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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
weislich die Idee des einen Weltgottes nur in der spätesten post-
exilischen Zeit langsam eingedrungen und ohne allen Zweifel unter
fremdem, namentlich persischem Einfluss; wollten wir ganz wahr
sprechen, wir müssten sagen: diese Idee drang niemals ein, denn
heute noch, wie vor 3000 Jahren, ist Jahve nicht der Gott des kos-
mischen Weltalls, sondern der Gott der Juden; er hat nur die übrigen
Götter umgebracht, vertilgt, wie er auch die übrigen Völker noch
vertilgen wird, mit Ausnahme derer, die den Juden als Sklaven
dienen sollen.1) Das ist doch kein wirklicher Monotheismus, sondern,
wie schon früher bemerkt, ungeschminkte Monolatrie!

Dagegen lehrt uns gerade diese Betrachtung einsehen, welche
wichtige und eigentümliche Wahrheit unter den nur zu allgemein ge-
haltenen Worten Renan's steckte; wie so häufig hatte er richtig ge-
sehen, aber äusserst oberflächlich analysiert. Er hatte geschrieben: "Die
Wüste ist monotheistisch; das Erhabene ihrer unermesslichen Ein-
förmigkeit offenbarte zum ersten Male den Menschen die Vorstellung
des Unendlichen". Wie falsch alles ist, was in diesem Satz dem
Semikolon folgt, zeigen ja Renan's eigene Ausführungen an anderem
Orte, wo er darthut, gerade die semitischen Sprachen seien "unfähig,
die Empfindung des Unendlichen zum Ausdruck zu bringen" (siehe
S. 295). In den dunklen Urwäldern Indiens hat die Empfindung des

Menschen, ...." (Einleitende Hymnen an Ra; siehe die vollständige Übersetzung
des Totenbuches nach der Thebanischen Rezension von E. A. W. Budge, 1898.)
Budge macht darauf aufmerksam (S. XCVIII), dass die Formel in Deuteronomium
IV, 4: "Der Herr, unser Gott, ist ein einiger Gott", eine buchstäbliche Nachahmung
des Ägyptischen ist.
1) Man sehe z. B. die Apokalypse des Baruch (LXXII), ein berühmtes jüdisches
Werk aus dem Schluss des 1. Jahrhunderts nach Christo: "Die Männer aller
Nationen sollen Israel unterthan sein, doch diejenigen, die über euch geherrscht
haben, sollen durch das Schwert vertilgt werden" (citiert nach Stanton: The jewish
and the christian Messiah
, p. 316). Man sieht, wie engnational dieser angebliche
Schöpfer des Himmels und der Erde geblieben ist. Das giebt auch Montefiore
zu, indem er schreibt: "Jahve war freilich nach und nach zum einen Weltgott
geworden, doch blieb dieser Gott noch immer Jahve. Trotzdem er nunmehr der
unbeschränkte Beherrscher des Universums geworden, hörte er nicht auf, der Gott
Israels zu sein" (a. a. O. S. 422). Robertson Smith, einer der ersten Autoritäten
unserer Zeit in diesen Fragen, deutet Jesaia Kap. 2 als eine Prophezeiung, dass
Jahve nach und nach durch die Anerkennung seiner Herrschertugenden sich zum
Gott der ganzen Menschheit aufschwingen werde! Also selbst in den er-
habensten Phasen der semitischen Religionsauffassung, selbst wo von Gott die
Rede ist, das Vorwalten des rein historischen, flagrant anthropomorphischen, un-
bedingt materialistischen Standpunktes!
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Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
weislich die Idee des einen Weltgottes nur in der spätesten post-
exilischen Zeit langsam eingedrungen und ohne allen Zweifel unter
fremdem, namentlich persischem Einfluss; wollten wir ganz wahr
sprechen, wir müssten sagen: diese Idee drang niemals ein, denn
heute noch, wie vor 3000 Jahren, ist Jahve nicht der Gott des kos-
mischen Weltalls, sondern der Gott der Juden; er hat nur die übrigen
Götter umgebracht, vertilgt, wie er auch die übrigen Völker noch
vertilgen wird, mit Ausnahme derer, die den Juden als Sklaven
dienen sollen.1) Das ist doch kein wirklicher Monotheismus, sondern,
wie schon früher bemerkt, ungeschminkte Monolatrie!

Dagegen lehrt uns gerade diese Betrachtung einsehen, welche
wichtige und eigentümliche Wahrheit unter den nur zu allgemein ge-
haltenen Worten Renan’s steckte; wie so häufig hatte er richtig ge-
sehen, aber äusserst oberflächlich analysiert. Er hatte geschrieben: »Die
Wüste ist monotheistisch; das Erhabene ihrer unermesslichen Ein-
förmigkeit offenbarte zum ersten Male den Menschen die Vorstellung
des Unendlichen«. Wie falsch alles ist, was in diesem Satz dem
Semikolon folgt, zeigen ja Renan’s eigene Ausführungen an anderem
Orte, wo er darthut, gerade die semitischen Sprachen seien »unfähig,
die Empfindung des Unendlichen zum Ausdruck zu bringen« (siehe
S. 295). In den dunklen Urwäldern Indiens hat die Empfindung des

Menschen, ....« (Einleitende Hymnen an Rā; siehe die vollständige Übersetzung
des Totenbuches nach der Thebanischen Rezension von E. A. W. Budge, 1898.)
Budge macht darauf aufmerksam (S. XCVIII), dass die Formel in Deuteronomium
IV, 4: »Der Herr, unser Gott, ist ein einiger Gott«, eine buchstäbliche Nachahmung
des Ägyptischen ist.
1) Man sehe z. B. die Apokalypse des Baruch (LXXII), ein berühmtes jüdisches
Werk aus dem Schluss des 1. Jahrhunderts nach Christo: »Die Männer aller
Nationen sollen Israel unterthan sein, doch diejenigen, die über euch geherrscht
haben, sollen durch das Schwert vertilgt werden« (citiert nach Stanton: The jewish
and the christian Messiah
, p. 316). Man sieht, wie engnational dieser angebliche
Schöpfer des Himmels und der Erde geblieben ist. Das giebt auch Montefiore
zu, indem er schreibt: »Jahve war freilich nach und nach zum einen Weltgott
geworden, doch blieb dieser Gott noch immer Jahve. Trotzdem er nunmehr der
unbeschränkte Beherrscher des Universums geworden, hörte er nicht auf, der Gott
Israels zu sein« (a. a. O. S. 422). Robertson Smith, einer der ersten Autoritäten
unserer Zeit in diesen Fragen, deutet Jesaia Kap. 2 als eine Prophezeiung, dass
Jahve nach und nach durch die Anerkennung seiner Herrschertugenden sich zum
Gott der ganzen Menschheit aufschwingen werde! Also selbst in den er-
habensten Phasen der semitischen Religionsauffassung, selbst wo von Gott die
Rede ist, das Vorwalten des rein historischen, flagrant anthropomorphischen, un-
bedingt materialistischen Standpunktes!
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[403/0426] Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. weislich die Idee des einen Weltgottes nur in der spätesten post- exilischen Zeit langsam eingedrungen und ohne allen Zweifel unter fremdem, namentlich persischem Einfluss; wollten wir ganz wahr sprechen, wir müssten sagen: diese Idee drang niemals ein, denn heute noch, wie vor 3000 Jahren, ist Jahve nicht der Gott des kos- mischen Weltalls, sondern der Gott der Juden; er hat nur die übrigen Götter umgebracht, vertilgt, wie er auch die übrigen Völker noch vertilgen wird, mit Ausnahme derer, die den Juden als Sklaven dienen sollen. 1) Das ist doch kein wirklicher Monotheismus, sondern, wie schon früher bemerkt, ungeschminkte Monolatrie! Dagegen lehrt uns gerade diese Betrachtung einsehen, welche wichtige und eigentümliche Wahrheit unter den nur zu allgemein ge- haltenen Worten Renan’s steckte; wie so häufig hatte er richtig ge- sehen, aber äusserst oberflächlich analysiert. Er hatte geschrieben: »Die Wüste ist monotheistisch; das Erhabene ihrer unermesslichen Ein- förmigkeit offenbarte zum ersten Male den Menschen die Vorstellung des Unendlichen«. Wie falsch alles ist, was in diesem Satz dem Semikolon folgt, zeigen ja Renan’s eigene Ausführungen an anderem Orte, wo er darthut, gerade die semitischen Sprachen seien »unfähig, die Empfindung des Unendlichen zum Ausdruck zu bringen« (siehe S. 295). In den dunklen Urwäldern Indiens hat die Empfindung des 4) 1) Man sehe z. B. die Apokalypse des Baruch (LXXII), ein berühmtes jüdisches Werk aus dem Schluss des 1. Jahrhunderts nach Christo: »Die Männer aller Nationen sollen Israel unterthan sein, doch diejenigen, die über euch geherrscht haben, sollen durch das Schwert vertilgt werden« (citiert nach Stanton: The jewish and the christian Messiah, p. 316). Man sieht, wie engnational dieser angebliche Schöpfer des Himmels und der Erde geblieben ist. Das giebt auch Montefiore zu, indem er schreibt: »Jahve war freilich nach und nach zum einen Weltgott geworden, doch blieb dieser Gott noch immer Jahve. Trotzdem er nunmehr der unbeschränkte Beherrscher des Universums geworden, hörte er nicht auf, der Gott Israels zu sein« (a. a. O. S. 422). Robertson Smith, einer der ersten Autoritäten unserer Zeit in diesen Fragen, deutet Jesaia Kap. 2 als eine Prophezeiung, dass Jahve nach und nach durch die Anerkennung seiner Herrschertugenden sich zum Gott der ganzen Menschheit aufschwingen werde! Also selbst in den er- habensten Phasen der semitischen Religionsauffassung, selbst wo von Gott die Rede ist, das Vorwalten des rein historischen, flagrant anthropomorphischen, un- bedingt materialistischen Standpunktes! 4) Menschen, ....« (Einleitende Hymnen an Rā; siehe die vollständige Übersetzung des Totenbuches nach der Thebanischen Rezension von E. A. W. Budge, 1898.) Budge macht darauf aufmerksam (S. XCVIII), dass die Formel in Deuteronomium IV, 4: »Der Herr, unser Gott, ist ein einiger Gott«, eine buchstäbliche Nachahmung des Ägyptischen ist. 26*

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/426>, abgerufen am 17.05.2024.