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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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festationen desselben Gedankens eines heiligen römischen Universal-
reiches), die zweite über den Kampf zwischen den verschiedenen
regierenden Elementen innerhalb dieser natürlich sehr komplizierten
Hierarchie, sollen weniger als Vorwort zu dem Folgenden gedient
haben, denn als Entledigung eines Ballastes, der unsere Schritte vielfach
gehemmt und irregeführt hätte; denn, wie gesagt, der wahre "Kampf
im Staat" liegt tiefer, und gerade er bietet noch gegenwärtiges, ja,
leidenschaftliches Interesse und fördert das Verständnis unseres eigenen
Jahrhunderts.



Savigny, der grosse Rechtslehrer, schreibt: "die Staaten, in welcheUniversalismus
gegen
Nationalismus.

sich das römische Reich auflöste, weisen zurück auf den Zustand des
Reiches vor dieser Auflösung". Der Kampf, von dem ich hier zu
sprechen habe, steht also sowohl formell wie ideell in starker Ab-
hängigkeit vom entschwundenen Imperium. Gleichwie die Schatten
länger werden, je tiefer die Sonne sinkt, so warf Rom, dieser erste
wahrhaft grosse Staat, seinen Schatten weit über kommende Jahr-
hunderte hin. Denn, wohl betrachtet, ist der nun entbrennende Kampf
im Staat ein Kampf der Völker um ihr persönliches Existenzrecht
gegen eine erträumte und erstrebte Universalmonarchie, und Rom
hinterliess nicht allein die Thatsache eines nationalitätlosen Polizeistaates
mit Gleichförmigkeit und Ordnung als politischem Ideal, sondern auch
die Erinnerung an eine grosse Nation. Ausserdem hinterliess Rom jene
geographische Skizze zu einer möglichen und in vielen Zügen dauernd be-
währten politischen Aufteilung des chaotischen Europa in neue Nationen,
sowie Grundprinzipien der Gesetzgebung und der Verwaltung, an denen
die individuelle Selbständigkeit dieser neuen Gebilde wie die junge Rebe
an dem dürren Pfahl emporwachsen und erstarken konnte. Beiden
Idealen, beiden Politiken lieferte also das alte Rom die Waffen, sowohl
dem Universalismus wie dem Nationalismus. Jedoch, es kam auch Neues
hinzu, und dieses Neue war das Lebendige, der Saft, welcher Blüten
und Blätter trieb, die Hand, welche die Waffe führte: neu war das
religiöse Ideal der Universalmonarchie und neu war der die Nationen
gestaltende Menschenschlag. Neu war es, dass die römische Monarchie
nicht mehr eine weltliche Politik, sondern eine zum Himmel vorbereitende
Religion, dass ihr Monarch nicht ein wechselnder Caesar, sondern ein
unsterblicher, ans Kreuz geschlagener Gott sein sollte, und ebenso neu
war es, dass an Stelle der verschwundenen Nationen der früheren

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festationen desselben Gedankens eines heiligen römischen Universal-
reiches), die zweite über den Kampf zwischen den verschiedenen
regierenden Elementen innerhalb dieser natürlich sehr komplizierten
Hierarchie, sollen weniger als Vorwort zu dem Folgenden gedient
haben, denn als Entledigung eines Ballastes, der unsere Schritte vielfach
gehemmt und irregeführt hätte; denn, wie gesagt, der wahre »Kampf
im Staat« liegt tiefer, und gerade er bietet noch gegenwärtiges, ja,
leidenschaftliches Interesse und fördert das Verständnis unseres eigenen
Jahrhunderts.



Savigny, der grosse Rechtslehrer, schreibt: »die Staaten, in welcheUniversalismus
gegen
Nationalismus.

sich das römische Reich auflöste, weisen zurück auf den Zustand des
Reiches vor dieser Auflösung«. Der Kampf, von dem ich hier zu
sprechen habe, steht also sowohl formell wie ideell in starker Ab-
hängigkeit vom entschwundenen Imperium. Gleichwie die Schatten
länger werden, je tiefer die Sonne sinkt, so warf Rom, dieser erste
wahrhaft grosse Staat, seinen Schatten weit über kommende Jahr-
hunderte hin. Denn, wohl betrachtet, ist der nun entbrennende Kampf
im Staat ein Kampf der Völker um ihr persönliches Existenzrecht
gegen eine erträumte und erstrebte Universalmonarchie, und Rom
hinterliess nicht allein die Thatsache eines nationalitätlosen Polizeistaates
mit Gleichförmigkeit und Ordnung als politischem Ideal, sondern auch
die Erinnerung an eine grosse Nation. Ausserdem hinterliess Rom jene
geographische Skizze zu einer möglichen und in vielen Zügen dauernd be-
währten politischen Aufteilung des chaotischen Europa in neue Nationen,
sowie Grundprinzipien der Gesetzgebung und der Verwaltung, an denen
die individuelle Selbständigkeit dieser neuen Gebilde wie die junge Rebe
an dem dürren Pfahl emporwachsen und erstarken konnte. Beiden
Idealen, beiden Politiken lieferte also das alte Rom die Waffen, sowohl
dem Universalismus wie dem Nationalismus. Jedoch, es kam auch Neues
hinzu, und dieses Neue war das Lebendige, der Saft, welcher Blüten
und Blätter trieb, die Hand, welche die Waffe führte: neu war das
religiöse Ideal der Universalmonarchie und neu war der die Nationen
gestaltende Menschenschlag. Neu war es, dass die römische Monarchie
nicht mehr eine weltliche Politik, sondern eine zum Himmel vorbereitende
Religion, dass ihr Monarch nicht ein wechselnder Caesar, sondern ein
unsterblicher, ans Kreuz geschlagener Gott sein sollte, und ebenso neu
war es, dass an Stelle der verschwundenen Nationen der früheren

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[659/0138] Staat. festationen desselben Gedankens eines heiligen römischen Universal- reiches), die zweite über den Kampf zwischen den verschiedenen regierenden Elementen innerhalb dieser natürlich sehr komplizierten Hierarchie, sollen weniger als Vorwort zu dem Folgenden gedient haben, denn als Entledigung eines Ballastes, der unsere Schritte vielfach gehemmt und irregeführt hätte; denn, wie gesagt, der wahre »Kampf im Staat« liegt tiefer, und gerade er bietet noch gegenwärtiges, ja, leidenschaftliches Interesse und fördert das Verständnis unseres eigenen Jahrhunderts. Savigny, der grosse Rechtslehrer, schreibt: »die Staaten, in welche sich das römische Reich auflöste, weisen zurück auf den Zustand des Reiches vor dieser Auflösung«. Der Kampf, von dem ich hier zu sprechen habe, steht also sowohl formell wie ideell in starker Ab- hängigkeit vom entschwundenen Imperium. Gleichwie die Schatten länger werden, je tiefer die Sonne sinkt, so warf Rom, dieser erste wahrhaft grosse Staat, seinen Schatten weit über kommende Jahr- hunderte hin. Denn, wohl betrachtet, ist der nun entbrennende Kampf im Staat ein Kampf der Völker um ihr persönliches Existenzrecht gegen eine erträumte und erstrebte Universalmonarchie, und Rom hinterliess nicht allein die Thatsache eines nationalitätlosen Polizeistaates mit Gleichförmigkeit und Ordnung als politischem Ideal, sondern auch die Erinnerung an eine grosse Nation. Ausserdem hinterliess Rom jene geographische Skizze zu einer möglichen und in vielen Zügen dauernd be- währten politischen Aufteilung des chaotischen Europa in neue Nationen, sowie Grundprinzipien der Gesetzgebung und der Verwaltung, an denen die individuelle Selbständigkeit dieser neuen Gebilde wie die junge Rebe an dem dürren Pfahl emporwachsen und erstarken konnte. Beiden Idealen, beiden Politiken lieferte also das alte Rom die Waffen, sowohl dem Universalismus wie dem Nationalismus. Jedoch, es kam auch Neues hinzu, und dieses Neue war das Lebendige, der Saft, welcher Blüten und Blätter trieb, die Hand, welche die Waffe führte: neu war das religiöse Ideal der Universalmonarchie und neu war der die Nationen gestaltende Menschenschlag. Neu war es, dass die römische Monarchie nicht mehr eine weltliche Politik, sondern eine zum Himmel vorbereitende Religion, dass ihr Monarch nicht ein wechselnder Caesar, sondern ein unsterblicher, ans Kreuz geschlagener Gott sein sollte, und ebenso neu war es, dass an Stelle der verschwundenen Nationen der früheren Universalismus gegen Nationalismus.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 659. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/138>, abgerufen am 26.04.2024.