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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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Siebentes Capitel,
der Auslegekunst entdeckt und vermieden, auf
die wir uns schon überhaupt bezogen haben (§. 16).
Nur bemercken wir hier, daß, wenn wir eine
Nachricht, daran wir etwas dunckeles finden, oder
die wir nicht recht verstanden, auf andre fort-
pflantzen, und zwar mit veränderten Worten,
iedoch in der Meynung, daß die unsrigen, den
Worten unserer Urkunde gleichgültig wären,
die wahre Beschaffenheit der Geschichte, die wir
nachsagen, nothwendig verändert werden, und
die daraus entstehende zweyte Nachricht, oder
unsere Nachsage nothwendig etwas Falsches
und Verführerisches an sich haben müsse. Wenn
iemand z. E. von einer Schiffsladung von
1000. Pfunden reden hörte, und verstünde sol-
ches, da es Schiffspfunde bedeuten, von ge-
meinen Pfunden, solche auch daher auf 10. Cent-
ner in seinen Gedancken reducirte, der würde noth-
wendig auch eine falsche Erzehlung von diesen
10. Centnern zum Vorschein bringen. Wenn
der Ruff entstehet, die Landesfürstin habe Zwil-
linge
gebohren, so kan iemand von der Hoffnung
eines Printzens so eingenommen seyn, daß er diese
Nachricht unüberlegt davor annimmt, sie habe zwey
Printzen gebohren, welches er denn als eine Wahr-
heit, die ihm berichtet worden, weiter sagen wird.
So viel als es daher Möglichkeiten giebt, wie ein
Hörer und Leser, besonders aber ein Hörer, in
dem Verstande der Worte irren, und sich trügen
kan; so viel Quellen giebt es auch der Verfäl-
schungen einer Geschichte, indem sie durch Nach-
richten, iedoch mit veränderten Worten, ausgebrei-
tet, und fortgepflantzt wird.

§. 24.

Siebentes Capitel,
der Auslegekunſt entdeckt und vermieden, auf
die wir uns ſchon uͤberhaupt bezogen haben (§. 16).
Nur bemercken wir hier, daß, wenn wir eine
Nachricht, daran wir etwas dunckeles finden, oder
die wir nicht recht verſtanden, auf andre fort-
pflantzen, und zwar mit veraͤnderten Worten,
iedoch in der Meynung, daß die unſrigen, den
Worten unſerer Urkunde gleichguͤltig waͤren,
die wahre Beſchaffenheit der Geſchichte, die wir
nachſagen, nothwendig veraͤndert werden, und
die daraus entſtehende zweyte Nachricht, oder
unſere Nachſage nothwendig etwas Falſches
und Verfuͤhreriſches an ſich haben muͤſſe. Wenn
iemand z. E. von einer Schiffsladung von
1000. Pfunden reden hoͤrte, und verſtuͤnde ſol-
ches, da es Schiffspfunde bedeuten, von ge-
meinen Pfunden, ſolche auch daher auf 10. Cent-
ner in ſeinen Gedancken reducirte, der wuͤrde noth-
wendig auch eine falſche Erzehlung von dieſen
10. Centnern zum Vorſchein bringen. Wenn
der Ruff entſtehet, die Landesfuͤrſtin habe Zwil-
linge
gebohren, ſo kan iemand von der Hoffnung
eines Printzens ſo eingenommen ſeyn, daß er dieſe
Nachricht unuͤberlegt davor annimmt, ſie habe zwey
Printzen gebohren, welches er denn als eine Wahr-
heit, die ihm berichtet worden, weiter ſagen wird.
So viel als es daher Moͤglichkeiten giebt, wie ein
Hoͤrer und Leſer, beſonders aber ein Hoͤrer, in
dem Verſtande der Worte irren, und ſich truͤgen
kan; ſo viel Quellen giebt es auch der Verfaͤl-
ſchungen einer Geſchichte, indem ſie durch Nach-
richten, iedoch mit veraͤnderten Worten, ausgebrei-
tet, und fortgepflantzt wird.

§. 24.
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[180/0216] Siebentes Capitel, der Auslegekunſt entdeckt und vermieden, auf die wir uns ſchon uͤberhaupt bezogen haben (§. 16). Nur bemercken wir hier, daß, wenn wir eine Nachricht, daran wir etwas dunckeles finden, oder die wir nicht recht verſtanden, auf andre fort- pflantzen, und zwar mit veraͤnderten Worten, iedoch in der Meynung, daß die unſrigen, den Worten unſerer Urkunde gleichguͤltig waͤren, die wahre Beſchaffenheit der Geſchichte, die wir nachſagen, nothwendig veraͤndert werden, und die daraus entſtehende zweyte Nachricht, oder unſere Nachſage nothwendig etwas Falſches und Verfuͤhreriſches an ſich haben muͤſſe. Wenn iemand z. E. von einer Schiffsladung von 1000. Pfunden reden hoͤrte, und verſtuͤnde ſol- ches, da es Schiffspfunde bedeuten, von ge- meinen Pfunden, ſolche auch daher auf 10. Cent- ner in ſeinen Gedancken reducirte, der wuͤrde noth- wendig auch eine falſche Erzehlung von dieſen 10. Centnern zum Vorſchein bringen. Wenn der Ruff entſtehet, die Landesfuͤrſtin habe Zwil- linge gebohren, ſo kan iemand von der Hoffnung eines Printzens ſo eingenommen ſeyn, daß er dieſe Nachricht unuͤberlegt davor annimmt, ſie habe zwey Printzen gebohren, welches er denn als eine Wahr- heit, die ihm berichtet worden, weiter ſagen wird. So viel als es daher Moͤglichkeiten giebt, wie ein Hoͤrer und Leſer, beſonders aber ein Hoͤrer, in dem Verſtande der Worte irren, und ſich truͤgen kan; ſo viel Quellen giebt es auch der Verfaͤl- ſchungen einer Geſchichte, indem ſie durch Nach- richten, iedoch mit veraͤnderten Worten, ausgebrei- tet, und fortgepflantzt wird. §. 24.

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/216>, abgerufen am 30.04.2024.