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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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v. d. Zusammenhange d. Begebenh. etc.
von seinen Entschliessungen oder Begebenheiten die
Welt belehren: aber wer | entdecket seine Fehler,
Schwachheiten und Fehltritte gerne? es würde sol-
ches öffters dem Geschichtschreiber nachtheilig, und
selten dem Publico ersprießlich seyn. Man erzeh-
let gemeiniglich nichts, als was so schon vielen be-
kannt gewesen. Zwey neuere Schrifftsteller haben
die gemeinen Schrancken der Particularitäten über-
schritten: der eine ist der Freyherr von Hollberg,
der andere aber der Leipziger Catechet Bernd. Jh-
re Lebensschreibungen sind gantz von einem neuen
und besondern Gehalt. Da aber bey einer Erzeh-
lung immer viele Personen concurriren, die nicht
mit gleicher Offenhertzigkeit zu Wercke gegangen, so
bleibt noch immer dabey viel verborgenes übrig.

§. 47.
Jede Erzehlung ist nur ein Stückwerck.

Jn der Geschichte selbst ist an sich nichts verbor-
genes: aber in Ansehung unserer Erkentniß ist viel
verhorgenes. Die Erzehlung aber bestehet alle-
mahl nur aus bekannten Umständen; und ist daher
nur ein Theil der Geschichte. Da wir aber durch
Geschichte, die in Betrachtung gezogen werden,
nur solche verstehen, wobey wir nicht zugegen ge-
wesen sind, sondern die wir nur aus Nachrichten
erlernen; so ist, um die Weitläufftigkeit des ver-
borgenen
bey einer Erzehlung, zu übersehen, noch
hinzuzufügen, was von der Verwandelung der
Geschichte im erzehlen, besonders von der Aus-
lassung
gewisser Umstände im 6. Capitel gelehret
worden. Denn daraus werden wir abnehmen, daß

die

v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc.
von ſeinen Entſchlieſſungen oder Begebenheiten die
Welt belehren: aber wer | entdecket ſeine Fehler,
Schwachheiten und Fehltritte gerne? es wuͤrde ſol-
ches oͤffters dem Geſchichtſchreiber nachtheilig, und
ſelten dem Publico erſprießlich ſeyn. Man erzeh-
let gemeiniglich nichts, als was ſo ſchon vielen be-
kannt geweſen. Zwey neuere Schrifftſteller haben
die gemeinen Schrancken der Particularitaͤten uͤber-
ſchritten: der eine iſt der Freyherr von Hollberg,
der andere aber der Leipziger Catechet Bernd. Jh-
re Lebensſchreibungen ſind gantz von einem neuen
und beſondern Gehalt. Da aber bey einer Erzeh-
lung immer viele Perſonen concurriren, die nicht
mit gleicher Offenhertzigkeit zu Wercke gegangen, ſo
bleibt noch immer dabey viel verborgenes uͤbrig.

§. 47.
Jede Erzehlung iſt nur ein Stuͤckwerck.

Jn der Geſchichte ſelbſt iſt an ſich nichts verbor-
genes: aber in Anſehung unſerer Erkentniß iſt viel
verhorgenes. Die Erzehlung aber beſtehet alle-
mahl nur aus bekannten Umſtaͤnden; und iſt daher
nur ein Theil der Geſchichte. Da wir aber durch
Geſchichte, die in Betrachtung gezogen werden,
nur ſolche verſtehen, wobey wir nicht zugegen ge-
weſen ſind, ſondern die wir nur aus Nachrichten
erlernen; ſo iſt, um die Weitlaͤufftigkeit des ver-
borgenen
bey einer Erzehlung, zu uͤberſehen, noch
hinzuzufuͤgen, was von der Verwandelung der
Geſchichte im erzehlen, beſonders von der Aus-
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gewiſſer Umſtaͤnde im 6. Capitel gelehret
worden. Denn daraus werden wir abnehmen, daß

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[267/0303] v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. von ſeinen Entſchlieſſungen oder Begebenheiten die Welt belehren: aber wer | entdecket ſeine Fehler, Schwachheiten und Fehltritte gerne? es wuͤrde ſol- ches oͤffters dem Geſchichtſchreiber nachtheilig, und ſelten dem Publico erſprießlich ſeyn. Man erzeh- let gemeiniglich nichts, als was ſo ſchon vielen be- kannt geweſen. Zwey neuere Schrifftſteller haben die gemeinen Schrancken der Particularitaͤten uͤber- ſchritten: der eine iſt der Freyherr von Hollberg, der andere aber der Leipziger Catechet Bernd. Jh- re Lebensſchreibungen ſind gantz von einem neuen und beſondern Gehalt. Da aber bey einer Erzeh- lung immer viele Perſonen concurriren, die nicht mit gleicher Offenhertzigkeit zu Wercke gegangen, ſo bleibt noch immer dabey viel verborgenes uͤbrig. §. 47. Jede Erzehlung iſt nur ein Stuͤckwerck. Jn der Geſchichte ſelbſt iſt an ſich nichts verbor- genes: aber in Anſehung unſerer Erkentniß iſt viel verhorgenes. Die Erzehlung aber beſtehet alle- mahl nur aus bekannten Umſtaͤnden; und iſt daher nur ein Theil der Geſchichte. Da wir aber durch Geſchichte, die in Betrachtung gezogen werden, nur ſolche verſtehen, wobey wir nicht zugegen ge- weſen ſind, ſondern die wir nur aus Nachrichten erlernen; ſo iſt, um die Weitlaͤufftigkeit des ver- borgenen bey einer Erzehlung, zu uͤberſehen, noch hinzuzufuͤgen, was von der Verwandelung der Geſchichte im erzehlen, beſonders von der Aus- laſſung gewiſſer Umſtaͤnde im 6. Capitel gelehret worden. Denn daraus werden wir abnehmen, daß die

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/303>, abgerufen am 27.04.2024.