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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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Sehr oft erscheint im Shakespear, der das menschliche Leben p1c_186.002
am natürlichsten schildert, das Lächerliche im Kontrast mit p1c_186.003
dem Erhabenen nicht ohne tragische Wirkung. Wenn die p1c_186.004
Amme, nachdem Juliens Scheintod bekannt wird, zu den p1c_186.005
hochzeitlichen Spiellenten sagt: Lieben Leute, steckt eure p1c_186.006
Pfeifen ein! wenn Fallstaff bey Hotspurs Fall als Possenreißer p1c_186.007
auftritt, so sehen wir ganz das Leben, wie es ist, und dieses p1c_186.008
Ausruhen von der angestrengten Empfindung, diese Gleichgültigkeit p1c_186.009
des Schicksals in Zusammenstellung des Unglücks p1c_186.010
und des Scherzes vermehrt das Pathos, wenn das Tragische p1c_186.011
zurückkehrt. Zum Satyrischen kann man auch das Parodiren p1c_186.012
und Travestiren eines Gedankens rechnen. Zuweilen, p1c_186.013
wiewohl selten, ist die Parodie bloß Scherz, wo p1c_186.014
etwas Ernstem symmetrisch etwas Lustiges beygesellt p1c_186.015
wird, wie Klopstock seinen Heinrich den Vogler selbst als ein p1c_186.016
Trinklied parodirte. Gewöhnlich ist aber die Parodie p1c_186.017
und das Travestiren die allerkürzeste und beste Kritik, p1c_186.018
womit man Fehler züchtigt, die man ernsthaft anzugreifen p1c_186.019
entweder noch zu träg oder zu stolz ist. Denn das Lächerliche p1c_186.020
ist der beste Prüfstein des Wahren. Mancher Jrrthum p1c_186.021
ist noch nicht demonstrirt, aber gewiß, weil er lächerlich p1c_186.022
geworden ist. Schiller, sagt irgendwo, ganz vortrefflich: p1c_186.023
Jch kann mich mit keinem Glauben aussöhnen, den p1c_186.024
ich einmal belachte. Das Gute und Wahre läßt sich p1c_186.025
auch nicht gut travestiren. Homer wird nie Veranlassung p1c_186.026
zu einer so guten Parodie geben, wie, durch Virgils eignes p1c_186.027
Verschulden, zum Theil Blumaners und anderer travestirte p1c_186.028
Aeneiden sind. Der Ausdruck Parodie bedeutet die

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Sehr oft erscheint im Shakespear, der das menschliche Leben p1c_186.002
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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/244>, abgerufen am 01.05.2024.