Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebentes Capitel,
lich fortgepflantzet werden soll, selten unverän-
dert
bleibt. Denn hierzu wäre nöthig, 1. daß
der Zuhörer mit einem starcken Gedächtniß be-
gabt wäre, um die Worte genau zu mercken,
worinnen die Erzehlung vorgetragen wird.
2. Muß ein starcker Grund vorhanden seyn, war-
um man beym Nachsagen eben die Worte ge-
brauchen soll, in welchen man die Nachricht er-
halten hat. Denn da jeder seine eigene Gedan-
cken bey einer Erzehlung, und der daraus erlern-
ten Geschichte zu haben pflegt, so hat man gemei-
niglich einen starcken Trieb, die Geschichte mit
andern Worten zu erzehlen, als man sie hat er-
zehlen hören. Hier aber hat doch die göttliche
Vorsehung ein Mittel gefunden, wie die Men-
schen frühzeitig Geschichte mit unveränderten
Worten fortzupflantzen gelernet haben, nehmlich
durch Lieder; welche auswendig zu lernen sich
die Kinder, und auch Erwachsene, gerne ein Geschäff-
te machen, und es hernach vor einen Fehler hal-
ten, dieses oder jenes Wort des Liedes nicht recht
zu wissen. Auf diese Art haben ehedem die Deut-
schen ihre Geschichte fortgepflantzet. Caesar de B.
G. Lib. VI.
Und von den Spaniern erzehlt eben
dergleichen Strabo. Durch gemeinen Fleiß kön-
ten freylich nur wenige Nachrichten auf diese Art
fortgepflantzet werden: wenn man aber, wie bey
den Deutschen, eine rechte Profeßion daraus
macht, die Gedichte auswendig zu lernen, wie
nach Cäsars Bericht, die alten Deutschen zum
Theil zwantzig Jahr daran studirt haben: so
liesse sich die Geschichte, auch sehr umständlich und

aus-

Siebentes Capitel,
lich fortgepflantzet werden ſoll, ſelten unveraͤn-
dert
bleibt. Denn hierzu waͤre noͤthig, 1. daß
der Zuhoͤrer mit einem ſtarcken Gedaͤchtniß be-
gabt waͤre, um die Worte genau zu mercken,
worinnen die Erzehlung vorgetragen wird.
2. Muß ein ſtarcker Grund vorhanden ſeyn, war-
um man beym Nachſagen eben die Worte ge-
brauchen ſoll, in welchen man die Nachricht er-
halten hat. Denn da jeder ſeine eigene Gedan-
cken bey einer Erzehlung, und der daraus erlern-
ten Geſchichte zu haben pflegt, ſo hat man gemei-
niglich einen ſtarcken Trieb, die Geſchichte mit
andern Worten zu erzehlen, als man ſie hat er-
zehlen hoͤren. Hier aber hat doch die goͤttliche
Vorſehung ein Mittel gefunden, wie die Men-
ſchen fruͤhzeitig Geſchichte mit unveraͤnderten
Worten fortzupflantzen gelernet haben, nehmlich
durch Lieder; welche auswendig zu lernen ſich
die Kinder, und auch Erwachſene, gerne ein Geſchaͤff-
te machen, und es hernach vor einen Fehler hal-
ten, dieſes oder jenes Wort des Liedes nicht recht
zu wiſſen. Auf dieſe Art haben ehedem die Deut-
ſchen ihre Geſchichte fortgepflantzet. Cæſar de B.
G. Lib. VI.
Und von den Spaniern erzehlt eben
dergleichen Strabo. Durch gemeinen Fleiß koͤn-
ten freylich nur wenige Nachrichten auf dieſe Art
fortgepflantzet werden: wenn man aber, wie bey
den Deutſchen, eine rechte Profeßion daraus
macht, die Gedichte auswendig zu lernen, wie
nach Caͤſars Bericht, die alten Deutſchen zum
Theil zwantzig Jahr daran ſtudirt haben: ſo
lieſſe ſich die Geſchichte, auch ſehr umſtaͤndlich und

aus-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0212" n="176"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Siebentes Capitel,</hi></fw><lb/>
lich fortgepflantzet werden &#x017F;oll, <hi rendition="#fr">&#x017F;elten unvera&#x0364;n-<lb/>
dert</hi> bleibt. Denn hierzu wa&#x0364;re no&#x0364;thig, 1. daß<lb/>
der Zuho&#x0364;rer mit einem &#x017F;tarcken Geda&#x0364;chtniß be-<lb/>
gabt wa&#x0364;re, um die <hi rendition="#fr">Worte</hi> genau zu mercken,<lb/>
worinnen die Erzehlung vorgetragen wird.<lb/>
2. Muß ein &#x017F;tarcker Grund vorhanden &#x017F;eyn, war-<lb/>
um man beym Nach&#x017F;agen eben die Worte ge-<lb/>
brauchen &#x017F;oll, in welchen man die Nachricht er-<lb/>
halten hat. Denn da jeder &#x017F;eine eigene Gedan-<lb/>
cken bey einer Erzehlung, und der daraus erlern-<lb/>
ten Ge&#x017F;chichte zu haben pflegt, &#x017F;o hat man gemei-<lb/>
niglich einen &#x017F;tarcken Trieb, die Ge&#x017F;chichte mit<lb/>
andern Worten zu erzehlen, als man &#x017F;ie hat er-<lb/>
zehlen ho&#x0364;ren. Hier aber hat doch die go&#x0364;ttliche<lb/>
Vor&#x017F;ehung ein Mittel gefunden, wie die Men-<lb/>
&#x017F;chen fru&#x0364;hzeitig Ge&#x017F;chichte mit <hi rendition="#fr">unvera&#x0364;nderten</hi><lb/>
Worten fortzupflantzen gelernet haben, nehmlich<lb/>
durch <hi rendition="#fr">Lieder;</hi> welche auswendig zu lernen &#x017F;ich<lb/>
die Kinder, und auch Erwach&#x017F;ene, gerne ein Ge&#x017F;cha&#x0364;ff-<lb/>
te machen, und es hernach vor einen Fehler hal-<lb/>
ten, die&#x017F;es oder jenes Wort des Liedes nicht recht<lb/>
zu wi&#x017F;&#x017F;en. Auf die&#x017F;e Art haben ehedem die Deut-<lb/>
&#x017F;chen ihre Ge&#x017F;chichte fortgepflantzet. <hi rendition="#aq">&#x017F;ar de B.<lb/>
G. Lib. VI.</hi> Und von den Spaniern erzehlt eben<lb/>
dergleichen Strabo. Durch gemeinen Fleiß ko&#x0364;n-<lb/>
ten freylich nur wenige Nachrichten auf die&#x017F;e Art<lb/>
fortgepflantzet werden: wenn man aber, wie bey<lb/>
den Deut&#x017F;chen, eine rechte Profeßion daraus<lb/>
macht, die Gedichte auswendig zu lernen, wie<lb/>
nach Ca&#x0364;&#x017F;ars Bericht, die alten Deut&#x017F;chen zum<lb/>
Theil <hi rendition="#fr">zwantzig</hi> Jahr daran &#x017F;tudirt haben: &#x017F;o<lb/>
lie&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich die Ge&#x017F;chichte, auch &#x017F;ehr um&#x017F;ta&#x0364;ndlich und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">aus-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0212] Siebentes Capitel, lich fortgepflantzet werden ſoll, ſelten unveraͤn- dert bleibt. Denn hierzu waͤre noͤthig, 1. daß der Zuhoͤrer mit einem ſtarcken Gedaͤchtniß be- gabt waͤre, um die Worte genau zu mercken, worinnen die Erzehlung vorgetragen wird. 2. Muß ein ſtarcker Grund vorhanden ſeyn, war- um man beym Nachſagen eben die Worte ge- brauchen ſoll, in welchen man die Nachricht er- halten hat. Denn da jeder ſeine eigene Gedan- cken bey einer Erzehlung, und der daraus erlern- ten Geſchichte zu haben pflegt, ſo hat man gemei- niglich einen ſtarcken Trieb, die Geſchichte mit andern Worten zu erzehlen, als man ſie hat er- zehlen hoͤren. Hier aber hat doch die goͤttliche Vorſehung ein Mittel gefunden, wie die Men- ſchen fruͤhzeitig Geſchichte mit unveraͤnderten Worten fortzupflantzen gelernet haben, nehmlich durch Lieder; welche auswendig zu lernen ſich die Kinder, und auch Erwachſene, gerne ein Geſchaͤff- te machen, und es hernach vor einen Fehler hal- ten, dieſes oder jenes Wort des Liedes nicht recht zu wiſſen. Auf dieſe Art haben ehedem die Deut- ſchen ihre Geſchichte fortgepflantzet. Cæſar de B. G. Lib. VI. Und von den Spaniern erzehlt eben dergleichen Strabo. Durch gemeinen Fleiß koͤn- ten freylich nur wenige Nachrichten auf dieſe Art fortgepflantzet werden: wenn man aber, wie bey den Deutſchen, eine rechte Profeßion daraus macht, die Gedichte auswendig zu lernen, wie nach Caͤſars Bericht, die alten Deutſchen zum Theil zwantzig Jahr daran ſtudirt haben: ſo lieſſe ſich die Geſchichte, auch ſehr umſtaͤndlich und aus-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/212
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/212>, abgerufen am 03.05.2024.