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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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Siebentes Capitel,
gen, so ist die Sache noch immer geheim, so lan-
ge sie bloß unter ihnen bleibt. Bekannt aber
wird etwas, wenn es demjenigen zu Ohren kommt,
vor welchem es hätte unbekannt bleiben können,
ja auch unbekannt bleiben sollen, wenn die Sa-
che nicht einen andern Lauff hat bekommen sollen.
Hingegen im weitläufftigern Verstande wird das
noch geheim genennet, wo man noch etwa abse-
hen kan, daß es noch unter lauter Personen be-
kannt ist, da eine weitere Ausbreitung zu verhü-
ten möglich seyn möchte. Dieses gehet nehmlich
so zu. So lange die Geschichte lauter Personen
bekannt ist, die den Canal wissen, durch welchen
es zu ihnen gekommen (§. 4.), von denen man
also sagt: sie wissen um die Sache, so lange ist
auch noch eine Ursache vorhanden es verschwei-
gen zu können. Denn gleichwie der Zuschauer
einer geheimen Geschichte es von Rechts wegen
bey sich behalten soll, was er davon weiß; also
können es auch seine Zuhörer, gegen die er nicht
verschwiegen genug gewesen ist, thun: und jeder
Nachsager kan es dem Vorgänger zu Gefallen
thun. Wenn aber Leute von einer Geschichte
Nachricht erhalten, die nicht mehr wissen, von
was vor einem Zuschauer, und mithin durch was
vor einen Canal, die Nachricht an sie gekommen,
so ist auch keine Ursach vorhanden, warum sie das,
was ihnen ohne Bedencken und Vorsicht gesagt
worden, nicht auch ihres Orts weiter sagen
sollten. Daraus denn endlich erfolget, daß
es jedermann sagt. Eine Sache, die ein-
mahl ruchtbar worden, pflegt denn gemei-

niglich

Siebentes Capitel,
gen, ſo iſt die Sache noch immer geheim, ſo lan-
ge ſie bloß unter ihnen bleibt. Bekannt aber
wird etwas, wenn es demjenigen zu Ohren kommt,
vor welchem es haͤtte unbekannt bleiben koͤnnen,
ja auch unbekannt bleiben ſollen, wenn die Sa-
che nicht einen andern Lauff hat bekommen ſollen.
Hingegen im weitlaͤufftigern Verſtande wird das
noch geheim genennet, wo man noch etwa abſe-
hen kan, daß es noch unter lauter Perſonen be-
kannt iſt, da eine weitere Ausbreitung zu verhuͤ-
ten moͤglich ſeyn moͤchte. Dieſes gehet nehmlich
ſo zu. So lange die Geſchichte lauter Perſonen
bekannt iſt, die den Canal wiſſen, durch welchen
es zu ihnen gekommen (§. 4.), von denen man
alſo ſagt: ſie wiſſen um die Sache, ſo lange iſt
auch noch eine Urſache vorhanden es verſchwei-
gen zu koͤnnen. Denn gleichwie der Zuſchauer
einer geheimen Geſchichte es von Rechts wegen
bey ſich behalten ſoll, was er davon weiß; alſo
koͤnnen es auch ſeine Zuhoͤrer, gegen die er nicht
verſchwiegen genug geweſen iſt, thun: und jeder
Nachſager kan es dem Vorgaͤnger zu Gefallen
thun. Wenn aber Leute von einer Geſchichte
Nachricht erhalten, die nicht mehr wiſſen, von
was vor einem Zuſchauer, und mithin durch was
vor einen Canal, die Nachricht an ſie gekommen,
ſo iſt auch keine Urſach vorhanden, warum ſie das,
was ihnen ohne Bedencken und Vorſicht geſagt
worden, nicht auch ihres Orts weiter ſagen
ſollten. Daraus denn endlich erfolget, daß
es jedermann ſagt. Eine Sache, die ein-
mahl ruchtbar worden, pflegt denn gemei-

niglich
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[162/0198] Siebentes Capitel, gen, ſo iſt die Sache noch immer geheim, ſo lan- ge ſie bloß unter ihnen bleibt. Bekannt aber wird etwas, wenn es demjenigen zu Ohren kommt, vor welchem es haͤtte unbekannt bleiben koͤnnen, ja auch unbekannt bleiben ſollen, wenn die Sa- che nicht einen andern Lauff hat bekommen ſollen. Hingegen im weitlaͤufftigern Verſtande wird das noch geheim genennet, wo man noch etwa abſe- hen kan, daß es noch unter lauter Perſonen be- kannt iſt, da eine weitere Ausbreitung zu verhuͤ- ten moͤglich ſeyn moͤchte. Dieſes gehet nehmlich ſo zu. So lange die Geſchichte lauter Perſonen bekannt iſt, die den Canal wiſſen, durch welchen es zu ihnen gekommen (§. 4.), von denen man alſo ſagt: ſie wiſſen um die Sache, ſo lange iſt auch noch eine Urſache vorhanden es verſchwei- gen zu koͤnnen. Denn gleichwie der Zuſchauer einer geheimen Geſchichte es von Rechts wegen bey ſich behalten ſoll, was er davon weiß; alſo koͤnnen es auch ſeine Zuhoͤrer, gegen die er nicht verſchwiegen genug geweſen iſt, thun: und jeder Nachſager kan es dem Vorgaͤnger zu Gefallen thun. Wenn aber Leute von einer Geſchichte Nachricht erhalten, die nicht mehr wiſſen, von was vor einem Zuſchauer, und mithin durch was vor einen Canal, die Nachricht an ſie gekommen, ſo iſt auch keine Urſach vorhanden, warum ſie das, was ihnen ohne Bedencken und Vorſicht geſagt worden, nicht auch ihres Orts weiter ſagen ſollten. Daraus denn endlich erfolget, daß es jedermann ſagt. Eine Sache, die ein- mahl ruchtbar worden, pflegt denn gemei- niglich

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/198>, abgerufen am 28.04.2024.