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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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Zweytes Capitel,
wird, ohne daß er von andern umgeben seyn soll-
te (§. 19.): so können solche Vorstellungen von
Cörpern, ausser aller Verbindung, keine blosse
sinnliche Vorstellungen seyn: sondern es muß noch
eine andere Würckung der Seele oder des Ver-
standes dazu behülflich seyn. Wie es nun ge-
schehe, ist zum theil schon (§. 14. 15.) gezeiget
worden. Es kan aber auch etwas von Schlüs-
sen
daran Antheil nehmen. Z. E. ich sehe beym
Eintritt in das Zimmer jemanden mitten im Zim-
mer stehen; so werde ich nach der Beschaffenheit
des Sehens (§. 19.) mir ihn vorstellen, wie er
von der Wand, die hinter ihm ist, umgeben
wird, oder, als ob er in der Wand stünde. Den-
noch wird niemand so urtheilen (nehmlich wer sei-
nes Gesichtes von Kindheit an mächtig gewesen
ist,), sondern so gleich, wie man spricht, sehen,
daß er nicht an der Wand, sondern mitten im
Zimmer stehe. Jn der That aber ist dieses kein
bloß sinnliches Urtheil, das jeder machen müste,
wenn er auch gleich nur erst ohnlängst zu sehen an-
gefangen hätte: Sondern theils giebt uns das
durch die Uebung erlangte Augenmaaß, wie weit
wir von der Person, und wie weit wir von der
Wand hinter ihm entfernet sind, Gelegenheit zu
schlüssen, daß er mitten in dem Zimmer stehe:
theils da es eine andere Aussicht giebt, nachdem
eine Person nahe oder ferne von der Wand ist,
wegen des verschiedenen Schattens, (welches wir
eben erst aus der Erfahrung lernen); so schlüssen wir
auch auf diese Art den wahren Ort eines Cörpers,
der zwar frey stehet, aber doch nach dem blossen

Gesichte,

Zweytes Capitel,
wird, ohne daß er von andern umgeben ſeyn ſoll-
te (§. 19.): ſo koͤnnen ſolche Vorſtellungen von
Coͤrpern, auſſer aller Verbindung, keine bloſſe
ſinnliche Vorſtellungen ſeyn: ſondern es muß noch
eine andere Wuͤrckung der Seele oder des Ver-
ſtandes dazu behuͤlflich ſeyn. Wie es nun ge-
ſchehe, iſt zum theil ſchon (§. 14. 15.) gezeiget
worden. Es kan aber auch etwas von Schluͤſ-
ſen
daran Antheil nehmen. Z. E. ich ſehe beym
Eintritt in das Zimmer jemanden mitten im Zim-
mer ſtehen; ſo werde ich nach der Beſchaffenheit
des Sehens (§. 19.) mir ihn vorſtellen, wie er
von der Wand, die hinter ihm iſt, umgeben
wird, oder, als ob er in der Wand ſtuͤnde. Den-
noch wird niemand ſo urtheilen (nehmlich wer ſei-
nes Geſichtes von Kindheit an maͤchtig geweſen
iſt,), ſondern ſo gleich, wie man ſpricht, ſehen,
daß er nicht an der Wand, ſondern mitten im
Zimmer ſtehe. Jn der That aber iſt dieſes kein
bloß ſinnliches Urtheil, das jeder machen muͤſte,
wenn er auch gleich nur erſt ohnlaͤngſt zu ſehen an-
gefangen haͤtte: Sondern theils giebt uns das
durch die Uebung erlangte Augenmaaß, wie weit
wir von der Perſon, und wie weit wir von der
Wand hinter ihm entfernet ſind, Gelegenheit zu
ſchluͤſſen, daß er mitten in dem Zimmer ſtehe:
theils da es eine andere Ausſicht giebt, nachdem
eine Perſon nahe oder ferne von der Wand iſt,
wegen des verſchiedenen Schattens, (welches wir
eben erſt aus der Erfahrung lernen); ſo ſchluͤſſen wir
auch auf dieſe Art den wahren Ort eines Coͤrpers,
der zwar frey ſtehet, aber doch nach dem bloſſen

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[40/0076] Zweytes Capitel, wird, ohne daß er von andern umgeben ſeyn ſoll- te (§. 19.): ſo koͤnnen ſolche Vorſtellungen von Coͤrpern, auſſer aller Verbindung, keine bloſſe ſinnliche Vorſtellungen ſeyn: ſondern es muß noch eine andere Wuͤrckung der Seele oder des Ver- ſtandes dazu behuͤlflich ſeyn. Wie es nun ge- ſchehe, iſt zum theil ſchon (§. 14. 15.) gezeiget worden. Es kan aber auch etwas von Schluͤſ- ſen daran Antheil nehmen. Z. E. ich ſehe beym Eintritt in das Zimmer jemanden mitten im Zim- mer ſtehen; ſo werde ich nach der Beſchaffenheit des Sehens (§. 19.) mir ihn vorſtellen, wie er von der Wand, die hinter ihm iſt, umgeben wird, oder, als ob er in der Wand ſtuͤnde. Den- noch wird niemand ſo urtheilen (nehmlich wer ſei- nes Geſichtes von Kindheit an maͤchtig geweſen iſt,), ſondern ſo gleich, wie man ſpricht, ſehen, daß er nicht an der Wand, ſondern mitten im Zimmer ſtehe. Jn der That aber iſt dieſes kein bloß ſinnliches Urtheil, das jeder machen muͤſte, wenn er auch gleich nur erſt ohnlaͤngſt zu ſehen an- gefangen haͤtte: Sondern theils giebt uns das durch die Uebung erlangte Augenmaaß, wie weit wir von der Perſon, und wie weit wir von der Wand hinter ihm entfernet ſind, Gelegenheit zu ſchluͤſſen, daß er mitten in dem Zimmer ſtehe: theils da es eine andere Ausſicht giebt, nachdem eine Perſon nahe oder ferne von der Wand iſt, wegen des verſchiedenen Schattens, (welches wir eben erſt aus der Erfahrung lernen); ſo ſchluͤſſen wir auch auf dieſe Art den wahren Ort eines Coͤrpers, der zwar frey ſtehet, aber doch nach dem bloſſen Geſichte,

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/76>, abgerufen am 28.04.2024.