf den heutigen Tag zu verfolgen.
Hier liegt also ein bestimmtes, klar gesichtetes Material vor und der
Rechtsgelehrte kann leicht nachweisen, wie viel römisches Recht in
den Gesetzbüchern unserer heutigen Staaten enthalten ist; leicht muss
ihm der Nachweis auch fallen, dass die genaue Kenntnis des römischen
Rechtes auf unabsehbare Zeiten hin die hohe Schule alles streng
juridischen Denkens bleiben wird. Auch hier wieder ist in dem
römischen Erbe ein doppeltes zu unterscheiden: thatsächliche Rechts-
sätze, die Jahrhunderte lang bestanden haben und zum Teil noch
heute bestehen, ausserdem aber ein Schatz an Ideen und Methoden.
Das alles kann der Rechtsgelehrte leicht auseinandersetzen; jedoch
nur, wenn er zu Rechtskundigen redet. Nun bin ich aber kein
Rechtsgelehrter (wenn ich auch mit Fleiss und Liebe die Grund-
prinzipien des Rechtes und den allgemeinen Gang seiner Geschichte
studiert habe), noch darf ich Rechtskunde bei meinem Leser voraus-

1) Dass das öffentliche Recht der Römer auf uns Spätere nicht denselben
Einfluss ausübt wie das Privatrecht, gestattet doch nicht, es ungenannt zu lassen,
da ein mustergültiges Privatrecht nicht ohne ein vortreffliches öffentliches Recht
entstehen konnte.

Das Erbe der alten Welt.
dem Leser als Richtungspfeile zu dienen. Damit man klar denke und
deutlich vorstelle, ist es vor Allem nötig, richtig zu trennen und richtig
zu verbinden. Das war mein Bestreben; darauf musste ich mich
beschränken.



Juristische
Technik.

Neben dieser mehr oder weniger unbewusst fortgeführten Erb-
schaft besitzen wir Europäer ein Vermächtnis Roms, das wie kein
zweites aus dem Altertum zu einem wesentlichen Bestandteil unseres
Lebens und unserer Wissenschaft geworden ist: das römische Recht.
Darunter ist sowohl das öffentliche Recht (jus publicum), wie
auch das Privatrecht (jus privatum) zu verstehen.1) Hierüber zu
berichten, ist insofern ein Leichtes, als dieses Recht uns in einer sehr
späten zusammenfassenden Kodifikation, der des Kaisers Justinian, aus
der Mitte des 6. Jahrhunderts nach Christus, vorliegt und es ausserdem
den Bemühungen der Juristen und Historiker gelungen ist, den Spuren
des allmählichen Werdens dieses Rechtes bis weit hinauf nachzugehen,
in letzter Zeit sogar, den Zusammenhang seiner Ursprünge mit dem
altarischen Recht darzuthun, andrerseits die Schicksale dieses Rechtes
in den verschiedenen Ländern Europas durch die Jahrhunderte der
dunkeln Gährung hindurch bis auf den heutigen Tag zu verfolgen.
Hier liegt also ein bestimmtes, klar gesichtetes Material vor und der
Rechtsgelehrte kann leicht nachweisen, wie viel römisches Recht in
den Gesetzbüchern unserer heutigen Staaten enthalten ist; leicht muss
ihm der Nachweis auch fallen, dass die genaue Kenntnis des römischen
Rechtes auf unabsehbare Zeiten hin die hohe Schule alles streng
juridischen Denkens bleiben wird. Auch hier wieder ist in dem
römischen Erbe ein doppeltes zu unterscheiden: thatsächliche Rechts-
sätze, die Jahrhunderte lang bestanden haben und zum Teil noch
heute bestehen, ausserdem aber ein Schatz an Ideen und Methoden.
Das alles kann der Rechtsgelehrte leicht auseinandersetzen; jedoch
nur, wenn er zu Rechtskundigen redet. Nun bin ich aber kein
Rechtsgelehrter (wenn ich auch mit Fleiss und Liebe die Grund-
prinzipien des Rechtes und den allgemeinen Gang seiner Geschichte
studiert habe), noch darf ich Rechtskunde bei meinem Leser voraus-

1) Dass das öffentliche Recht der Römer auf uns Spätere nicht denselben
Einfluss ausübt wie das Privatrecht, gestattet doch nicht, es ungenannt zu lassen,
da ein mustergültiges Privatrecht nicht ohne ein vortreffliches öffentliches Recht
entstehen konnte.
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[156/0179] Das Erbe der alten Welt. dem Leser als Richtungspfeile zu dienen. Damit man klar denke und deutlich vorstelle, ist es vor Allem nötig, richtig zu trennen und richtig zu verbinden. Das war mein Bestreben; darauf musste ich mich beschränken. Neben dieser mehr oder weniger unbewusst fortgeführten Erb- schaft besitzen wir Europäer ein Vermächtnis Roms, das wie kein zweites aus dem Altertum zu einem wesentlichen Bestandteil unseres Lebens und unserer Wissenschaft geworden ist: das römische Recht. Darunter ist sowohl das öffentliche Recht (jus publicum), wie auch das Privatrecht (jus privatum) zu verstehen. 1) Hierüber zu berichten, ist insofern ein Leichtes, als dieses Recht uns in einer sehr späten zusammenfassenden Kodifikation, der des Kaisers Justinian, aus der Mitte des 6. Jahrhunderts nach Christus, vorliegt und es ausserdem den Bemühungen der Juristen und Historiker gelungen ist, den Spuren des allmählichen Werdens dieses Rechtes bis weit hinauf nachzugehen, in letzter Zeit sogar, den Zusammenhang seiner Ursprünge mit dem altarischen Recht darzuthun, andrerseits die Schicksale dieses Rechtes in den verschiedenen Ländern Europas durch die Jahrhunderte der dunkeln Gährung hindurch bis auf den heutigen Tag zu verfolgen. Hier liegt also ein bestimmtes, klar gesichtetes Material vor und der Rechtsgelehrte kann leicht nachweisen, wie viel römisches Recht in den Gesetzbüchern unserer heutigen Staaten enthalten ist; leicht muss ihm der Nachweis auch fallen, dass die genaue Kenntnis des römischen Rechtes auf unabsehbare Zeiten hin die hohe Schule alles streng juridischen Denkens bleiben wird. Auch hier wieder ist in dem römischen Erbe ein doppeltes zu unterscheiden: thatsächliche Rechts- sätze, die Jahrhunderte lang bestanden haben und zum Teil noch heute bestehen, ausserdem aber ein Schatz an Ideen und Methoden. Das alles kann der Rechtsgelehrte leicht auseinandersetzen; jedoch nur, wenn er zu Rechtskundigen redet. Nun bin ich aber kein Rechtsgelehrter (wenn ich auch mit Fleiss und Liebe die Grund- prinzipien des Rechtes und den allgemeinen Gang seiner Geschichte studiert habe), noch darf ich Rechtskunde bei meinem Leser voraus- 1) Dass das öffentliche Recht der Römer auf uns Spätere nicht denselben Einfluss ausübt wie das Privatrecht, gestattet doch nicht, es ungenannt zu lassen, da ein mustergültiges Privatrecht nicht ohne ein vortreffliches öffentliches Recht entstehen konnte.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/179>, abgerufen am 28.04.2024.