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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Staat.
Gesetz schärfster Abgrenzung nach Aussen eine innerlich unerhört
mächtige Nation schaffen. Und ich möchte wissen, wo man mehr
als bei dem Anblick des Gekreuzigten berechtigt wäre, auszurufen:
äusserlich begrenzt, innerlich grenzenlos? und aus welchen Worten
diese Wahrheit deutlicher herübergetönt wäre, als aus jenen: Das
Himmelreich ist nicht auswendig, in der Welt der begrenzten Gestalten,
sondern innerlich, in euren Herzen, in der Welt des Grenzenlosen?
Diese Lehre ist das genaue, antipodische Gegenteil der Kirchenlehre.
Die Geschichte als Beobachtungswissenschaft lehrt, dass nur begrenzte,
zu nationaler Eigenartigkeit aus- und eingewachsene Völker Grosses
geleistet haben. Die stärkste Nation der Welt -- Rom -- verschwand
und mit ihr verschwanden ihre Tugenden, sobald sie "universal" zu
werden strebte. Ähnlich überall. Lebhaftestes Rassenbewusstein und
allerengste Stadtorganisation waren die notwendige Atmosphäre für
die unvergänglichen Grossthaten des Hellenentums; die Weltmacht
Alexander's hat nur die Bedeutung einer mechanischen Ausbreitung
von hellenischen Bildungselementen. Die ursprünglichen Perser waren
eine der heldenhaftesten, thatkräftigsten, in Bezug auf Poesie und
Religion am tiefsten beanlagten Völker der Geschichte: als sie den
Thron einer Weltmonarchie erstiegen hatten, schwand ihre Persönlich-
keit und damit auch ihr Können dahin. Selbst die Türken verloren
als internationale Grossmacht ihren bescheidenen Schatz an Eigen-
schaften, während ihre Vettern, die Hunnen, durch rücksichtslose Be-
tonung des einen einzigen nationalen Momentes und durch gewaltsame
Amalgamierung ihres reichen Schatzes an tüchtigen deutschen und
slavischen Elementen, im Begriffe sind, unter unseren Augen zu einer
grossen Nation heranzuwachsen.

Aus dieser zwiefachen Betrachtung geht hervor, dass die Be-
schränkung
ein allgemeines Naturgesetz ist, ein eben so allgemeines
wie das Streben nach dem Schrankenlosen. Ins Unbegrenzte muss
der Mensch hinaus, seine Natur fordert es gebieterisch; um dies zu
können, muss er sich begrenzen. Hier findet nun der Widerstreit der
Prinzipien statt: begrenzen wir uns äusserlich -- in Bezug auf Rasse,
Vaterland, Persönlichkeit -- so scharf, so resolut wie möglich, so
wird uns, wie den Hellenen und den brahmanischen Indern, das inner-
liche Reich des Grenzenlosen aufgehen; streben wir dagegen äusserlich
nach Unbegrenztem, nach irgend einem Absoluten, Ewigen, so müssen
wir auf der Grundlage eines engbegrenzten Innern bauen, sonst ist
jeder Erfolg ausgeschlossen: das zeigt uns jedes grosse Imperium, das

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Staat.
Gesetz schärfster Abgrenzung nach Aussen eine innerlich unerhört
mächtige Nation schaffen. Und ich möchte wissen, wo man mehr
als bei dem Anblick des Gekreuzigten berechtigt wäre, auszurufen:
äusserlich begrenzt, innerlich grenzenlos? und aus welchen Worten
diese Wahrheit deutlicher herübergetönt wäre, als aus jenen: Das
Himmelreich ist nicht auswendig, in der Welt der begrenzten Gestalten,
sondern innerlich, in euren Herzen, in der Welt des Grenzenlosen?
Diese Lehre ist das genaue, antipodische Gegenteil der Kirchenlehre.
Die Geschichte als Beobachtungswissenschaft lehrt, dass nur begrenzte,
zu nationaler Eigenartigkeit aus- und eingewachsene Völker Grosses
geleistet haben. Die stärkste Nation der Welt — Rom — verschwand
und mit ihr verschwanden ihre Tugenden, sobald sie »universal« zu
werden strebte. Ähnlich überall. Lebhaftestes Rassenbewusstein und
allerengste Stadtorganisation waren die notwendige Atmosphäre für
die unvergänglichen Grossthaten des Hellenentums; die Weltmacht
Alexander’s hat nur die Bedeutung einer mechanischen Ausbreitung
von hellenischen Bildungselementen. Die ursprünglichen Perser waren
eine der heldenhaftesten, thatkräftigsten, in Bezug auf Poesie und
Religion am tiefsten beanlagten Völker der Geschichte: als sie den
Thron einer Weltmonarchie erstiegen hatten, schwand ihre Persönlich-
keit und damit auch ihr Können dahin. Selbst die Türken verloren
als internationale Grossmacht ihren bescheidenen Schatz an Eigen-
schaften, während ihre Vettern, die Hunnen, durch rücksichtslose Be-
tonung des einen einzigen nationalen Momentes und durch gewaltsame
Amalgamierung ihres reichen Schatzes an tüchtigen deutschen und
slavischen Elementen, im Begriffe sind, unter unseren Augen zu einer
grossen Nation heranzuwachsen.

Aus dieser zwiefachen Betrachtung geht hervor, dass die Be-
schränkung
ein allgemeines Naturgesetz ist, ein eben so allgemeines
wie das Streben nach dem Schrankenlosen. Ins Unbegrenzte muss
der Mensch hinaus, seine Natur fordert es gebieterisch; um dies zu
können, muss er sich begrenzen. Hier findet nun der Widerstreit der
Prinzipien statt: begrenzen wir uns äusserlich — in Bezug auf Rasse,
Vaterland, Persönlichkeit — so scharf, so resolut wie möglich, so
wird uns, wie den Hellenen und den brahmanischen Indern, das inner-
liche Reich des Grenzenlosen aufgehen; streben wir dagegen äusserlich
nach Unbegrenztem, nach irgend einem Absoluten, Ewigen, so müssen
wir auf der Grundlage eines engbegrenzten Innern bauen, sonst ist
jeder Erfolg ausgeschlossen: das zeigt uns jedes grosse Imperium, das

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[667/0146] Staat. Gesetz schärfster Abgrenzung nach Aussen eine innerlich unerhört mächtige Nation schaffen. Und ich möchte wissen, wo man mehr als bei dem Anblick des Gekreuzigten berechtigt wäre, auszurufen: äusserlich begrenzt, innerlich grenzenlos? und aus welchen Worten diese Wahrheit deutlicher herübergetönt wäre, als aus jenen: Das Himmelreich ist nicht auswendig, in der Welt der begrenzten Gestalten, sondern innerlich, in euren Herzen, in der Welt des Grenzenlosen? Diese Lehre ist das genaue, antipodische Gegenteil der Kirchenlehre. Die Geschichte als Beobachtungswissenschaft lehrt, dass nur begrenzte, zu nationaler Eigenartigkeit aus- und eingewachsene Völker Grosses geleistet haben. Die stärkste Nation der Welt — Rom — verschwand und mit ihr verschwanden ihre Tugenden, sobald sie »universal« zu werden strebte. Ähnlich überall. Lebhaftestes Rassenbewusstein und allerengste Stadtorganisation waren die notwendige Atmosphäre für die unvergänglichen Grossthaten des Hellenentums; die Weltmacht Alexander’s hat nur die Bedeutung einer mechanischen Ausbreitung von hellenischen Bildungselementen. Die ursprünglichen Perser waren eine der heldenhaftesten, thatkräftigsten, in Bezug auf Poesie und Religion am tiefsten beanlagten Völker der Geschichte: als sie den Thron einer Weltmonarchie erstiegen hatten, schwand ihre Persönlich- keit und damit auch ihr Können dahin. Selbst die Türken verloren als internationale Grossmacht ihren bescheidenen Schatz an Eigen- schaften, während ihre Vettern, die Hunnen, durch rücksichtslose Be- tonung des einen einzigen nationalen Momentes und durch gewaltsame Amalgamierung ihres reichen Schatzes an tüchtigen deutschen und slavischen Elementen, im Begriffe sind, unter unseren Augen zu einer grossen Nation heranzuwachsen. Aus dieser zwiefachen Betrachtung geht hervor, dass die Be- schränkung ein allgemeines Naturgesetz ist, ein eben so allgemeines wie das Streben nach dem Schrankenlosen. Ins Unbegrenzte muss der Mensch hinaus, seine Natur fordert es gebieterisch; um dies zu können, muss er sich begrenzen. Hier findet nun der Widerstreit der Prinzipien statt: begrenzen wir uns äusserlich — in Bezug auf Rasse, Vaterland, Persönlichkeit — so scharf, so resolut wie möglich, so wird uns, wie den Hellenen und den brahmanischen Indern, das inner- liche Reich des Grenzenlosen aufgehen; streben wir dagegen äusserlich nach Unbegrenztem, nach irgend einem Absoluten, Ewigen, so müssen wir auf der Grundlage eines engbegrenzten Innern bauen, sonst ist jeder Erfolg ausgeschlossen: das zeigt uns jedes grosse Imperium, das 43*

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/146>, abgerufen am 26.04.2024.