Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_182.001
man bey der Hypercultur eben so viel Geschmack für das p1c_182.002
Lächerliche, als für das Niedliche. Diese Unvollkommenheiten, p1c_182.003
diese Widersprüche und Jrrthümer bey lächerlichen p1c_182.004
Gegenständen würden aber unsrer Seele peinlich p1c_182.005
werden, wenn sie nicht als geringfügig erschienen, p1c_182.006
wenn wir dadurch ernstlich aufgefordert würden, dem p1c_182.007
Fehler abzuhelfen. Eben deswegen muß der Fehler so unverbesserlich p1c_182.008
groß seyn, daß man sich mit ihm nicht im Ernste p1c_182.009
die Mühe nimmt. Es muß der Contrast in Gegenstände p1c_182.010
uns nicht wehmüthig machen, wie beym Erhabenen zuweilen p1c_182.011
geschieht. Er muß uns am Ende als unwichtig erscheinen, p1c_182.012
höchstens als verächtlich. Er muß unsre Aufmerksamkeit p1c_182.013
auf sich ziehen, eine große Erwartung, Spannung p1c_182.014
erregen, und sich dann in Nichts auflösen. So ist die p1c_182.015
Grabschrift Phaetons im Ovid beynahe lächerlich: Hic p1c_182.016
situs est Phaeton, currus auriga paterni, quem si p1c_182.017
non tenuit - magnis tamen excidit ausis. - Parturiunt p1c_182.018
montes, nascetur ridiculus mus. Horat
. Nun p1c_182.019
giebt es mehrere Unterarten des Lächerlichen. Es bezieht p1c_182.020
sich entweder auf einen Contrast in der instinktmäßigen p1c_182.021
Natur, oder auf eine Unvollkommenheit in der höhern Natur p1c_182.022
des Menschen. Das Erste nennt man das Komische, p1c_182.023
das Andre das Satyrische. Die Lust an dem Ersteren p1c_182.024
ist reiner, die Lust am Letztern eine gemischte Empfindung, p1c_182.025
denn hier liegt ein moralisches Urtheil im Hinterhalt, p1c_182.026
das mit Mißbehagen verbunden ist. Doch ist dieß Mißbehagen p1c_182.027
nicht überwiegend. Denn wir erblicken, wie Platner p1c_182.028
bemerkt, eine Schwäche an den moralischen Fehlern

p1c_182.001
man bey der Hypercultur eben so viel Geschmack für das p1c_182.002
Lächerliche, als für das Niedliche. Diese Unvollkommenheiten, p1c_182.003
diese Widersprüche und Jrrthümer bey lächerlichen p1c_182.004
Gegenständen würden aber unsrer Seele peinlich p1c_182.005
werden, wenn sie nicht als geringfügig erschienen, p1c_182.006
wenn wir dadurch ernstlich aufgefordert würden, dem p1c_182.007
Fehler abzuhelfen. Eben deswegen muß der Fehler so unverbesserlich p1c_182.008
groß seyn, daß man sich mit ihm nicht im Ernste p1c_182.009
die Mühe nimmt. Es muß der Contrast in Gegenstände p1c_182.010
uns nicht wehmüthig machen, wie beym Erhabenen zuweilen p1c_182.011
geschieht. Er muß uns am Ende als unwichtig erscheinen, p1c_182.012
höchstens als verächtlich. Er muß unsre Aufmerksamkeit p1c_182.013
auf sich ziehen, eine große Erwartung, Spannung p1c_182.014
erregen, und sich dann in Nichts auflösen. So ist die p1c_182.015
Grabschrift Phaetons im Ovid beynahe lächerlich: Hic p1c_182.016
situs est Phaeton, currus auriga paterni, quem si p1c_182.017
non tenuit ─ magnis tamen excidit ausis. ─ Parturiunt p1c_182.018
montes, nascetur ridiculus mus. Horat
. Nun p1c_182.019
giebt es mehrere Unterarten des Lächerlichen. Es bezieht p1c_182.020
sich entweder auf einen Contrast in der instinktmäßigen p1c_182.021
Natur, oder auf eine Unvollkommenheit in der höhern Natur p1c_182.022
des Menschen. Das Erste nennt man das Komische, p1c_182.023
das Andre das Satyrische. Die Lust an dem Ersteren p1c_182.024
ist reiner, die Lust am Letztern eine gemischte Empfindung, p1c_182.025
denn hier liegt ein moralisches Urtheil im Hinterhalt, p1c_182.026
das mit Mißbehagen verbunden ist. Doch ist dieß Mißbehagen p1c_182.027
nicht überwiegend. Denn wir erblicken, wie Platner p1c_182.028
bemerkt, eine Schwäche an den moralischen Fehlern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0240" n="182"/><lb n="p1c_182.001"/>
man bey der Hypercultur eben so viel Geschmack für das <lb n="p1c_182.002"/> <hi rendition="#g">Lächerliche,</hi> als für das <hi rendition="#g">Niedliche.</hi> Diese Unvollkommenheiten, <lb n="p1c_182.003"/>
diese Widersprüche und Jrrthümer bey lächerlichen <lb n="p1c_182.004"/>
Gegenständen würden aber unsrer Seele peinlich <lb n="p1c_182.005"/>
werden, wenn sie nicht als <hi rendition="#g">geringfügig</hi> erschienen, <lb n="p1c_182.006"/>
wenn wir dadurch <hi rendition="#g">ernstlich</hi> aufgefordert würden, dem <lb n="p1c_182.007"/>
Fehler abzuhelfen. Eben deswegen muß der Fehler so unverbesserlich <lb n="p1c_182.008"/>
groß seyn, daß man sich mit ihm nicht im Ernste <lb n="p1c_182.009"/>
die Mühe nimmt. Es muß der Contrast in Gegenstände <lb n="p1c_182.010"/>
uns nicht wehmüthig machen, wie beym Erhabenen zuweilen <lb n="p1c_182.011"/>
geschieht. Er muß uns am Ende als unwichtig erscheinen, <lb n="p1c_182.012"/>
höchstens als verächtlich. Er muß unsre Aufmerksamkeit <lb n="p1c_182.013"/>
auf sich ziehen, eine große Erwartung, Spannung <lb n="p1c_182.014"/>
erregen, und sich dann in <hi rendition="#g">Nichts</hi> auflösen. So ist die <lb n="p1c_182.015"/>
Grabschrift Phaetons im <hi rendition="#g">Ovid</hi> beynahe lächerlich: <hi rendition="#aq">Hic <lb n="p1c_182.016"/>
situs est Phaeton, currus auriga paterni, quem si <lb n="p1c_182.017"/>
non tenuit &#x2500; magnis tamen excidit ausis. &#x2500; Parturiunt <lb n="p1c_182.018"/>
montes, nascetur ridiculus mus. <hi rendition="#g">Horat</hi></hi>. Nun <lb n="p1c_182.019"/>
giebt es mehrere Unterarten des <hi rendition="#g">Lächerlichen.</hi> Es bezieht <lb n="p1c_182.020"/>
sich entweder auf einen Contrast in der instinktmäßigen <lb n="p1c_182.021"/>
Natur, oder auf eine Unvollkommenheit in der höhern Natur <lb n="p1c_182.022"/>
des Menschen. Das Erste nennt man das <hi rendition="#g">Komische,</hi> <lb n="p1c_182.023"/>
das Andre das <hi rendition="#g">Satyrische.</hi> Die Lust an dem <hi rendition="#g">Ersteren</hi> <lb n="p1c_182.024"/>
ist reiner, die Lust am <hi rendition="#g">Letztern</hi> eine gemischte Empfindung, <lb n="p1c_182.025"/>
denn hier liegt ein moralisches Urtheil im Hinterhalt, <lb n="p1c_182.026"/>
das mit Mißbehagen verbunden ist. Doch ist dieß Mißbehagen <lb n="p1c_182.027"/>
nicht überwiegend. Denn wir erblicken, wie <hi rendition="#g">Platner</hi> <lb n="p1c_182.028"/>
bemerkt, eine Schwäche an den moralischen Fehlern
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0240] p1c_182.001 man bey der Hypercultur eben so viel Geschmack für das p1c_182.002 Lächerliche, als für das Niedliche. Diese Unvollkommenheiten, p1c_182.003 diese Widersprüche und Jrrthümer bey lächerlichen p1c_182.004 Gegenständen würden aber unsrer Seele peinlich p1c_182.005 werden, wenn sie nicht als geringfügig erschienen, p1c_182.006 wenn wir dadurch ernstlich aufgefordert würden, dem p1c_182.007 Fehler abzuhelfen. Eben deswegen muß der Fehler so unverbesserlich p1c_182.008 groß seyn, daß man sich mit ihm nicht im Ernste p1c_182.009 die Mühe nimmt. Es muß der Contrast in Gegenstände p1c_182.010 uns nicht wehmüthig machen, wie beym Erhabenen zuweilen p1c_182.011 geschieht. Er muß uns am Ende als unwichtig erscheinen, p1c_182.012 höchstens als verächtlich. Er muß unsre Aufmerksamkeit p1c_182.013 auf sich ziehen, eine große Erwartung, Spannung p1c_182.014 erregen, und sich dann in Nichts auflösen. So ist die p1c_182.015 Grabschrift Phaetons im Ovid beynahe lächerlich: Hic p1c_182.016 situs est Phaeton, currus auriga paterni, quem si p1c_182.017 non tenuit ─ magnis tamen excidit ausis. ─ Parturiunt p1c_182.018 montes, nascetur ridiculus mus. Horat. Nun p1c_182.019 giebt es mehrere Unterarten des Lächerlichen. Es bezieht p1c_182.020 sich entweder auf einen Contrast in der instinktmäßigen p1c_182.021 Natur, oder auf eine Unvollkommenheit in der höhern Natur p1c_182.022 des Menschen. Das Erste nennt man das Komische, p1c_182.023 das Andre das Satyrische. Die Lust an dem Ersteren p1c_182.024 ist reiner, die Lust am Letztern eine gemischte Empfindung, p1c_182.025 denn hier liegt ein moralisches Urtheil im Hinterhalt, p1c_182.026 das mit Mißbehagen verbunden ist. Doch ist dieß Mißbehagen p1c_182.027 nicht überwiegend. Denn wir erblicken, wie Platner p1c_182.028 bemerkt, eine Schwäche an den moralischen Fehlern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/240
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/240>, abgerufen am 01.05.2024.