Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_071.001
Anmerk. 1. Beym Heftigen herrscht am meisten p1c_071.002
Zufälliges, die schnelle Bewegung des Schöpfergeistes, p1c_071.003
der gegen die Materie ankämpft, beym Starken ist p1c_071.004
mehr gesammeltes Selbstbewußtseyn, man fühlt, daß man p1c_071.005
der andrängenden Materie widersteht, nicht unterliegt, man p1c_071.006
ist aber doch im Kampfe mit ihr, sie scheint uns gleich an p1c_071.007
Kraft. Es ist eine Stille um uns her, aber ein Stillstand p1c_071.008
zweyer kriegerischer Kräfte, eine dumpfe Ruhe, wie vor p1c_071.009
dem Gewitter. Beym Großen ist schon mehr Jndifferenz. p1c_071.010
Der Schöpfergeist durchdringt die unendliche p1c_071.011
Materie, vereinigt sich mit ihr, aber verliert sich auch in p1c_071.012
ihr. Nur beym Erhabenen ist Stille und Ruhe, verbunden p1c_071.013
mit Seligkeit und Hoheit. Der Schöpfergeist hat p1c_071.014
überwunden, die Materie geläutert, und zu sich hinangehoben. p1c_071.015
Sie gehorcht ihm freywillig. Er sieht und liebt in p1c_071.016
ihr sein Bild, und sein Bild blickt liebend znrück auf ihn. p1c_071.017
Die Harmonie von Geist und Natur ist erreicht. Gott, p1c_071.018
sagen die Braminen, erblickt seinen seligen Glanz in der p1c_071.019
lebenden Schöpfung, wie der ruhige Mond sich auf den p1c_071.020
sanftbewegten Wellen spiegelt.

p1c_071.021
Anmerk. 2. Man wirft gewöhnlich alles unter die p1c_071.022
Benennung des Erhabenen zusammen. Allein sowohl p1c_071.023
in der Sinnenwelt, als in der poetischen zeigt sich der Unterschied. p1c_071.024
Groß ist die Vorstellung des Weltmeers. p1c_071.025
Stark ein Felsen, der der andrängenden Fluth entgegen p1c_071.026
tritt. Heftig ein Sturm, der in den Fichtenwäldern p1c_071.027
wühlt, ein Adler, der zur Sonne fliegt, ein Geyer, der

p1c_071.001
Anmerk. 1. Beym Heftigen herrscht am meisten p1c_071.002
Zufälliges, die schnelle Bewegung des Schöpfergeistes, p1c_071.003
der gegen die Materie ankämpft, beym Starken ist p1c_071.004
mehr gesammeltes Selbstbewußtseyn, man fühlt, daß man p1c_071.005
der andrängenden Materie widersteht, nicht unterliegt, man p1c_071.006
ist aber doch im Kampfe mit ihr, sie scheint uns gleich an p1c_071.007
Kraft. Es ist eine Stille um uns her, aber ein Stillstand p1c_071.008
zweyer kriegerischer Kräfte, eine dumpfe Ruhe, wie vor p1c_071.009
dem Gewitter. Beym Großen ist schon mehr Jndifferenz. p1c_071.010
Der Schöpfergeist durchdringt die unendliche p1c_071.011
Materie, vereinigt sich mit ihr, aber verliert sich auch in p1c_071.012
ihr. Nur beym Erhabenen ist Stille und Ruhe, verbunden p1c_071.013
mit Seligkeit und Hoheit. Der Schöpfergeist hat p1c_071.014
überwunden, die Materie geläutert, und zu sich hinangehoben. p1c_071.015
Sie gehorcht ihm freywillig. Er sieht und liebt in p1c_071.016
ihr sein Bild, und sein Bild blickt liebend znrück auf ihn. p1c_071.017
Die Harmonie von Geist und Natur ist erreicht. Gott, p1c_071.018
sagen die Braminen, erblickt seinen seligen Glanz in der p1c_071.019
lebenden Schöpfung, wie der ruhige Mond sich auf den p1c_071.020
sanftbewegten Wellen spiegelt.

p1c_071.021
Anmerk. 2. Man wirft gewöhnlich alles unter die p1c_071.022
Benennung des Erhabenen zusammen. Allein sowohl p1c_071.023
in der Sinnenwelt, als in der poetischen zeigt sich der Unterschied. p1c_071.024
Groß ist die Vorstellung des Weltmeers. p1c_071.025
Stark ein Felsen, der der andrängenden Fluth entgegen p1c_071.026
tritt. Heftig ein Sturm, der in den Fichtenwäldern p1c_071.027
wühlt, ein Adler, der zur Sonne fliegt, ein Geyer, der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0129" n="71"/>
          <p><lb n="p1c_071.001"/><hi rendition="#g">Anmerk.</hi> 1. Beym <hi rendition="#g">Heftigen</hi> herrscht am meisten <lb n="p1c_071.002"/>
Zufälliges, die schnelle Bewegung des Schöpfergeistes, <lb n="p1c_071.003"/>
der gegen die Materie ankämpft, beym <hi rendition="#g">Starken</hi> ist <lb n="p1c_071.004"/>
mehr gesammeltes Selbstbewußtseyn, man fühlt, daß man <lb n="p1c_071.005"/>
der andrängenden Materie widersteht, nicht unterliegt, man <lb n="p1c_071.006"/>
ist aber doch im Kampfe mit ihr, sie scheint uns gleich an <lb n="p1c_071.007"/>
Kraft. Es ist eine Stille um uns her, aber ein Stillstand <lb n="p1c_071.008"/>
zweyer kriegerischer Kräfte, eine dumpfe Ruhe, wie vor <lb n="p1c_071.009"/>
dem Gewitter. Beym <hi rendition="#g">Großen</hi> ist schon mehr <hi rendition="#g">Jndifferenz.</hi> <lb n="p1c_071.010"/>
Der Schöpfergeist durchdringt die unendliche <lb n="p1c_071.011"/>
Materie, vereinigt sich mit ihr, aber verliert sich auch in <lb n="p1c_071.012"/>
ihr. Nur beym <hi rendition="#g">Erhabenen</hi> ist Stille und Ruhe, verbunden <lb n="p1c_071.013"/>
mit Seligkeit und Hoheit. Der Schöpfergeist hat <lb n="p1c_071.014"/>
überwunden, die Materie geläutert, und zu sich hinangehoben. <lb n="p1c_071.015"/>
Sie gehorcht ihm freywillig. Er sieht und liebt in <lb n="p1c_071.016"/>
ihr sein Bild, und sein Bild blickt liebend znrück auf ihn. <lb n="p1c_071.017"/>
Die Harmonie von Geist und Natur ist erreicht. Gott, <lb n="p1c_071.018"/>
sagen die Braminen, erblickt seinen seligen Glanz in der <lb n="p1c_071.019"/>
lebenden Schöpfung, wie der ruhige Mond sich auf den <lb n="p1c_071.020"/>
sanftbewegten Wellen spiegelt.</p>
          <p><lb n="p1c_071.021"/><hi rendition="#g">Anmerk.</hi> 2. Man wirft gewöhnlich alles unter die <lb n="p1c_071.022"/>
Benennung des <hi rendition="#g">Erhabenen</hi> zusammen. Allein sowohl <lb n="p1c_071.023"/>
in der Sinnenwelt, als in der poetischen zeigt sich der Unterschied. <lb n="p1c_071.024"/> <hi rendition="#g">Groß</hi> ist die Vorstellung des Weltmeers. <lb n="p1c_071.025"/> <hi rendition="#g">Stark</hi> ein Felsen, der der andrängenden Fluth entgegen <lb n="p1c_071.026"/>
tritt. <hi rendition="#g">Heftig</hi> ein Sturm, der in den Fichtenwäldern <lb n="p1c_071.027"/>
wühlt, ein Adler, der zur Sonne fliegt, ein Geyer, der
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0129] p1c_071.001 Anmerk. 1. Beym Heftigen herrscht am meisten p1c_071.002 Zufälliges, die schnelle Bewegung des Schöpfergeistes, p1c_071.003 der gegen die Materie ankämpft, beym Starken ist p1c_071.004 mehr gesammeltes Selbstbewußtseyn, man fühlt, daß man p1c_071.005 der andrängenden Materie widersteht, nicht unterliegt, man p1c_071.006 ist aber doch im Kampfe mit ihr, sie scheint uns gleich an p1c_071.007 Kraft. Es ist eine Stille um uns her, aber ein Stillstand p1c_071.008 zweyer kriegerischer Kräfte, eine dumpfe Ruhe, wie vor p1c_071.009 dem Gewitter. Beym Großen ist schon mehr Jndifferenz. p1c_071.010 Der Schöpfergeist durchdringt die unendliche p1c_071.011 Materie, vereinigt sich mit ihr, aber verliert sich auch in p1c_071.012 ihr. Nur beym Erhabenen ist Stille und Ruhe, verbunden p1c_071.013 mit Seligkeit und Hoheit. Der Schöpfergeist hat p1c_071.014 überwunden, die Materie geläutert, und zu sich hinangehoben. p1c_071.015 Sie gehorcht ihm freywillig. Er sieht und liebt in p1c_071.016 ihr sein Bild, und sein Bild blickt liebend znrück auf ihn. p1c_071.017 Die Harmonie von Geist und Natur ist erreicht. Gott, p1c_071.018 sagen die Braminen, erblickt seinen seligen Glanz in der p1c_071.019 lebenden Schöpfung, wie der ruhige Mond sich auf den p1c_071.020 sanftbewegten Wellen spiegelt. p1c_071.021 Anmerk. 2. Man wirft gewöhnlich alles unter die p1c_071.022 Benennung des Erhabenen zusammen. Allein sowohl p1c_071.023 in der Sinnenwelt, als in der poetischen zeigt sich der Unterschied. p1c_071.024 Groß ist die Vorstellung des Weltmeers. p1c_071.025 Stark ein Felsen, der der andrängenden Fluth entgegen p1c_071.026 tritt. Heftig ein Sturm, der in den Fichtenwäldern p1c_071.027 wühlt, ein Adler, der zur Sonne fliegt, ein Geyer, der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/129
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/129>, abgerufen am 30.04.2024.