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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Die Entstehung einer neuen Welt.
Verständnis nachzufühlen, welchen Schwierigkeiten das mühsamste aller
Werke, die Entdeckung, auf Schritt und Tritt begegnete. Ohne die
Goldgier, und ohne die unnachahmliche Naivetät der Germanen wäre
es nie gelungen. Sie verstanden es, sich sogar die kindische Kosmo-
gonie des Moses zu nutze zu machen.1) So sehen wir z B. wie die
Theologen der Universität Salamanca mit einem ganzen Arsenal von
Citaten aus der Bibel und aus den Kirchenvätern beweisen, der Ge-
danke einer Westroute über den Atlantischen Ocean sei Unsinn und
Blasphemie, und wie sie damit die Abweisung des Columbus seitens
der Regierung durchsetzen;2) doch Columbus selber, ein sehr frommer
Mann, war hierdurch nicht irre zu machen, denn auch er verliess
sich bei seinen Berechnungen mehr noch als auf die Karte des Tos-
canelli und auf die Meinungen des Seneca, Plinius u. s. w., gleichfalls
auf die Heilige Schrift, und zwar auf die Apokalypse Esra's, worin
gesagt wird, das Wasser bedecke nur den siebenten Teil der Erde.3)
Wahrlich, eine echt germanische Art, jüdische Apokalypsen zu etwas
nütze zu machen! Hätten die Menschen damals geahnt, dass das
Wasser statt ein Siebentel der Erdoberfläche -- wie die unfehlbare
Quelle alles Wissens es lehrte -- fast genau drei Viertel bedecke, sie
hätten sich auf den Ocean nie hinausgewagt. Auch der ferneren
Geschichte der geographischen Entdeckungen kamen verschiedene der-
artige fromme Konfusionen sehr zu statten. So z. B. war es die
(S. 675 erwähnte) Schenkung aller Länder der Erde westlich der Azoren
an Spanien durch den Papst als unbeschränkten Herrn der Welt, welche
die Portugiesen zur Auffindung des östlichen Weges nach Indien um
das Kap der guten Hoffnung herum förmlich zwang. Nun fanden
sich aber in Folge dessen die Spanier im Nachteil; denn der Papst

1) Was heute mit dem Darwinismus wieder geschieht!
2) Fiske: Discovery of America, ch. V.
3) Dies ist natürlich nur eine Anwendung der beliebten Einteilung in die
heilige Siebenzahl, nach der (angeblichen) Zahl der Wandelsterne. Man vergleiche das
zweite Buch Esra in den Apokryphen, VI, 42 und 52 (auch als viertes Buch Esra
bezeichnet, wenn das kanonische Buch Esra und das Buch Nehemia als erstes und
zweites gerechnet werden, was in früheren Zeiten üblich war.) Höchst bemerkens-
wert ist es, dass Columbus alle seine Argumente für einen westlichen Weg nach
Indien, sowie auch die Kenntnis dieser Stelle aus Esra dem grossen Roger
Bacon verdankt! So haben wir den Trost, den armen, von der Kirche zu Tode
Gehetzten, ebenso wie auf Mathematik, Astronomie und Physik, auch auf die Ge-
schichte der geographischen Entdeckungen entscheidenden Einfluss ausüben
zu sehen.

Die Entstehung einer neuen Welt.
Verständnis nachzufühlen, welchen Schwierigkeiten das mühsamste aller
Werke, die Entdeckung, auf Schritt und Tritt begegnete. Ohne die
Goldgier, und ohne die unnachahmliche Naivetät der Germanen wäre
es nie gelungen. Sie verstanden es, sich sogar die kindische Kosmo-
gonie des Moses zu nutze zu machen.1) So sehen wir z B. wie die
Theologen der Universität Salamanca mit einem ganzen Arsenal von
Citaten aus der Bibel und aus den Kirchenvätern beweisen, der Ge-
danke einer Westroute über den Atlantischen Ocean sei Unsinn und
Blasphemie, und wie sie damit die Abweisung des Columbus seitens
der Regierung durchsetzen;2) doch Columbus selber, ein sehr frommer
Mann, war hierdurch nicht irre zu machen, denn auch er verliess
sich bei seinen Berechnungen mehr noch als auf die Karte des Tos-
canelli und auf die Meinungen des Seneca, Plinius u. s. w., gleichfalls
auf die Heilige Schrift, und zwar auf die Apokalypse Esra’s, worin
gesagt wird, das Wasser bedecke nur den siebenten Teil der Erde.3)
Wahrlich, eine echt germanische Art, jüdische Apokalypsen zu etwas
nütze zu machen! Hätten die Menschen damals geahnt, dass das
Wasser statt ein Siebentel der Erdoberfläche — wie die unfehlbare
Quelle alles Wissens es lehrte — fast genau drei Viertel bedecke, sie
hätten sich auf den Ocean nie hinausgewagt. Auch der ferneren
Geschichte der geographischen Entdeckungen kamen verschiedene der-
artige fromme Konfusionen sehr zu statten. So z. B. war es die
(S. 675 erwähnte) Schenkung aller Länder der Erde westlich der Azoren
an Spanien durch den Papst als unbeschränkten Herrn der Welt, welche
die Portugiesen zur Auffindung des östlichen Weges nach Indien um
das Kap der guten Hoffnung herum förmlich zwang. Nun fanden
sich aber in Folge dessen die Spanier im Nachteil; denn der Papst

1) Was heute mit dem Darwinismus wieder geschieht!
2) Fiske: Discovery of America, ch. V.
3) Dies ist natürlich nur eine Anwendung der beliebten Einteilung in die
heilige Siebenzahl, nach der (angeblichen) Zahl der Wandelsterne. Man vergleiche das
zweite Buch Esra in den Apokryphen, VI, 42 und 52 (auch als viertes Buch Esra
bezeichnet, wenn das kanonische Buch Esra und das Buch Nehemia als erstes und
zweites gerechnet werden, was in früheren Zeiten üblich war.) Höchst bemerkens-
wert ist es, dass Columbus alle seine Argumente für einen westlichen Weg nach
Indien, sowie auch die Kenntnis dieser Stelle aus Esra dem grossen Roger
Bacon verdankt! So haben wir den Trost, den armen, von der Kirche zu Tode
Gehetzten, ebenso wie auf Mathematik, Astronomie und Physik, auch auf die Ge-
schichte der geographischen Entdeckungen entscheidenden Einfluss ausüben
zu sehen.
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[768/0247] Die Entstehung einer neuen Welt. Verständnis nachzufühlen, welchen Schwierigkeiten das mühsamste aller Werke, die Entdeckung, auf Schritt und Tritt begegnete. Ohne die Goldgier, und ohne die unnachahmliche Naivetät der Germanen wäre es nie gelungen. Sie verstanden es, sich sogar die kindische Kosmo- gonie des Moses zu nutze zu machen. 1) So sehen wir z B. wie die Theologen der Universität Salamanca mit einem ganzen Arsenal von Citaten aus der Bibel und aus den Kirchenvätern beweisen, der Ge- danke einer Westroute über den Atlantischen Ocean sei Unsinn und Blasphemie, und wie sie damit die Abweisung des Columbus seitens der Regierung durchsetzen; 2) doch Columbus selber, ein sehr frommer Mann, war hierdurch nicht irre zu machen, denn auch er verliess sich bei seinen Berechnungen mehr noch als auf die Karte des Tos- canelli und auf die Meinungen des Seneca, Plinius u. s. w., gleichfalls auf die Heilige Schrift, und zwar auf die Apokalypse Esra’s, worin gesagt wird, das Wasser bedecke nur den siebenten Teil der Erde. 3) Wahrlich, eine echt germanische Art, jüdische Apokalypsen zu etwas nütze zu machen! Hätten die Menschen damals geahnt, dass das Wasser statt ein Siebentel der Erdoberfläche — wie die unfehlbare Quelle alles Wissens es lehrte — fast genau drei Viertel bedecke, sie hätten sich auf den Ocean nie hinausgewagt. Auch der ferneren Geschichte der geographischen Entdeckungen kamen verschiedene der- artige fromme Konfusionen sehr zu statten. So z. B. war es die (S. 675 erwähnte) Schenkung aller Länder der Erde westlich der Azoren an Spanien durch den Papst als unbeschränkten Herrn der Welt, welche die Portugiesen zur Auffindung des östlichen Weges nach Indien um das Kap der guten Hoffnung herum förmlich zwang. Nun fanden sich aber in Folge dessen die Spanier im Nachteil; denn der Papst 1) Was heute mit dem Darwinismus wieder geschieht! 2) Fiske: Discovery of America, ch. V. 3) Dies ist natürlich nur eine Anwendung der beliebten Einteilung in die heilige Siebenzahl, nach der (angeblichen) Zahl der Wandelsterne. Man vergleiche das zweite Buch Esra in den Apokryphen, VI, 42 und 52 (auch als viertes Buch Esra bezeichnet, wenn das kanonische Buch Esra und das Buch Nehemia als erstes und zweites gerechnet werden, was in früheren Zeiten üblich war.) Höchst bemerkens- wert ist es, dass Columbus alle seine Argumente für einen westlichen Weg nach Indien, sowie auch die Kenntnis dieser Stelle aus Esra dem grossen Roger Bacon verdankt! So haben wir den Trost, den armen, von der Kirche zu Tode Gehetzten, ebenso wie auf Mathematik, Astronomie und Physik, auch auf die Ge- schichte der geographischen Entdeckungen entscheidenden Einfluss ausüben zu sehen.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 768. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/247>, abgerufen am 26.04.2024.