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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Religion.
fressende Gift des Christentums wurde, und er warnt eindrücklich
(wie Chrysostomus es schon früher gethan hatte) gegen die übliche
"Massenbekehrung": und dennoch ist es dieser selbe Augustinus, der
die Lehre des compelle intrare in ecclesiam aufstellt, der das so folgen-
schwere Prinzip sophistisch zu begründen sucht, durch "die Geissel
zeitlicher Leiden" müsse man streben, "schlechte Knechte" zu retten,
der die Todesstrafe für Unglauben und die Anwendung staatlicher
Gewalt gegen Häresie fordert! Der Mann, der von der Religion die
schönen Worte gesprochen hatte: "durch Liebe geht man ihr entgegen,
durch Liebe sucht man sie, die Liebe ist es, die anklopft, die Liebe,
welche Beharren im Offenbarten schenkt"1) -- dieser Mann wird der
moralische Urheber der Inquisitionsgerichte! Zwar hat er nicht Ver-
folgung und Religionsmord erfunden, denn diese waren dem Christen-
tum von dem Augenblick an eigen gewesen, wo es römische Staats-
religion geworden war, doch hat er sie durch die Macht seiner Autorität
bestätigt und geheiligt; erst durch ihn wurde die Intoleranz nicht
mehr bloss eine politische, sondern eine religiöse Pflicht. Höchst
charakteristisch für den wahren freien Augustinus ist wiederum z. B.
die Art, wie er die Behauptung, Christus habe Petrus im Sinne ge-
habt, als er sprach: "auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen",
energisch zurückweist, ja, als etwas Unsinniges, Blasphematorisches
hinstellt, da doch Christus offenbar gemeint habe: auf den Felsen
dieses "Glaubens", nicht dieses Mannes; weswegen Augustinus auch
scharf zwischen der sichtbaren Kirche, die zum Teil auf Sand stehe,
und der wirklichen Kirche unterscheidet:2) und doch ist es wiederum
er, mehr als irgend ein Anderer, der die Macht dieser sichtbaren.
römischen, auf Petrus sich berufenden Kirche begründen hilft, der sie
als eine unmittelbar von Gott eingesetzte Institution preist, "ab apo-
stolica sede per successiones episcoporum
";3) und der diesen rein
religiösen Anspruch auf Herrschaft durch den viel entscheidenderen
der politischen Kontinuität -- die römische Kirche die legitime Fort-
setzung des römischen Reiches -- ergänzt. Seine Hauptschrift De

1) De moribus eccl. cath. I, § 31.
2) Den Bischof von Rom redet Augustinus in seinen Schreiben einfach als
"Mitbruder" an. Allerdings gebraucht er auch den Ausdruck "deine Heiligkeit",
nicht aber gegen den Bischof von Rom allein, sondern jedem Priester gegenüber,
selbst wenn er kein Bischof ist; jeder Christ gehörte ja nach damaligem Sprach-
gebrauch zur "Gemeinschaft der Heiligen".
3) Ep. 93 ad Vincent (nach Neander).
38*

Religion.
fressende Gift des Christentums wurde, und er warnt eindrücklich
(wie Chrysostomus es schon früher gethan hatte) gegen die übliche
»Massenbekehrung«: und dennoch ist es dieser selbe Augustinus, der
die Lehre des compelle intrare in ecclesiam aufstellt, der das so folgen-
schwere Prinzip sophistisch zu begründen sucht, durch »die Geissel
zeitlicher Leiden« müsse man streben, »schlechte Knechte« zu retten,
der die Todesstrafe für Unglauben und die Anwendung staatlicher
Gewalt gegen Häresie fordert! Der Mann, der von der Religion die
schönen Worte gesprochen hatte: »durch Liebe geht man ihr entgegen,
durch Liebe sucht man sie, die Liebe ist es, die anklopft, die Liebe,
welche Beharren im Offenbarten schenkt«1) — dieser Mann wird der
moralische Urheber der Inquisitionsgerichte! Zwar hat er nicht Ver-
folgung und Religionsmord erfunden, denn diese waren dem Christen-
tum von dem Augenblick an eigen gewesen, wo es römische Staats-
religion geworden war, doch hat er sie durch die Macht seiner Autorität
bestätigt und geheiligt; erst durch ihn wurde die Intoleranz nicht
mehr bloss eine politische, sondern eine religiöse Pflicht. Höchst
charakteristisch für den wahren freien Augustinus ist wiederum z. B.
die Art, wie er die Behauptung, Christus habe Petrus im Sinne ge-
habt, als er sprach: »auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen«,
energisch zurückweist, ja, als etwas Unsinniges, Blasphematorisches
hinstellt, da doch Christus offenbar gemeint habe: auf den Felsen
dieses »Glaubens«, nicht dieses Mannes; weswegen Augustinus auch
scharf zwischen der sichtbaren Kirche, die zum Teil auf Sand stehe,
und der wirklichen Kirche unterscheidet:2) und doch ist es wiederum
er, mehr als irgend ein Anderer, der die Macht dieser sichtbaren.
römischen, auf Petrus sich berufenden Kirche begründen hilft, der sie
als eine unmittelbar von Gott eingesetzte Institution preist, »ab apo-
stolica sede per successiones episcoporum
«;3) und der diesen rein
religiösen Anspruch auf Herrschaft durch den viel entscheidenderen
der politischen Kontinuität — die römische Kirche die legitime Fort-
setzung des römischen Reiches — ergänzt. Seine Hauptschrift De

1) De moribus eccl. cath. I, § 31.
2) Den Bischof von Rom redet Augustinus in seinen Schreiben einfach als
»Mitbruder« an. Allerdings gebraucht er auch den Ausdruck »deine Heiligkeit«,
nicht aber gegen den Bischof von Rom allein, sondern jedem Priester gegenüber,
selbst wenn er kein Bischof ist; jeder Christ gehörte ja nach damaligem Sprach-
gebrauch zur »Gemeinschaft der Heiligen«.
3) Ep. 93 ad Vincent (nach Neander).
38*
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[595/0074] Religion. fressende Gift des Christentums wurde, und er warnt eindrücklich (wie Chrysostomus es schon früher gethan hatte) gegen die übliche »Massenbekehrung«: und dennoch ist es dieser selbe Augustinus, der die Lehre des compelle intrare in ecclesiam aufstellt, der das so folgen- schwere Prinzip sophistisch zu begründen sucht, durch »die Geissel zeitlicher Leiden« müsse man streben, »schlechte Knechte« zu retten, der die Todesstrafe für Unglauben und die Anwendung staatlicher Gewalt gegen Häresie fordert! Der Mann, der von der Religion die schönen Worte gesprochen hatte: »durch Liebe geht man ihr entgegen, durch Liebe sucht man sie, die Liebe ist es, die anklopft, die Liebe, welche Beharren im Offenbarten schenkt« 1) — dieser Mann wird der moralische Urheber der Inquisitionsgerichte! Zwar hat er nicht Ver- folgung und Religionsmord erfunden, denn diese waren dem Christen- tum von dem Augenblick an eigen gewesen, wo es römische Staats- religion geworden war, doch hat er sie durch die Macht seiner Autorität bestätigt und geheiligt; erst durch ihn wurde die Intoleranz nicht mehr bloss eine politische, sondern eine religiöse Pflicht. Höchst charakteristisch für den wahren freien Augustinus ist wiederum z. B. die Art, wie er die Behauptung, Christus habe Petrus im Sinne ge- habt, als er sprach: »auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen«, energisch zurückweist, ja, als etwas Unsinniges, Blasphematorisches hinstellt, da doch Christus offenbar gemeint habe: auf den Felsen dieses »Glaubens«, nicht dieses Mannes; weswegen Augustinus auch scharf zwischen der sichtbaren Kirche, die zum Teil auf Sand stehe, und der wirklichen Kirche unterscheidet: 2) und doch ist es wiederum er, mehr als irgend ein Anderer, der die Macht dieser sichtbaren. römischen, auf Petrus sich berufenden Kirche begründen hilft, der sie als eine unmittelbar von Gott eingesetzte Institution preist, »ab apo- stolica sede per successiones episcoporum«; 3) und der diesen rein religiösen Anspruch auf Herrschaft durch den viel entscheidenderen der politischen Kontinuität — die römische Kirche die legitime Fort- setzung des römischen Reiches — ergänzt. Seine Hauptschrift De 1) De moribus eccl. cath. I, § 31. 2) Den Bischof von Rom redet Augustinus in seinen Schreiben einfach als »Mitbruder« an. Allerdings gebraucht er auch den Ausdruck »deine Heiligkeit«, nicht aber gegen den Bischof von Rom allein, sondern jedem Priester gegenüber, selbst wenn er kein Bischof ist; jeder Christ gehörte ja nach damaligem Sprach- gebrauch zur »Gemeinschaft der Heiligen«. 3) Ep. 93 ad Vincent (nach Neander). 38*

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/74>, abgerufen am 26.04.2024.