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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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Neuntes Capitel,
che beruhet, sondern auch auf dem, der die Sache
erkennen soll; (n. 6. §. 5.) so verursachen die Un-
ordnungen der menschlichen Seele auch auf dieser
Seite Hindernisse der Gewißheit. Nehmlich der
Hörer einer Nachricht kan 1. die guten Eigen-
schafften des Aussagers, die etwa auch andern Per-
sonen schon längst bekannt sind, noch nicht wissen.
2. Er kan aus Haß und Neid sie, wenn er sie er-
kennet, nicht nur vor andern verläugnen, sondern
sich auch selbsten blenden, daß er sie nicht sehen will.
3. Er kan, wenn ihm die Nachricht nicht erleuch-
tet, die Schuld auf den Autor schieben, als wenn
er Unwahrheit geredet hätte. 4. Er kan sich den
unrichtigen Satz in Kopf gesetzet haben: weil der
Betrug in der Welt so häuffig ist, so kan man nir-
gends Gewißheit haben; und daraus wider einen
unverwerfflichen Autor fechten.

§. 21.
Wie die Gewißheit der Nachrichten, der ange-
führten Zerrüttungen ungeachtet, hergestellet
wird.

Ohngeachtet bey diesen Umständen die Gewiß-
heit der Aussagen so wohl auf Seiten der
Aussager (§. 19.) als der Anhörer (§. 20.) An-
stoß leidet;
so pfleget man doch den Mangel der
Gewißheit gemeiniglich bloß auf die Aussager zu
schieben, als auf welche man sich nicht genug ver-
lassen könne. Und in der That ist dieses auch die
häuffigste Quelle der Ungewißheit bey Nachrichten
die Menschen andern Menschen ertheilen. Wir
wollen daher auch unsre Sorge hauptsächlich auf

dieses

Neuntes Capitel,
che beruhet, ſondern auch auf dem, der die Sache
erkennen ſoll; (n. 6. §. 5.) ſo verurſachen die Un-
ordnungen der menſchlichen Seele auch auf dieſer
Seite Hinderniſſe der Gewißheit. Nehmlich der
Hoͤrer einer Nachricht kan 1. die guten Eigen-
ſchafften des Ausſagers, die etwa auch andern Per-
ſonen ſchon laͤngſt bekannt ſind, noch nicht wiſſen.
2. Er kan aus Haß und Neid ſie, wenn er ſie er-
kennet, nicht nur vor andern verlaͤugnen, ſondern
ſich auch ſelbſten blenden, daß er ſie nicht ſehen will.
3. Er kan, wenn ihm die Nachricht nicht erleuch-
tet, die Schuld auf den Autor ſchieben, als wenn
er Unwahrheit geredet haͤtte. 4. Er kan ſich den
unrichtigen Satz in Kopf geſetzet haben: weil der
Betrug in der Welt ſo haͤuffig iſt, ſo kan man nir-
gends Gewißheit haben; und daraus wider einen
unverwerfflichen Autor fechten.

§. 21.
Wie die Gewißheit der Nachrichten, der ange-
fuͤhrten Zerruͤttungen ungeachtet, hergeſtellet
wird.

Ohngeachtet bey dieſen Umſtaͤnden die Gewiß-
heit der Ausſagen ſo wohl auf Seiten der
Ausſager (§. 19.) als der Anhoͤrer (§. 20.) An-
ſtoß leidet;
ſo pfleget man doch den Mangel der
Gewißheit gemeiniglich bloß auf die Ausſager zu
ſchieben, als auf welche man ſich nicht genug ver-
laſſen koͤnne. Und in der That iſt dieſes auch die
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[300/0336] Neuntes Capitel, che beruhet, ſondern auch auf dem, der die Sache erkennen ſoll; (n. 6. §. 5.) ſo verurſachen die Un- ordnungen der menſchlichen Seele auch auf dieſer Seite Hinderniſſe der Gewißheit. Nehmlich der Hoͤrer einer Nachricht kan 1. die guten Eigen- ſchafften des Ausſagers, die etwa auch andern Per- ſonen ſchon laͤngſt bekannt ſind, noch nicht wiſſen. 2. Er kan aus Haß und Neid ſie, wenn er ſie er- kennet, nicht nur vor andern verlaͤugnen, ſondern ſich auch ſelbſten blenden, daß er ſie nicht ſehen will. 3. Er kan, wenn ihm die Nachricht nicht erleuch- tet, die Schuld auf den Autor ſchieben, als wenn er Unwahrheit geredet haͤtte. 4. Er kan ſich den unrichtigen Satz in Kopf geſetzet haben: weil der Betrug in der Welt ſo haͤuffig iſt, ſo kan man nir- gends Gewißheit haben; und daraus wider einen unverwerfflichen Autor fechten. §. 21. Wie die Gewißheit der Nachrichten, der ange- fuͤhrten Zerruͤttungen ungeachtet, hergeſtellet wird. Ohngeachtet bey dieſen Umſtaͤnden die Gewiß- heit der Ausſagen ſo wohl auf Seiten der Ausſager (§. 19.) als der Anhoͤrer (§. 20.) An- ſtoß leidet; ſo pfleget man doch den Mangel der Gewißheit gemeiniglich bloß auf die Ausſager zu ſchieben, als auf welche man ſich nicht genug ver- laſſen koͤnne. Und in der That iſt dieſes auch die haͤuffigſte Quelle der Ungewißheit bey Nachrichten die Menſchen andern Menſchen ertheilen. Wir wollen daher auch unſre Sorge hauptſaͤchlich auf dieſes

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/336>, abgerufen am 27.04.2024.