Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebentes Capitel,
hieher nicht gehöret, fruchtbarer wird, bey dem,
der sie anhöret und bekommt, als bey dem, der
sie giebet: wenn nehmlich der erstere mehr dabey
intereßiret ist, als der letztere.

§. 15.
Der Urheber gedenckt mehr bey der Erzeh-
lung, als der Nachsager.

Dieser Umstand der Nachrichten und Erzeh-
lungen ist besonders in folgendem Falle zu mer-
cken. Zuschauer werden gemeiniglich, denen
die die Geschichte angehet, zumahl die die Haupt-
personen dabey sind entgegen gesetzt. Doch kön-
nen auch diese als Zuschauer angesehen werden,
weil sie sich doch dessen, was mit ihnen vorgehet,
bewust sind; oder sie können wenigstens mit jenen,
unter den Begriff der gegenwärtigen, zu einer
Art gebracht werden (§. 4.). Jn Ansehung
aber der Erzehlung ist ein grosser Unterschied,
ob solcher, wenn sie auch gleich mit einerley Wor-
ten abgefasset wäre, von einer Hauptperson, oder
von einem Theilnehmer, oder von einem blossen
Zuschauer vorgebracht werde. Denn die Haupt-
personen werden, bey Begebenheiten, die grosse
Veränderungen ihres Zustandes gewesen, und
nach sich gezogen haben, nicht ohne Affeckt daran
gedencken, und also auch nicht ohne Affeckt erzeh-
[le]n: sie werden sich besonders erinnern, wie ihnen
damahls zu Muthe gewesen, als die Sache
vorgieng. So ist es mit den Hauptpersonen bey
einer Geschichte ihrer Erzehlung beschaffen. Der
Zuhörer hingegen, oder Nachsager, wie er sich

in

Siebentes Capitel,
hieher nicht gehoͤret, fruchtbarer wird, bey dem,
der ſie anhoͤret und bekommt, als bey dem, der
ſie giebet: wenn nehmlich der erſtere mehr dabey
intereßiret iſt, als der letztere.

§. 15.
Der Urheber gedenckt mehr bey der Erzeh-
lung, als der Nachſager.

Dieſer Umſtand der Nachrichten und Erzeh-
lungen iſt beſonders in folgendem Falle zu mer-
cken. Zuſchauer werden gemeiniglich, denen
die die Geſchichte angehet, zumahl die die Haupt-
perſonen dabey ſind entgegen geſetzt. Doch koͤn-
nen auch dieſe als Zuſchauer angeſehen werden,
weil ſie ſich doch deſſen, was mit ihnen vorgehet,
bewuſt ſind; oder ſie koͤnnen wenigſtens mit jenen,
unter den Begriff der gegenwaͤrtigen, zu einer
Art gebracht werden (§. 4.). Jn Anſehung
aber der Erzehlung iſt ein groſſer Unterſchied,
ob ſolcher, wenn ſie auch gleich mit einerley Wor-
ten abgefaſſet waͤre, von einer Hauptperſon, oder
von einem Theilnehmer, oder von einem bloſſen
Zuſchauer vorgebracht werde. Denn die Haupt-
perſonen werden, bey Begebenheiten, die groſſe
Veraͤnderungen ihres Zuſtandes geweſen, und
nach ſich gezogen haben, nicht ohne Affeckt daran
gedencken, und alſo auch nicht ohne Affeckt erzeh-
[le]n: ſie werden ſich beſonders erinnern, wie ihnen
damahls zu Muthe geweſen, als die Sache
vorgieng. So iſt es mit den Hauptperſonen bey
einer Geſchichte ihrer Erzehlung beſchaffen. Der
Zuhoͤrer hingegen, oder Nachſager, wie er ſich

in
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0206" n="170"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Siebentes Capitel,</hi></fw><lb/>
hieher nicht geho&#x0364;ret, fruchtbarer wird, bey dem,<lb/>
der &#x017F;ie anho&#x0364;ret und bekommt, als bey dem, der<lb/>
&#x017F;ie giebet: wenn nehmlich der er&#x017F;tere mehr dabey<lb/>
intereßiret i&#x017F;t, als der letztere.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 15.<lb/>
Der Urheber gedenckt mehr bey der Erzeh-<lb/>
lung, als der Nach&#x017F;ager.</head><lb/>
          <p>Die&#x017F;er Um&#x017F;tand der Nachrichten und Erzeh-<lb/>
lungen i&#x017F;t be&#x017F;onders in folgendem Falle zu mer-<lb/>
cken. Zu&#x017F;chauer werden <hi rendition="#fr">gemeiniglich,</hi> denen<lb/>
die die Ge&#x017F;chichte angehet, zumahl die die Haupt-<lb/>
per&#x017F;onen dabey &#x017F;ind entgegen ge&#x017F;etzt. Doch ko&#x0364;n-<lb/>
nen auch die&#x017F;e als Zu&#x017F;chauer ange&#x017F;ehen werden,<lb/>
weil &#x017F;ie &#x017F;ich doch de&#x017F;&#x017F;en, was mit ihnen vorgehet,<lb/>
bewu&#x017F;t &#x017F;ind; oder &#x017F;ie ko&#x0364;nnen wenig&#x017F;tens mit jenen,<lb/>
unter den Begriff der <hi rendition="#fr">gegenwa&#x0364;rtigen,</hi> zu einer<lb/><hi rendition="#fr">Art</hi> gebracht werden (§. 4.). Jn An&#x017F;ehung<lb/>
aber der <hi rendition="#fr">Erzehlung</hi> i&#x017F;t ein gro&#x017F;&#x017F;er Unter&#x017F;chied,<lb/>
ob &#x017F;olcher, wenn &#x017F;ie auch gleich mit einerley Wor-<lb/>
ten abgefa&#x017F;&#x017F;et wa&#x0364;re, von einer Hauptper&#x017F;on, oder<lb/>
von einem Theilnehmer, oder von einem blo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Zu&#x017F;chauer vorgebracht werde. Denn die Haupt-<lb/>
per&#x017F;onen werden, bey Begebenheiten, die gro&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Vera&#x0364;nderungen ihres Zu&#x017F;tandes gewe&#x017F;en, und<lb/>
nach &#x017F;ich gezogen haben, nicht ohne Affeckt daran<lb/>
gedencken, und al&#x017F;o auch nicht ohne Affeckt erzeh-<lb/><supplied>le</supplied>n: &#x017F;ie werden &#x017F;ich be&#x017F;onders erinnern, wie ihnen<lb/><hi rendition="#fr">damahls zu Muthe</hi> gewe&#x017F;en, als die Sache<lb/>
vorgieng. So i&#x017F;t es mit den Hauptper&#x017F;onen bey<lb/>
einer Ge&#x017F;chichte ihrer Erzehlung be&#x017F;chaffen. Der<lb/><hi rendition="#fr">Zuho&#x0364;rer</hi> hingegen, oder Nach&#x017F;ager, wie er &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">in</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0206] Siebentes Capitel, hieher nicht gehoͤret, fruchtbarer wird, bey dem, der ſie anhoͤret und bekommt, als bey dem, der ſie giebet: wenn nehmlich der erſtere mehr dabey intereßiret iſt, als der letztere. §. 15. Der Urheber gedenckt mehr bey der Erzeh- lung, als der Nachſager. Dieſer Umſtand der Nachrichten und Erzeh- lungen iſt beſonders in folgendem Falle zu mer- cken. Zuſchauer werden gemeiniglich, denen die die Geſchichte angehet, zumahl die die Haupt- perſonen dabey ſind entgegen geſetzt. Doch koͤn- nen auch dieſe als Zuſchauer angeſehen werden, weil ſie ſich doch deſſen, was mit ihnen vorgehet, bewuſt ſind; oder ſie koͤnnen wenigſtens mit jenen, unter den Begriff der gegenwaͤrtigen, zu einer Art gebracht werden (§. 4.). Jn Anſehung aber der Erzehlung iſt ein groſſer Unterſchied, ob ſolcher, wenn ſie auch gleich mit einerley Wor- ten abgefaſſet waͤre, von einer Hauptperſon, oder von einem Theilnehmer, oder von einem bloſſen Zuſchauer vorgebracht werde. Denn die Haupt- perſonen werden, bey Begebenheiten, die groſſe Veraͤnderungen ihres Zuſtandes geweſen, und nach ſich gezogen haben, nicht ohne Affeckt daran gedencken, und alſo auch nicht ohne Affeckt erzeh- len: ſie werden ſich beſonders erinnern, wie ihnen damahls zu Muthe geweſen, als die Sache vorgieng. So iſt es mit den Hauptperſonen bey einer Geſchichte ihrer Erzehlung beſchaffen. Der Zuhoͤrer hingegen, oder Nachſager, wie er ſich in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/206
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/206>, abgerufen am 01.05.2024.