Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_059.001
und so soll auch das Gefühl der Religion den Menschen nicht p1c_059.002
zum Schwärmer machen, er soll nicht im Schooße des p1c_059.003
Ewigen schwelgen wollen, sondern fortdauernd arbeiten. Er p1c_059.004
soll nicht genialisch göttlich, sondern menschlich folgsam handeln. p1c_059.005
Daher erwacht von neuem in uns der Jmperatif p1c_059.006
des höhern Lebens, und treibt uns an, das was wir im p1c_059.007
Schönen doch nur als eine oberflächliche Ahnung fühlten, p1c_059.008
zu realisiren. So besteht also das Leben des Geistes: p1c_059.009
volles Urgefühl der Jntelligenz, ein ernster Kampf des p1c_059.010
Jdealen mit dem Realen, des Guten und Wahren p1c_059.011
mit dem Wirklichen, in ewigem Schaffen und Werden p1c_059.012
des Urseyns, dann ein Rückblick anf das Gewordene p1c_059.013
im Wissen, und zu Zeiten ein begriff = und schrankenloses p1c_059.014
seliges Gefühl von der Harmonie im Urseyn, ein reflektirtes p1c_059.015
Bewußtseyn des Göttlichen im Schönen. Der ewige p1c_059.016
Geist, den wir nicht kennen, zeugt in dem Schooße des p1c_059.017
Nichts dies zeitliche Daseyn, stellt es sich gegenüber, p1c_059.018
als einen schwachen Spiegel seines undarstellbaren unerschöpflichen p1c_059.019
Selbsts, läßt sein Bild bald dunkler, bald heller p1c_059.020
aufgehen, und ruft das Gezeugte in seligen alle Zeit p1c_059.021
endenden Augenblicken in seinen Schooß zurück. Der Augenblick p1c_059.022
schwindet, und das Geschaffene geht gestärkt vom p1c_059.023
göttlichen Urquell wieder heraus, um für seinen Schöpfer p1c_059.024
immer empfänglicher, ihm an Wahrheit und Güte und p1c_059.025
Jdealität immer ähnlicher zu werden.

p1c_059.026
Anmerk. 3. Das Schöne ist höher, als alles p1c_059.027
zum Wissen realisirte Wahre. Die Phantasie bringt

p1c_059.001
und so soll auch das Gefühl der Religion den Menschen nicht p1c_059.002
zum Schwärmer machen, er soll nicht im Schooße des p1c_059.003
Ewigen schwelgen wollen, sondern fortdauernd arbeiten. Er p1c_059.004
soll nicht genialisch göttlich, sondern menschlich folgsam handeln. p1c_059.005
Daher erwacht von neuem in uns der Jmperatif p1c_059.006
des höhern Lebens, und treibt uns an, das was wir im p1c_059.007
Schönen doch nur als eine oberflächliche Ahnung fühlten, p1c_059.008
zu realisiren. So besteht also das Leben des Geistes: p1c_059.009
volles Urgefühl der Jntelligenz, ein ernster Kampf des p1c_059.010
Jdealen mit dem Realen, des Guten und Wahren p1c_059.011
mit dem Wirklichen, in ewigem Schaffen und Werden p1c_059.012
des Urseyns, dann ein Rückblick anf das Gewordene p1c_059.013
im Wissen, und zu Zeiten ein begriff = und schrankenloses p1c_059.014
seliges Gefühl von der Harmonie im Urseyn, ein reflektirtes p1c_059.015
Bewußtseyn des Göttlichen im Schönen. Der ewige p1c_059.016
Geist, den wir nicht kennen, zeugt in dem Schooße des p1c_059.017
Nichts dies zeitliche Daseyn, stellt es sich gegenüber, p1c_059.018
als einen schwachen Spiegel seines undarstellbaren unerschöpflichen p1c_059.019
Selbsts, läßt sein Bild bald dunkler, bald heller p1c_059.020
aufgehen, und ruft das Gezeugte in seligen alle Zeit p1c_059.021
endenden Augenblicken in seinen Schooß zurück. Der Augenblick p1c_059.022
schwindet, und das Geschaffene geht gestärkt vom p1c_059.023
göttlichen Urquell wieder heraus, um für seinen Schöpfer p1c_059.024
immer empfänglicher, ihm an Wahrheit und Güte und p1c_059.025
Jdealität immer ähnlicher zu werden.

p1c_059.026
Anmerk. 3. Das Schöne ist höher, als alles p1c_059.027
zum Wissen realisirte Wahre. Die Phantasie bringt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0117" n="59"/><lb n="p1c_059.001"/>
und so soll auch das Gefühl der Religion den Menschen nicht <lb n="p1c_059.002"/>
zum Schwärmer machen, er soll nicht im Schooße des <lb n="p1c_059.003"/>
Ewigen schwelgen wollen, sondern fortdauernd arbeiten. Er <lb n="p1c_059.004"/>
soll nicht genialisch göttlich, sondern menschlich folgsam handeln. <lb n="p1c_059.005"/>
Daher erwacht von neuem in uns der <hi rendition="#g">Jmperatif</hi> <lb n="p1c_059.006"/>
des höhern Lebens, und treibt uns an, das was wir im <lb n="p1c_059.007"/> <hi rendition="#g">Schönen</hi> doch nur als eine oberflächliche Ahnung fühlten, <lb n="p1c_059.008"/>
zu <hi rendition="#g">realisiren.</hi> So besteht also das Leben des Geistes: <lb n="p1c_059.009"/>
volles Urgefühl der Jntelligenz, ein ernster Kampf des <lb n="p1c_059.010"/> <hi rendition="#g">Jdealen</hi> mit dem <hi rendition="#g">Realen,</hi> des <hi rendition="#g">Guten</hi> und <hi rendition="#g">Wahren</hi> <lb n="p1c_059.011"/>
mit dem <hi rendition="#g">Wirklichen,</hi> in ewigem <hi rendition="#g">Schaffen</hi> und <hi rendition="#g">Werden</hi> <lb n="p1c_059.012"/>
des <hi rendition="#g">Urseyns,</hi> dann ein Rückblick anf das Gewordene <lb n="p1c_059.013"/>
im <hi rendition="#g">Wissen,</hi> und zu Zeiten ein begriff = und schrankenloses <lb n="p1c_059.014"/>
seliges Gefühl von der Harmonie im Urseyn, ein reflektirtes <lb n="p1c_059.015"/>
Bewußtseyn des <hi rendition="#g">Göttlichen</hi> im <hi rendition="#g">Schönen.</hi> Der ewige <lb n="p1c_059.016"/>
Geist, den wir nicht kennen, zeugt in dem Schooße des <lb n="p1c_059.017"/>
Nichts dies <hi rendition="#g">zeitliche</hi> Daseyn, stellt es sich gegenüber, <lb n="p1c_059.018"/>
als einen schwachen Spiegel seines undarstellbaren unerschöpflichen <lb n="p1c_059.019"/>
Selbsts, läßt sein Bild bald dunkler, bald heller <lb n="p1c_059.020"/>
aufgehen, und ruft das Gezeugte in seligen alle Zeit <lb n="p1c_059.021"/>
endenden Augenblicken in seinen Schooß zurück. Der Augenblick <lb n="p1c_059.022"/>
schwindet, und das Geschaffene geht gestärkt vom <lb n="p1c_059.023"/>
göttlichen Urquell wieder heraus, um für seinen Schöpfer <lb n="p1c_059.024"/>
immer empfänglicher, ihm an Wahrheit und Güte und <lb n="p1c_059.025"/>
Jdealität immer ähnlicher zu werden.</p>
          <p><lb n="p1c_059.026"/><hi rendition="#g">Anmerk.</hi> 3. Das <hi rendition="#g">Schöne</hi> ist höher, als alles <lb n="p1c_059.027"/>
zum <hi rendition="#g">Wissen</hi> realisirte <hi rendition="#g">Wahre.</hi> Die Phantasie bringt
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0117] p1c_059.001 und so soll auch das Gefühl der Religion den Menschen nicht p1c_059.002 zum Schwärmer machen, er soll nicht im Schooße des p1c_059.003 Ewigen schwelgen wollen, sondern fortdauernd arbeiten. Er p1c_059.004 soll nicht genialisch göttlich, sondern menschlich folgsam handeln. p1c_059.005 Daher erwacht von neuem in uns der Jmperatif p1c_059.006 des höhern Lebens, und treibt uns an, das was wir im p1c_059.007 Schönen doch nur als eine oberflächliche Ahnung fühlten, p1c_059.008 zu realisiren. So besteht also das Leben des Geistes: p1c_059.009 volles Urgefühl der Jntelligenz, ein ernster Kampf des p1c_059.010 Jdealen mit dem Realen, des Guten und Wahren p1c_059.011 mit dem Wirklichen, in ewigem Schaffen und Werden p1c_059.012 des Urseyns, dann ein Rückblick anf das Gewordene p1c_059.013 im Wissen, und zu Zeiten ein begriff = und schrankenloses p1c_059.014 seliges Gefühl von der Harmonie im Urseyn, ein reflektirtes p1c_059.015 Bewußtseyn des Göttlichen im Schönen. Der ewige p1c_059.016 Geist, den wir nicht kennen, zeugt in dem Schooße des p1c_059.017 Nichts dies zeitliche Daseyn, stellt es sich gegenüber, p1c_059.018 als einen schwachen Spiegel seines undarstellbaren unerschöpflichen p1c_059.019 Selbsts, läßt sein Bild bald dunkler, bald heller p1c_059.020 aufgehen, und ruft das Gezeugte in seligen alle Zeit p1c_059.021 endenden Augenblicken in seinen Schooß zurück. Der Augenblick p1c_059.022 schwindet, und das Geschaffene geht gestärkt vom p1c_059.023 göttlichen Urquell wieder heraus, um für seinen Schöpfer p1c_059.024 immer empfänglicher, ihm an Wahrheit und Güte und p1c_059.025 Jdealität immer ähnlicher zu werden. p1c_059.026 Anmerk. 3. Das Schöne ist höher, als alles p1c_059.027 zum Wissen realisirte Wahre. Die Phantasie bringt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/117
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/117>, abgerufen am 01.05.2024.