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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Die Entstehung einer neuen Welt.
und bis vor Kurzem bedenkliches, nach Zauberei schmeckendes Hinein-
greifen in die Eingeweide der Natur, zugleich ein wichtigster Ursprung
unseres heutigen Wissens und unserer heutigen Macht.1) Nun, bei
der Erschliessung dieser beiden Wissensgebiete, sowohl bei den Ent-
deckungsreisen, wie bei der Alchymie, bildete Jahrhunderte lang das
unmittelbare Suchen nach Gold die treibende Kraft. Gewiss findet
man bei den grossen einzelnen Bahnbrechern immer etwas Anderes --
eine reine Idealkraft -- daneben und darüber; ein Columbus ist bereit,
jeden Augenblick für seinen Gedanken zu sterben, einem Albertus
Magnus schweben die grossen Weltprobleme vor; doch hätten solche
Männer weder die nötige Unterstützung gefunden, noch hätte sich
ihnen die Schar der für das mühsame Werk der Entdeckung nötigen
Trabanten angeschlossen, wenn nicht die Hoffnung auf sofortigen
Gewinn angeeifert hätte. Die Hoffnung auf Gold lehrte schärfer be-
obachten, sie verdoppelte die Erfindungsgabe, sie flösste die kühnsten
Hypothesen ein, sie schenkte endlose Ausdauer und Todesverachtung.
Schliesslich ist es heute nicht viel anders: zwar stürzen sich die Staaten
nicht mehr unmittelbar auf das Goldmetall, wie die Spanier und Portu-
giesen des 16. Jahrhunderts, doch erfolgt die allmähliche Erschliessung
der Welt und ihre Unterwerfung unter germanischen Einfluss lediglich
nach Massgabe der Rentabilität. Selbst ein Livingstone ist im letzten
Grund ein Pionier für zinsengierige Kapitalisten gewesen und diese
erst führen das aus, was der einzelne Idealist auszuführen nicht ver-
mochte. Ebenso könnte die moderne Chemie ohne die kostspieligen
Laboratorien und Instrumente nicht bestehen, und der Staat unterhält
diese, nicht aus Begeisterung für reine Wissenschaft, sondern weil die
daraus hervorgehenden industriellen Erfindungen das Land bereichern.2)
Der Nordpol, der selbst unserem Jahrhundert noch trotzt, wäre in
sechs Monaten entdeckt und überlaufen, dächte man, dass dort Felsen
aus eitel Gold den Fluten entragen.

Man sieht, nichts liegt mir ferner, als uns besser und edler hin-
zustellen als wir sind; ehrlich währt am längsten, sagt das Sprichwort;
es bewährt sich auch hier. Denn aus dieser Beobachtung betreffend
die Macht des Goldes ergiebt sich eine Erkenntnis, die wir -- einmal

1) Die hohe Bedeutung der Alchymie als Begründerin der Chemie ist heute
allseitig anerkannt; ich brauche nur auf die Bücher von Berthelot und Kopp zu
verweisen.
2) Von der Erfindung neuer Kanonenpulver und Torpedosprengstoffe zu
geschweigen!

Die Entstehung einer neuen Welt.
und bis vor Kurzem bedenkliches, nach Zauberei schmeckendes Hinein-
greifen in die Eingeweide der Natur, zugleich ein wichtigster Ursprung
unseres heutigen Wissens und unserer heutigen Macht.1) Nun, bei
der Erschliessung dieser beiden Wissensgebiete, sowohl bei den Ent-
deckungsreisen, wie bei der Alchymie, bildete Jahrhunderte lang das
unmittelbare Suchen nach Gold die treibende Kraft. Gewiss findet
man bei den grossen einzelnen Bahnbrechern immer etwas Anderes —
eine reine Idealkraft — daneben und darüber; ein Columbus ist bereit,
jeden Augenblick für seinen Gedanken zu sterben, einem Albertus
Magnus schweben die grossen Weltprobleme vor; doch hätten solche
Männer weder die nötige Unterstützung gefunden, noch hätte sich
ihnen die Schar der für das mühsame Werk der Entdeckung nötigen
Trabanten angeschlossen, wenn nicht die Hoffnung auf sofortigen
Gewinn angeeifert hätte. Die Hoffnung auf Gold lehrte schärfer be-
obachten, sie verdoppelte die Erfindungsgabe, sie flösste die kühnsten
Hypothesen ein, sie schenkte endlose Ausdauer und Todesverachtung.
Schliesslich ist es heute nicht viel anders: zwar stürzen sich die Staaten
nicht mehr unmittelbar auf das Goldmetall, wie die Spanier und Portu-
giesen des 16. Jahrhunderts, doch erfolgt die allmähliche Erschliessung
der Welt und ihre Unterwerfung unter germanischen Einfluss lediglich
nach Massgabe der Rentabilität. Selbst ein Livingstone ist im letzten
Grund ein Pionier für zinsengierige Kapitalisten gewesen und diese
erst führen das aus, was der einzelne Idealist auszuführen nicht ver-
mochte. Ebenso könnte die moderne Chemie ohne die kostspieligen
Laboratorien und Instrumente nicht bestehen, und der Staat unterhält
diese, nicht aus Begeisterung für reine Wissenschaft, sondern weil die
daraus hervorgehenden industriellen Erfindungen das Land bereichern.2)
Der Nordpol, der selbst unserem Jahrhundert noch trotzt, wäre in
sechs Monaten entdeckt und überlaufen, dächte man, dass dort Felsen
aus eitel Gold den Fluten entragen.

Man sieht, nichts liegt mir ferner, als uns besser und edler hin-
zustellen als wir sind; ehrlich währt am längsten, sagt das Sprichwort;
es bewährt sich auch hier. Denn aus dieser Beobachtung betreffend
die Macht des Goldes ergiebt sich eine Erkenntnis, die wir — einmal

1) Die hohe Bedeutung der Alchymie als Begründerin der Chemie ist heute
allseitig anerkannt; ich brauche nur auf die Bücher von Berthelot und Kopp zu
verweisen.
2) Von der Erfindung neuer Kanonenpulver und Torpedosprengstoffe zu
geschweigen!
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[756/0235] Die Entstehung einer neuen Welt. und bis vor Kurzem bedenkliches, nach Zauberei schmeckendes Hinein- greifen in die Eingeweide der Natur, zugleich ein wichtigster Ursprung unseres heutigen Wissens und unserer heutigen Macht. 1) Nun, bei der Erschliessung dieser beiden Wissensgebiete, sowohl bei den Ent- deckungsreisen, wie bei der Alchymie, bildete Jahrhunderte lang das unmittelbare Suchen nach Gold die treibende Kraft. Gewiss findet man bei den grossen einzelnen Bahnbrechern immer etwas Anderes — eine reine Idealkraft — daneben und darüber; ein Columbus ist bereit, jeden Augenblick für seinen Gedanken zu sterben, einem Albertus Magnus schweben die grossen Weltprobleme vor; doch hätten solche Männer weder die nötige Unterstützung gefunden, noch hätte sich ihnen die Schar der für das mühsame Werk der Entdeckung nötigen Trabanten angeschlossen, wenn nicht die Hoffnung auf sofortigen Gewinn angeeifert hätte. Die Hoffnung auf Gold lehrte schärfer be- obachten, sie verdoppelte die Erfindungsgabe, sie flösste die kühnsten Hypothesen ein, sie schenkte endlose Ausdauer und Todesverachtung. Schliesslich ist es heute nicht viel anders: zwar stürzen sich die Staaten nicht mehr unmittelbar auf das Goldmetall, wie die Spanier und Portu- giesen des 16. Jahrhunderts, doch erfolgt die allmähliche Erschliessung der Welt und ihre Unterwerfung unter germanischen Einfluss lediglich nach Massgabe der Rentabilität. Selbst ein Livingstone ist im letzten Grund ein Pionier für zinsengierige Kapitalisten gewesen und diese erst führen das aus, was der einzelne Idealist auszuführen nicht ver- mochte. Ebenso könnte die moderne Chemie ohne die kostspieligen Laboratorien und Instrumente nicht bestehen, und der Staat unterhält diese, nicht aus Begeisterung für reine Wissenschaft, sondern weil die daraus hervorgehenden industriellen Erfindungen das Land bereichern. 2) Der Nordpol, der selbst unserem Jahrhundert noch trotzt, wäre in sechs Monaten entdeckt und überlaufen, dächte man, dass dort Felsen aus eitel Gold den Fluten entragen. Man sieht, nichts liegt mir ferner, als uns besser und edler hin- zustellen als wir sind; ehrlich währt am längsten, sagt das Sprichwort; es bewährt sich auch hier. Denn aus dieser Beobachtung betreffend die Macht des Goldes ergiebt sich eine Erkenntnis, die wir — einmal 1) Die hohe Bedeutung der Alchymie als Begründerin der Chemie ist heute allseitig anerkannt; ich brauche nur auf die Bücher von Berthelot und Kopp zu verweisen. 2) Von der Erfindung neuer Kanonenpulver und Torpedosprengstoffe zu geschweigen!

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 756. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/235>, abgerufen am 26.04.2024.