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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
ein Muster sozialistischer, antiindividualistischer Organisation. Einer ganz
analogen Bewegung ins Unbegrenzte mit derselben unausbleiblichen
Folge einer Unterdrückung des Einzelnen begegnen wir im Grosshandel
und in der Grossindustrie. Man lese nur in der Wirtschafts- und
handelspolitischen Rundschau
für das Jahr 1897 von R. E. May die
Mitteilungen über die Zunahme des Syndikatwesens und über die
daraus sich ergebende "internationale Centralisation der
Produktion, wie des Kapitals" (S. 34 fg). Es bedeutet diese Entwickelung
zur Anonymität und Massenproduktion durch Syndikate einen Krieg bis
aufs Messer gegen die Persönlichkeit, welche nur innerhalb eng ge-
zogener Schranken sich zur Geltung bringen kann -- und sei es auch
als Kaufmann oder Fabrikant. Und von der einzelnen Person dehnt
sich diese Bewegung, wie man sieht, auch auf die Persönlichkeit der
Nationen aus. In einer Posse, die ich vor einigen Jahren sah, kommt
ein Kaufmann vor, der jedem Neueintretenden stolz erzählt: "Wissen
Sie schon? ich bin in eine anonyme Aktiengesellschaft umgewandelt!"
Bliebe diese wirtschaftliche Tendenz ohne Gegengewicht -- bald könnten
die Völker von sich melden: "Wir sind in eine internationale anonyme
Aktiengesellschaft umgewandelt". Und wenn ich mit einem salto
mortale
auf ein vom Wirtschaftlichen weit abliegendes Gebiet hinüber-
springen darf, um mir dort ein weiteres Beispiel der Bemühungen des
Universalismus unter uns zu suchen, so möchte ich auf die grosse
thomistische Bewegung aufmerksam machen, welche durch die päpst-
liche Encyklika Aeterni Patris vom Jahre 1879 hervorgerufen wurde
und jetzt zu solchen Dimensionen angeschwollen ist, dass selbst wissen-
schaftliche Bücher aus einem gewissen Lager sich bereits erdreisten,
Thomas von Aquin für den grössten Philosophen aller Zeiten zu
erklären, alles niederzureissen, was seitdem -- der Menschheit zu
ewigem Ruhme -- von den grossen germanischen Denkern gedacht
worden ist, und so die Menschen ins 13. Jahrhundert zurückzu-
führen und ihnen die intellektuellen und moralischen Ketten wieder
anzuschmieden, die sie inzwischen nach und nach, in hartnäckigem
Kampfe um die Freiheit, zerbrochen und abgeworfen hatten. Und
was wird denn an Thomas gelobt? Seine Universalität! die That-
sache, dass er ein allumfassendes System aufgestellt hat, in welchem
alle Gegensätze ihre Versöhnung, alle Antinomieen ihre Auflösung,
alle Fragezeichen der menschlichen Vernunft ihre Beantwortung finden.
Ein zweiter Aristoteles wird er genannt; "was Aristoteles nur ahnend
stammelt, dem leiht Thomas mit voller Klarheit beredten Aus-

Der Kampf.
ein Muster sozialistischer, antiindividualistischer Organisation. Einer ganz
analogen Bewegung ins Unbegrenzte mit derselben unausbleiblichen
Folge einer Unterdrückung des Einzelnen begegnen wir im Grosshandel
und in der Grossindustrie. Man lese nur in der Wirtschafts- und
handelspolitischen Rundschau
für das Jahr 1897 von R. E. May die
Mitteilungen über die Zunahme des Syndikatwesens und über die
daraus sich ergebende »internationale Centralisation der
Produktion, wie des Kapitals« (S. 34 fg). Es bedeutet diese Entwickelung
zur Anonymität und Massenproduktion durch Syndikate einen Krieg bis
aufs Messer gegen die Persönlichkeit, welche nur innerhalb eng ge-
zogener Schranken sich zur Geltung bringen kann — und sei es auch
als Kaufmann oder Fabrikant. Und von der einzelnen Person dehnt
sich diese Bewegung, wie man sieht, auch auf die Persönlichkeit der
Nationen aus. In einer Posse, die ich vor einigen Jahren sah, kommt
ein Kaufmann vor, der jedem Neueintretenden stolz erzählt: »Wissen
Sie schon? ich bin in eine anonyme Aktiengesellschaft umgewandelt!«
Bliebe diese wirtschaftliche Tendenz ohne Gegengewicht — bald könnten
die Völker von sich melden: »Wir sind in eine internationale anonyme
Aktiengesellschaft umgewandelt«. Und wenn ich mit einem salto
mortale
auf ein vom Wirtschaftlichen weit abliegendes Gebiet hinüber-
springen darf, um mir dort ein weiteres Beispiel der Bemühungen des
Universalismus unter uns zu suchen, so möchte ich auf die grosse
thomistische Bewegung aufmerksam machen, welche durch die päpst-
liche Encyklika Aeterni Patris vom Jahre 1879 hervorgerufen wurde
und jetzt zu solchen Dimensionen angeschwollen ist, dass selbst wissen-
schaftliche Bücher aus einem gewissen Lager sich bereits erdreisten,
Thomas von Aquin für den grössten Philosophen aller Zeiten zu
erklären, alles niederzureissen, was seitdem — der Menschheit zu
ewigem Ruhme — von den grossen germanischen Denkern gedacht
worden ist, und so die Menschen ins 13. Jahrhundert zurückzu-
führen und ihnen die intellektuellen und moralischen Ketten wieder
anzuschmieden, die sie inzwischen nach und nach, in hartnäckigem
Kampfe um die Freiheit, zerbrochen und abgeworfen hatten. Und
was wird denn an Thomas gelobt? Seine Universalität! die That-
sache, dass er ein allumfassendes System aufgestellt hat, in welchem
alle Gegensätze ihre Versöhnung, alle Antinomieen ihre Auflösung,
alle Fragezeichen der menschlichen Vernunft ihre Beantwortung finden.
Ein zweiter Aristoteles wird er genannt; »was Aristoteles nur ahnend
stammelt, dem leiht Thomas mit voller Klarheit beredten Aus-

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[682/0161] Der Kampf. ein Muster sozialistischer, antiindividualistischer Organisation. Einer ganz analogen Bewegung ins Unbegrenzte mit derselben unausbleiblichen Folge einer Unterdrückung des Einzelnen begegnen wir im Grosshandel und in der Grossindustrie. Man lese nur in der Wirtschafts- und handelspolitischen Rundschau für das Jahr 1897 von R. E. May die Mitteilungen über die Zunahme des Syndikatwesens und über die daraus sich ergebende »internationale Centralisation der Produktion, wie des Kapitals« (S. 34 fg). Es bedeutet diese Entwickelung zur Anonymität und Massenproduktion durch Syndikate einen Krieg bis aufs Messer gegen die Persönlichkeit, welche nur innerhalb eng ge- zogener Schranken sich zur Geltung bringen kann — und sei es auch als Kaufmann oder Fabrikant. Und von der einzelnen Person dehnt sich diese Bewegung, wie man sieht, auch auf die Persönlichkeit der Nationen aus. In einer Posse, die ich vor einigen Jahren sah, kommt ein Kaufmann vor, der jedem Neueintretenden stolz erzählt: »Wissen Sie schon? ich bin in eine anonyme Aktiengesellschaft umgewandelt!« Bliebe diese wirtschaftliche Tendenz ohne Gegengewicht — bald könnten die Völker von sich melden: »Wir sind in eine internationale anonyme Aktiengesellschaft umgewandelt«. Und wenn ich mit einem salto mortale auf ein vom Wirtschaftlichen weit abliegendes Gebiet hinüber- springen darf, um mir dort ein weiteres Beispiel der Bemühungen des Universalismus unter uns zu suchen, so möchte ich auf die grosse thomistische Bewegung aufmerksam machen, welche durch die päpst- liche Encyklika Aeterni Patris vom Jahre 1879 hervorgerufen wurde und jetzt zu solchen Dimensionen angeschwollen ist, dass selbst wissen- schaftliche Bücher aus einem gewissen Lager sich bereits erdreisten, Thomas von Aquin für den grössten Philosophen aller Zeiten zu erklären, alles niederzureissen, was seitdem — der Menschheit zu ewigem Ruhme — von den grossen germanischen Denkern gedacht worden ist, und so die Menschen ins 13. Jahrhundert zurückzu- führen und ihnen die intellektuellen und moralischen Ketten wieder anzuschmieden, die sie inzwischen nach und nach, in hartnäckigem Kampfe um die Freiheit, zerbrochen und abgeworfen hatten. Und was wird denn an Thomas gelobt? Seine Universalität! die That- sache, dass er ein allumfassendes System aufgestellt hat, in welchem alle Gegensätze ihre Versöhnung, alle Antinomieen ihre Auflösung, alle Fragezeichen der menschlichen Vernunft ihre Beantwortung finden. Ein zweiter Aristoteles wird er genannt; »was Aristoteles nur ahnend stammelt, dem leiht Thomas mit voller Klarheit beredten Aus-

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 682. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/161>, abgerufen am 26.04.2024.