Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Achtes Capitel,
dern zuförderst aus denselben eine Regel und allge-
meinen Satz macht, und diesem hernach eine Ur-
sache,
welches vielmehr Demonstration heissen
sollte, beylegt. s. Vernünfftige Gedancken
vom Wahrscheinlichen.
V. Betracht.
Wenn man nun bey Geschichten auch von Ursachen
höret, so kan uns leicht dabey einfallen, daß die
Begebenheiten der Welt aus den vorhergehenden
auf eben die Weise folgeten, als wie Schlußsätze
aus den Fördersätzen flüssen, und also alles mit
Schlüssen und Syllogismis auszurichten sey. Hier
aber äussert sich nun der gröste Unterscheid. Bey
allgemeinen Wahrheiten solget eine aus der andern,
oder eine ist schon in der andern enthalten: Bey
historischen Wahrheiten aber ist keinesweges zu be-
haupten, daß das nachfolgende in dem vorher-
gehenden
enthalten sey. Ohne uns hierbey in die
metaphysische Untersuchung einzulassen, wie in ein-
tzeln Substantzien die Veränderungen aus ein-
ander entstehen, und die darüber entstandene Un-
einigkeiten unter den Gelehrten zu vermeiden, so
dürffen wir nur das vorhergehende und nach-
folgende,
wie es hier genommen werden muß,
genauer bestimmen. Wir handeln nehmlich von
der historischen Erkentniß: was uns also von denen
Dingen, die sind und geschehen, nicht bekannt ist,
das gehöret zwar zur Geschichte, aber nicht zur
Geschichtskunde, noch zur historischen Erkent-
niß. Das vorhergehende heisset also dasjeni-
ge, was wir von dem vergangenen wissen: und
das nachfolgende, was wir von dem nachfolgen-
den wissen, oder wissen können. Es ist also hier

nicht

Achtes Capitel,
dern zufoͤrderſt aus denſelben eine Regel und allge-
meinen Satz macht, und dieſem hernach eine Ur-
ſache,
welches vielmehr Demonſtration heiſſen
ſollte, beylegt. ſ. Vernuͤnfftige Gedancken
vom Wahrſcheinlichen.
V. Betracht.
Wenn man nun bey Geſchichten auch von Urſachen
hoͤret, ſo kan uns leicht dabey einfallen, daß die
Begebenheiten der Welt aus den vorhergehenden
auf eben die Weiſe folgeten, als wie Schlußſaͤtze
aus den Foͤrderſaͤtzen fluͤſſen, und alſo alles mit
Schluͤſſen und Syllogiſmis auszurichten ſey. Hier
aber aͤuſſert ſich nun der groͤſte Unterſcheid. Bey
allgemeinen Wahrheiten ſolget eine aus der andern,
oder eine iſt ſchon in der andern enthalten: Bey
hiſtoriſchen Wahrheiten aber iſt keinesweges zu be-
haupten, daß das nachfolgende in dem vorher-
gehenden
enthalten ſey. Ohne uns hierbey in die
metaphyſiſche Unterſuchung einzulaſſen, wie in ein-
tzeln Subſtantzien die Veraͤnderungen aus ein-
ander entſtehen, und die daruͤber entſtandene Un-
einigkeiten unter den Gelehrten zu vermeiden, ſo
duͤrffen wir nur das vorhergehende und nach-
folgende,
wie es hier genommen werden muß,
genauer beſtimmen. Wir handeln nehmlich von
der hiſtoriſchen Erkentniß: was uns alſo von denen
Dingen, die ſind und geſchehen, nicht bekannt iſt,
das gehoͤret zwar zur Geſchichte, aber nicht zur
Geſchichtskunde, noch zur hiſtoriſchen Erkent-
niß. Das vorhergehende heiſſet alſo dasjeni-
ge, was wir von dem vergangenen wiſſen: und
das nachfolgende, was wir von dem nachfolgen-
den wiſſen, oder wiſſen koͤnnen. Es iſt alſo hier

nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0298" n="262"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Achtes Capitel,</hi></fw><lb/>
dern zufo&#x0364;rder&#x017F;t aus den&#x017F;elben eine Regel und allge-<lb/>
meinen Satz macht, und die&#x017F;em hernach eine <hi rendition="#fr">Ur-<lb/>
&#x017F;ache,</hi> welches vielmehr <hi rendition="#fr">Demon&#x017F;tration</hi> hei&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ollte, beylegt. &#x017F;. <hi rendition="#fr">Vernu&#x0364;nfftige Gedancken<lb/>
vom Wahr&#x017F;cheinlichen.</hi> <hi rendition="#aq">V.</hi> <hi rendition="#fr">Betracht.</hi><lb/>
Wenn man nun bey Ge&#x017F;chichten auch von Ur&#x017F;achen<lb/>
ho&#x0364;ret, &#x017F;o kan uns leicht dabey einfallen, daß die<lb/>
Begebenheiten der Welt aus den vorhergehenden<lb/>
auf eben die Wei&#x017F;e folgeten, als wie <hi rendition="#fr">Schluß&#x017F;a&#x0364;tze</hi><lb/>
aus den Fo&#x0364;rder&#x017F;a&#x0364;tzen flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und al&#x017F;o alles mit<lb/>
Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en und <hi rendition="#aq">Syllogi&#x017F;mis</hi> auszurichten &#x017F;ey. Hier<lb/>
aber a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ert &#x017F;ich nun der gro&#x0364;&#x017F;te Unter&#x017F;cheid. Bey<lb/>
allgemeinen Wahrheiten &#x017F;olget eine aus der andern,<lb/>
oder eine i&#x017F;t &#x017F;chon <hi rendition="#fr">in der andern</hi> enthalten: Bey<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;chen Wahrheiten aber i&#x017F;t keinesweges zu be-<lb/>
haupten, daß das <hi rendition="#fr">nachfolgende</hi> in dem <hi rendition="#fr">vorher-<lb/>
gehenden</hi> enthalten &#x017F;ey. Ohne uns hierbey in die<lb/>
metaphy&#x017F;i&#x017F;che Unter&#x017F;uchung einzula&#x017F;&#x017F;en, wie in ein-<lb/>
tzeln <hi rendition="#fr">Sub&#x017F;tantzien</hi> die Vera&#x0364;nderungen aus ein-<lb/>
ander ent&#x017F;tehen, und die daru&#x0364;ber ent&#x017F;tandene Un-<lb/>
einigkeiten unter den Gelehrten zu vermeiden, &#x017F;o<lb/>
du&#x0364;rffen wir nur das <hi rendition="#fr">vorhergehende</hi> und <hi rendition="#fr">nach-<lb/>
folgende,</hi> wie es hier genommen werden muß,<lb/>
genauer be&#x017F;timmen. Wir handeln nehmlich von<lb/>
der hi&#x017F;tori&#x017F;chen Erkentniß: was uns al&#x017F;o von denen<lb/>
Dingen, die &#x017F;ind und ge&#x017F;chehen, nicht bekannt i&#x017F;t,<lb/>
das geho&#x0364;ret zwar zur <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chichte,</hi> aber nicht zur<lb/><hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chichtskunde,</hi> noch zur hi&#x017F;tori&#x017F;chen Erkent-<lb/>
niß. Das <hi rendition="#fr">vorhergehende</hi> hei&#x017F;&#x017F;et al&#x017F;o dasjeni-<lb/>
ge, was wir von dem vergangenen wi&#x017F;&#x017F;en: und<lb/>
das <hi rendition="#fr">nachfolgende,</hi> was wir von dem nachfolgen-<lb/>
den wi&#x017F;&#x017F;en, oder wi&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnen. Es i&#x017F;t al&#x017F;o hier<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[262/0298] Achtes Capitel, dern zufoͤrderſt aus denſelben eine Regel und allge- meinen Satz macht, und dieſem hernach eine Ur- ſache, welches vielmehr Demonſtration heiſſen ſollte, beylegt. ſ. Vernuͤnfftige Gedancken vom Wahrſcheinlichen. V. Betracht. Wenn man nun bey Geſchichten auch von Urſachen hoͤret, ſo kan uns leicht dabey einfallen, daß die Begebenheiten der Welt aus den vorhergehenden auf eben die Weiſe folgeten, als wie Schlußſaͤtze aus den Foͤrderſaͤtzen fluͤſſen, und alſo alles mit Schluͤſſen und Syllogiſmis auszurichten ſey. Hier aber aͤuſſert ſich nun der groͤſte Unterſcheid. Bey allgemeinen Wahrheiten ſolget eine aus der andern, oder eine iſt ſchon in der andern enthalten: Bey hiſtoriſchen Wahrheiten aber iſt keinesweges zu be- haupten, daß das nachfolgende in dem vorher- gehenden enthalten ſey. Ohne uns hierbey in die metaphyſiſche Unterſuchung einzulaſſen, wie in ein- tzeln Subſtantzien die Veraͤnderungen aus ein- ander entſtehen, und die daruͤber entſtandene Un- einigkeiten unter den Gelehrten zu vermeiden, ſo duͤrffen wir nur das vorhergehende und nach- folgende, wie es hier genommen werden muß, genauer beſtimmen. Wir handeln nehmlich von der hiſtoriſchen Erkentniß: was uns alſo von denen Dingen, die ſind und geſchehen, nicht bekannt iſt, das gehoͤret zwar zur Geſchichte, aber nicht zur Geſchichtskunde, noch zur hiſtoriſchen Erkent- niß. Das vorhergehende heiſſet alſo dasjeni- ge, was wir von dem vergangenen wiſſen: und das nachfolgende, was wir von dem nachfolgen- den wiſſen, oder wiſſen koͤnnen. Es iſt alſo hier nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/298
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/298>, abgerufen am 08.05.2024.