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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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von der Gewißheit der Geschichte etc.
der sinnlichen Erkentniß nicht, daß wir iezuweilen
nicht recht sehen. Bey der demonstrativen
Gewißheit wird die Richtigkeit der Demonstratio-
nen, und bey sinnlichen Begebenheiten das
recht sehen, recht hören etc. voraus gesetzt.

§. 12.
Die Gewißheit handgreifflicher Dinge.

Unter denen Begebenheiten, die cörperlich und
mithin sinnlich sind, müssen wir in Absicht auf die
Gewißheit diejenigen besonders bemercken, von
welchen man zu sagen pfleget: daß sie jedermann
in die Sinne fallen.
Man nennet es auch hand-
greiffliche
Dinge: (res maxime palpabiles) der-
gleichen sind, daß da ein Hauß, dort ein Thurm
stehe, daß die Glocken geläutet werden, u. s. w.
Die besondere Beschaffenheit dieser Dinge nehm-
lich ist, daß sie eines Theils nur den allergering-
sten Grad der Aufmercksamkeit brauchen, ja den-
jenigen, der dabey ist, gleichsam nöthigen und
zwingen, darauf Achtung zu geben: andern
Theils,
daß bey ihnen so leichte kein vitium sub-
reptionis
vorgehen kan: da hingegen bey vielen
Dingen eine besondere Aufmercksamkeit darzu ge-
höret, und noch überdieses Vorsicht, daß man
nicht falsch urtheile. Man siehet z. E. einem Bie-
nenschwarme zu, so ist nicht leichte zu urtheilen, ob
sie alle einerley Gestalt haben: man wird auch nicht
so bald die eigentliche Gestalt des so genannten Kö-
nigs
darunter wahrnehmen: weil er, oder viel-
mehr sie, die Königin selten alleine sehen lässet;

und
T 3

von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc.
der ſinnlichen Erkentniß nicht, daß wir iezuweilen
nicht recht ſehen. Bey der demonſtrativen
Gewißheit wird die Richtigkeit der Demonſtratio-
nen, und bey ſinnlichen Begebenheiten das
recht ſehen, recht hoͤren ꝛc. voraus geſetzt.

§. 12.
Die Gewißheit handgreifflicher Dinge.

Unter denen Begebenheiten, die coͤrperlich und
mithin ſinnlich ſind, muͤſſen wir in Abſicht auf die
Gewißheit diejenigen beſonders bemercken, von
welchen man zu ſagen pfleget: daß ſie jedermann
in die Sinne fallen.
Man nennet es auch hand-
greiffliche
Dinge: (res maxime palpabiles) der-
gleichen ſind, daß da ein Hauß, dort ein Thurm
ſtehe, daß die Glocken gelaͤutet werden, u. ſ. w.
Die beſondere Beſchaffenheit dieſer Dinge nehm-
lich iſt, daß ſie eines Theils nur den allergering-
ſten Grad der Aufmerckſamkeit brauchen, ja den-
jenigen, der dabey iſt, gleichſam noͤthigen und
zwingen, darauf Achtung zu geben: andern
Theils,
daß bey ihnen ſo leichte kein vitium ſub-
reptionis
vorgehen kan: da hingegen bey vielen
Dingen eine beſondere Aufmerckſamkeit darzu ge-
hoͤret, und noch uͤberdieſes Vorſicht, daß man
nicht falſch urtheile. Man ſiehet z. E. einem Bie-
nenſchwarme zu, ſo iſt nicht leichte zu urtheilen, ob
ſie alle einerley Geſtalt haben: man wird auch nicht
ſo bald die eigentliche Geſtalt des ſo genannten Koͤ-
nigs
darunter wahrnehmen: weil er, oder viel-
mehr ſie, die Koͤnigin ſelten alleine ſehen laͤſſet;

und
T 3
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[293/0329] von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. der ſinnlichen Erkentniß nicht, daß wir iezuweilen nicht recht ſehen. Bey der demonſtrativen Gewißheit wird die Richtigkeit der Demonſtratio- nen, und bey ſinnlichen Begebenheiten das recht ſehen, recht hoͤren ꝛc. voraus geſetzt. §. 12. Die Gewißheit handgreifflicher Dinge. Unter denen Begebenheiten, die coͤrperlich und mithin ſinnlich ſind, muͤſſen wir in Abſicht auf die Gewißheit diejenigen beſonders bemercken, von welchen man zu ſagen pfleget: daß ſie jedermann in die Sinne fallen. Man nennet es auch hand- greiffliche Dinge: (res maxime palpabiles) der- gleichen ſind, daß da ein Hauß, dort ein Thurm ſtehe, daß die Glocken gelaͤutet werden, u. ſ. w. Die beſondere Beſchaffenheit dieſer Dinge nehm- lich iſt, daß ſie eines Theils nur den allergering- ſten Grad der Aufmerckſamkeit brauchen, ja den- jenigen, der dabey iſt, gleichſam noͤthigen und zwingen, darauf Achtung zu geben: andern Theils, daß bey ihnen ſo leichte kein vitium ſub- reptionis vorgehen kan: da hingegen bey vielen Dingen eine beſondere Aufmerckſamkeit darzu ge- hoͤret, und noch uͤberdieſes Vorſicht, daß man nicht falſch urtheile. Man ſiehet z. E. einem Bie- nenſchwarme zu, ſo iſt nicht leichte zu urtheilen, ob ſie alle einerley Geſtalt haben: man wird auch nicht ſo bald die eigentliche Geſtalt des ſo genannten Koͤ- nigs darunter wahrnehmen: weil er, oder viel- mehr ſie, die Koͤnigin ſelten alleine ſehen laͤſſet; und T 3

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/329>, abgerufen am 30.04.2024.