Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_044.001
die geläuterte Sinnlichkeit anschaulich gewordene Form. p1c_044.002
Darum ist der absolute Jmperatif des höhern Lebens, p1c_044.003
der uns allein zum Handeln bestimmen kann, besser so auszudrücken: p1c_044.004
Wirke Reales und werde dir der idealen p1c_044.005
Natur im Realen bewußt! 2) der zweyte logische Fehler p1c_044.006
oder Widerspruch in der Kantischen Formel ist folgender. p1c_044.007
Sie kündet sich als Grundgesetz an, und enthält doch p1c_044.008
keine Sanktion, keinen Ausdruck, der die moralische Verbindlichkeit p1c_044.009
für ein freyes Wesen hervorbrächte, ihr p1c_044.010
zu folgen. Sie kommt nicht etwa, nein, sie fällt im p1c_044.011
eigentlichsten Verstande vom Himmel. Jn so fern sie also p1c_044.012
die moralische Verbindlichkeit erst voraussetzt, ist sie p1c_044.013
kein Grundgesetz, wofür sie sich ausgiebt. Denn das p1c_044.014
Grundgesetz in einer Monarchie enthält den Unterwerfungsvertrag. p1c_044.015
Alle übrigen bürgerlichen Gesetze beziehen p1c_044.016
sich auf das Grundgesetz, und ihre Sanktion ist nicht p1c_044.017
blos Strafe, sondern Beziehung auf Strafrecht und Huldigung p1c_044.018
bestimmt im Grundgesetz. Auch von dieser Seite p1c_044.019
ist also die ganze Kantische Moralphilosophie eine absolute p1c_044.020
Nullität. Man wird vorschützen, es sey ja eine Huldigung p1c_044.021
der freyen Wesen hinter drein als Thatsache angegeben, p1c_044.022
nämlich die reine Triebfeder, Achtung für das Gesetz. p1c_044.023
Allein ich antworte: es ist widersinnig, für ein p1c_044.024
Gesetz, als Gesetz, Achtung zu haben, das erst durch p1c_044.025
diese Achtung zum Gesetz wird. Es ist widersinnig, wenn p1c_044.026
vernünftige Wesen einem Gesetze, als solchem, huldigen p1c_044.027
wollten, das erst dann sich als Gesetz ankünden kann, im p1c_044.028
Falle man ihm etwa huldigen wollte. Es ist, als wenn

p1c_044.001
die geläuterte Sinnlichkeit anschaulich gewordene Form. p1c_044.002
Darum ist der absolute Jmperatif des höhern Lebens, p1c_044.003
der uns allein zum Handeln bestimmen kann, besser so auszudrücken: p1c_044.004
Wirke Reales und werde dir der idealen p1c_044.005
Natur im Realen bewußt! 2) der zweyte logische Fehler p1c_044.006
oder Widerspruch in der Kantischen Formel ist folgender. p1c_044.007
Sie kündet sich als Grundgesetz an, und enthält doch p1c_044.008
keine Sanktion, keinen Ausdruck, der die moralische Verbindlichkeit p1c_044.009
für ein freyes Wesen hervorbrächte, ihr p1c_044.010
zu folgen. Sie kommt nicht etwa, nein, sie fällt im p1c_044.011
eigentlichsten Verstande vom Himmel. Jn so fern sie also p1c_044.012
die moralische Verbindlichkeit erst voraussetzt, ist sie p1c_044.013
kein Grundgesetz, wofür sie sich ausgiebt. Denn das p1c_044.014
Grundgesetz in einer Monarchie enthält den Unterwerfungsvertrag. p1c_044.015
Alle übrigen bürgerlichen Gesetze beziehen p1c_044.016
sich auf das Grundgesetz, und ihre Sanktion ist nicht p1c_044.017
blos Strafe, sondern Beziehung auf Strafrecht und Huldigung p1c_044.018
bestimmt im Grundgesetz. Auch von dieser Seite p1c_044.019
ist also die ganze Kantische Moralphilosophie eine absolute p1c_044.020
Nullität. Man wird vorschützen, es sey ja eine Huldigung p1c_044.021
der freyen Wesen hinter drein als Thatsache angegeben, p1c_044.022
nämlich die reine Triebfeder, Achtung für das Gesetz. p1c_044.023
Allein ich antworte: es ist widersinnig, für ein p1c_044.024
Gesetz, als Gesetz, Achtung zu haben, das erst durch p1c_044.025
diese Achtung zum Gesetz wird. Es ist widersinnig, wenn p1c_044.026
vernünftige Wesen einem Gesetze, als solchem, huldigen p1c_044.027
wollten, das erst dann sich als Gesetz ankünden kann, im p1c_044.028
Falle man ihm etwa huldigen wollte. Es ist, als wenn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0102" n="44"/><lb n="p1c_044.001"/>
die geläuterte Sinnlichkeit anschaulich gewordene Form. <lb n="p1c_044.002"/>
Darum ist der <hi rendition="#g">absolute Jmperatif</hi> des höhern Lebens, <lb n="p1c_044.003"/>
der uns allein zum Handeln bestimmen kann, besser so auszudrücken: <lb n="p1c_044.004"/>
Wirke <hi rendition="#g">Reales</hi> und werde dir der <hi rendition="#g">idealen</hi> <lb n="p1c_044.005"/>
Natur im <hi rendition="#g">Realen bewußt!</hi> 2) der zweyte logische Fehler <lb n="p1c_044.006"/>
oder Widerspruch in der Kantischen Formel ist folgender. <lb n="p1c_044.007"/>
Sie kündet sich als <hi rendition="#g">Grundgesetz</hi> an, und enthält doch <lb n="p1c_044.008"/>
keine Sanktion, keinen Ausdruck, der die moralische <hi rendition="#g">Verbindlichkeit</hi> <lb n="p1c_044.009"/>
für ein <hi rendition="#g">freyes</hi> Wesen hervorbrächte, ihr <lb n="p1c_044.010"/>
zu folgen. Sie <hi rendition="#g">kommt</hi> nicht etwa, nein, sie <hi rendition="#g">fällt</hi> im <lb n="p1c_044.011"/>
eigentlichsten Verstande vom Himmel. Jn so fern sie also <lb n="p1c_044.012"/>
die moralische Verbindlichkeit erst <hi rendition="#g">voraussetzt,</hi> ist sie <lb n="p1c_044.013"/>
kein <hi rendition="#g">Grundgesetz,</hi> wofür sie sich ausgiebt. Denn das <lb n="p1c_044.014"/> <hi rendition="#g">Grundgesetz</hi> in einer Monarchie enthält den Unterwerfungsvertrag. <lb n="p1c_044.015"/>
Alle übrigen bürgerlichen Gesetze beziehen <lb n="p1c_044.016"/>
sich auf das Grundgesetz, und ihre <hi rendition="#g">Sanktion</hi> ist nicht <lb n="p1c_044.017"/>
blos Strafe, sondern Beziehung auf <hi rendition="#g">Strafrecht</hi> und Huldigung <lb n="p1c_044.018"/>
bestimmt im Grundgesetz. Auch von dieser Seite <lb n="p1c_044.019"/>
ist also die ganze Kantische Moralphilosophie eine absolute <lb n="p1c_044.020"/>
Nullität. Man wird vorschützen, es sey ja eine Huldigung <lb n="p1c_044.021"/>
der freyen Wesen hinter drein als Thatsache angegeben, <lb n="p1c_044.022"/>
nämlich die <hi rendition="#g">reine Triebfeder, Achtung</hi> für das Gesetz. <lb n="p1c_044.023"/>
Allein ich antworte: es ist widersinnig, für ein <lb n="p1c_044.024"/> <hi rendition="#g">Gesetz,</hi> als Gesetz, <hi rendition="#g">Achtung</hi> zu haben, das erst durch <lb n="p1c_044.025"/>
diese <hi rendition="#g">Achtung</hi> zum Gesetz wird. Es ist widersinnig, wenn <lb n="p1c_044.026"/>
vernünftige Wesen einem Gesetze, als solchem, huldigen <lb n="p1c_044.027"/>
wollten, das erst dann sich als Gesetz ankünden kann, im <lb n="p1c_044.028"/>
Falle man ihm etwa huldigen wollte. Es ist, als wenn
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0102] p1c_044.001 die geläuterte Sinnlichkeit anschaulich gewordene Form. p1c_044.002 Darum ist der absolute Jmperatif des höhern Lebens, p1c_044.003 der uns allein zum Handeln bestimmen kann, besser so auszudrücken: p1c_044.004 Wirke Reales und werde dir der idealen p1c_044.005 Natur im Realen bewußt! 2) der zweyte logische Fehler p1c_044.006 oder Widerspruch in der Kantischen Formel ist folgender. p1c_044.007 Sie kündet sich als Grundgesetz an, und enthält doch p1c_044.008 keine Sanktion, keinen Ausdruck, der die moralische Verbindlichkeit p1c_044.009 für ein freyes Wesen hervorbrächte, ihr p1c_044.010 zu folgen. Sie kommt nicht etwa, nein, sie fällt im p1c_044.011 eigentlichsten Verstande vom Himmel. Jn so fern sie also p1c_044.012 die moralische Verbindlichkeit erst voraussetzt, ist sie p1c_044.013 kein Grundgesetz, wofür sie sich ausgiebt. Denn das p1c_044.014 Grundgesetz in einer Monarchie enthält den Unterwerfungsvertrag. p1c_044.015 Alle übrigen bürgerlichen Gesetze beziehen p1c_044.016 sich auf das Grundgesetz, und ihre Sanktion ist nicht p1c_044.017 blos Strafe, sondern Beziehung auf Strafrecht und Huldigung p1c_044.018 bestimmt im Grundgesetz. Auch von dieser Seite p1c_044.019 ist also die ganze Kantische Moralphilosophie eine absolute p1c_044.020 Nullität. Man wird vorschützen, es sey ja eine Huldigung p1c_044.021 der freyen Wesen hinter drein als Thatsache angegeben, p1c_044.022 nämlich die reine Triebfeder, Achtung für das Gesetz. p1c_044.023 Allein ich antworte: es ist widersinnig, für ein p1c_044.024 Gesetz, als Gesetz, Achtung zu haben, das erst durch p1c_044.025 diese Achtung zum Gesetz wird. Es ist widersinnig, wenn p1c_044.026 vernünftige Wesen einem Gesetze, als solchem, huldigen p1c_044.027 wollten, das erst dann sich als Gesetz ankünden kann, im p1c_044.028 Falle man ihm etwa huldigen wollte. Es ist, als wenn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/102
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/102>, abgerufen am 01.05.2024.