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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Völkerchaos.
hierfür, wie die Chemiker sagen, eine bestimmte Kapazität, das heisst,
ein bestimmtes Aufnahmevermögen giebt, über welches hinaus das
Blut getrübt wird, was durch die Abnahme des Charakteristischen
sich kundthut. Italien, in welchem die stolzleidenschaftlichen, überaus
genialen Geschlechter kraftvoller Germanen, welche bis ins 14. Jahr-
hundert ihr Blut rein erhalten hatten, sich später, nach und nach,
mit gründlich bastardierten Italikern und Italioten vermengten, und so
aus der Welt verschwanden, liefert ein Beispiel (siehe Kap. 6 und 9):
crossing obliterates characters. Der sorgfältig Beobachtende wird ferner
entdecken, dass bei Kreuzungen zwischen Menschenstämmen, die mit-
einander nicht nächstverwandt sind, die relative Zeugungskraft ein
Faktor ist, der noch nach Jahrhunderten durchdringen und den Nieder-
gang des edleren Bestandteiles eines gemischten Volkes nach und nach
herbeiführen kann, weil nämlich die relative Zeugungskraft häufig im
umgekehrten Verhältnis zum Rassenadel steht.1) Hierfür erleben wir
ein Beispiel im heutigen Europa, wo die kurzen, runden Schädel
immerwährend an Zahl zunehmen und somit langsam die langen
"Dolichocephalen" verdrängen, aus denen, nach übereinstimmenden
Gräberbefunden, fast die Gesamtzahl der echten alten Germanen, Slaven
und Kelten bestand; man erblickt darin das Überhandnehmen einer
von den Indogermanen besiegten fremdartigen Rasse (der "präkeltischen",
wie Virchow sie nennt), welche durch animalische Kraft den geistig
Überlegeneren allmählich überwindet.2) Hierher gehört vielleicht auch
die eigentümliche Thatsache des zunehmenden Übergewichtes der
dunklen Augen vor den grauen und blauen, indem bei Ehen zwischen
Menschen mit verschieden gefärbten Augen, die dunklen fast aus-
nahmslos weit zahlreicher in der Nachkommenschaft vertreten sind.3)

1) Das S. 282 Gesagte deutet diesen Sachverhalt schon an.
2) Eine klare leichtverständliche Zusammenfassung bei Johannes Ranke:
Der Mensch, II, 296 fg. Gründlicher, aber darum auch viel schwieriger, ist die
Besprechung aller dieser Fragen im zweiten Teil von Topinard's: L'Anthro-
pologie.
Merkwürdig ist bei letzterem nur die Anwendung des Wortes "Rasse"
für eine hypothetische Wesenheit, deren thatsächliches Dasein zu keiner Zeit nach-
gewiesen werden kann. "Il n'y a plus de races pures"; wer beweist, dass es in
diesem apriorischen Sinne anthropologischer Voraussetzungen jemals welche gab?
Reine Tierrassen werden nur durch Züchtung und mit Zugrundelegung von Blut-
mischungen erzielt; warum sollte beim Menschen das Umgekehrte gelten? --
Übrigens ist diese ganze "präkeltische" Hypothese, wie alle diese Dinge, ein noch
sehr luftiges Gedankenbild. Näheres über diese Fragen weiter unten, im Kap. 6.
3) Alphonse De Candolle: Histoire des sciences et des savandets puis deux
siecles
, 2e ed; pag. 576.
Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 19

Das Völkerchaos.
hierfür, wie die Chemiker sagen, eine bestimmte Kapazität, das heisst,
ein bestimmtes Aufnahmevermögen giebt, über welches hinaus das
Blut getrübt wird, was durch die Abnahme des Charakteristischen
sich kundthut. Italien, in welchem die stolzleidenschaftlichen, überaus
genialen Geschlechter kraftvoller Germanen, welche bis ins 14. Jahr-
hundert ihr Blut rein erhalten hatten, sich später, nach und nach,
mit gründlich bastardierten Italikern und Italioten vermengten, und so
aus der Welt verschwanden, liefert ein Beispiel (siehe Kap. 6 und 9):
crossing obliterates characters. Der sorgfältig Beobachtende wird ferner
entdecken, dass bei Kreuzungen zwischen Menschenstämmen, die mit-
einander nicht nächstverwandt sind, die relative Zeugungskraft ein
Faktor ist, der noch nach Jahrhunderten durchdringen und den Nieder-
gang des edleren Bestandteiles eines gemischten Volkes nach und nach
herbeiführen kann, weil nämlich die relative Zeugungskraft häufig im
umgekehrten Verhältnis zum Rassenadel steht.1) Hierfür erleben wir
ein Beispiel im heutigen Europa, wo die kurzen, runden Schädel
immerwährend an Zahl zunehmen und somit langsam die langen
»Dolichocephalen« verdrängen, aus denen, nach übereinstimmenden
Gräberbefunden, fast die Gesamtzahl der echten alten Germanen, Slaven
und Kelten bestand; man erblickt darin das Überhandnehmen einer
von den Indogermanen besiegten fremdartigen Rasse (der »präkeltischen«,
wie Virchow sie nennt), welche durch animalische Kraft den geistig
Überlegeneren allmählich überwindet.2) Hierher gehört vielleicht auch
die eigentümliche Thatsache des zunehmenden Übergewichtes der
dunklen Augen vor den grauen und blauen, indem bei Ehen zwischen
Menschen mit verschieden gefärbten Augen, die dunklen fast aus-
nahmslos weit zahlreicher in der Nachkommenschaft vertreten sind.3)

1) Das S. 282 Gesagte deutet diesen Sachverhalt schon an.
2) Eine klare leichtverständliche Zusammenfassung bei Johannes Ranke:
Der Mensch, II, 296 fg. Gründlicher, aber darum auch viel schwieriger, ist die
Besprechung aller dieser Fragen im zweiten Teil von Topinard’s: L’Anthro-
pologie.
Merkwürdig ist bei letzterem nur die Anwendung des Wortes »Rasse«
für eine hypothetische Wesenheit, deren thatsächliches Dasein zu keiner Zeit nach-
gewiesen werden kann. »Il n’y a plus de races pures«; wer beweist, dass es in
diesem apriorischen Sinne anthropologischer Voraussetzungen jemals welche gab?
Reine Tierrassen werden nur durch Züchtung und mit Zugrundelegung von Blut-
mischungen erzielt; warum sollte beim Menschen das Umgekehrte gelten? —
Übrigens ist diese ganze »präkeltische« Hypothese, wie alle diese Dinge, ein noch
sehr luftiges Gedankenbild. Näheres über diese Fragen weiter unten, im Kap. 6.
3) Alphonse De Candolle: Histoire des sciences et des savandets puis deux
siècles
, 2e éd; pag. 576.
Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 19
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[289/0312] Das Völkerchaos. hierfür, wie die Chemiker sagen, eine bestimmte Kapazität, das heisst, ein bestimmtes Aufnahmevermögen giebt, über welches hinaus das Blut getrübt wird, was durch die Abnahme des Charakteristischen sich kundthut. Italien, in welchem die stolzleidenschaftlichen, überaus genialen Geschlechter kraftvoller Germanen, welche bis ins 14. Jahr- hundert ihr Blut rein erhalten hatten, sich später, nach und nach, mit gründlich bastardierten Italikern und Italioten vermengten, und so aus der Welt verschwanden, liefert ein Beispiel (siehe Kap. 6 und 9): crossing obliterates characters. Der sorgfältig Beobachtende wird ferner entdecken, dass bei Kreuzungen zwischen Menschenstämmen, die mit- einander nicht nächstverwandt sind, die relative Zeugungskraft ein Faktor ist, der noch nach Jahrhunderten durchdringen und den Nieder- gang des edleren Bestandteiles eines gemischten Volkes nach und nach herbeiführen kann, weil nämlich die relative Zeugungskraft häufig im umgekehrten Verhältnis zum Rassenadel steht. 1) Hierfür erleben wir ein Beispiel im heutigen Europa, wo die kurzen, runden Schädel immerwährend an Zahl zunehmen und somit langsam die langen »Dolichocephalen« verdrängen, aus denen, nach übereinstimmenden Gräberbefunden, fast die Gesamtzahl der echten alten Germanen, Slaven und Kelten bestand; man erblickt darin das Überhandnehmen einer von den Indogermanen besiegten fremdartigen Rasse (der »präkeltischen«, wie Virchow sie nennt), welche durch animalische Kraft den geistig Überlegeneren allmählich überwindet. 2) Hierher gehört vielleicht auch die eigentümliche Thatsache des zunehmenden Übergewichtes der dunklen Augen vor den grauen und blauen, indem bei Ehen zwischen Menschen mit verschieden gefärbten Augen, die dunklen fast aus- nahmslos weit zahlreicher in der Nachkommenschaft vertreten sind. 3) 1) Das S. 282 Gesagte deutet diesen Sachverhalt schon an. 2) Eine klare leichtverständliche Zusammenfassung bei Johannes Ranke: Der Mensch, II, 296 fg. Gründlicher, aber darum auch viel schwieriger, ist die Besprechung aller dieser Fragen im zweiten Teil von Topinard’s: L’Anthro- pologie. Merkwürdig ist bei letzterem nur die Anwendung des Wortes »Rasse« für eine hypothetische Wesenheit, deren thatsächliches Dasein zu keiner Zeit nach- gewiesen werden kann. »Il n’y a plus de races pures«; wer beweist, dass es in diesem apriorischen Sinne anthropologischer Voraussetzungen jemals welche gab? Reine Tierrassen werden nur durch Züchtung und mit Zugrundelegung von Blut- mischungen erzielt; warum sollte beim Menschen das Umgekehrte gelten? — Übrigens ist diese ganze »präkeltische« Hypothese, wie alle diese Dinge, ein noch sehr luftiges Gedankenbild. Näheres über diese Fragen weiter unten, im Kap. 6. 3) Alphonse De Candolle: Histoire des sciences et des savandets puis deux siècles, 2e éd; pag. 576. Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 19

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/312>, abgerufen am 13.05.2024.