Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_247.001
uns die große Wirksamkeit der Kunst begreiflich, an die uns p1c_247.002
Fabel und Geschichte erinnern. Das Werden der Sprache p1c_247.003
selbst, eh der Verstand in der Grammatik sie als vorhanden p1c_247.004
ansah und über sie reflektirte, ist eigentlich eine fortdauernde p1c_247.005
Poesie, und poetische Sprache umgekehrt, ist p1c_247.006
auch noch jetzt nur darum poetisch, weil sie uns das p1c_247.007
Schaffen und Werden der Sprache darstellt. Um p1c_247.008
dies Werden darzustellen, müssen die Töne nicht blos p1c_247.009
als artikulirt getrennt, sondern noch als Continua, p1c_247.010
die sich rythmisch entwickeln, erscheinen. Die Poesie p1c_247.011
muß die Töne vom Zwange des Verstandes wieder befreyen, p1c_247.012
sie in Gesang auflösen, und sie nähert sich in so fern wieder p1c_247.013
der Musik. Auf ein ungebildetes Publikum macht p1c_247.014
oft die musikalische Cadenz mehr Eindruck als die Begriffe.

p1c_247.015
p1c_247.016
§. 3.

p1c_247.017
Die Sprache, in wie fern sie das Schöne p1c_247.018
darstellt, oder der poetische Styl, kann erst nach p1c_247.019
ihren allgemeinen von der Prosa sie unterscheidenden p1c_247.020
Eigenschaften betrachtet werden, ohne noch auf p1c_247.021
die Untergattungen des Schönen Rücksicht zu p1c_247.022
nehmen, durch welche der poetische Styl Modificationen p1c_247.023
erleidet. Diese Eigenschaften des poetischen p1c_247.024
Styls,
in wiefern sie sich auf das logische p1c_247.025
Wesen
der Sprache beziehen, sind nothwendig p1c_247.026
durch die Eigenschaften des Schönen selbst,

p1c_247.001
uns die große Wirksamkeit der Kunst begreiflich, an die uns p1c_247.002
Fabel und Geschichte erinnern. Das Werden der Sprache p1c_247.003
selbst, eh der Verstand in der Grammatik sie als vorhanden p1c_247.004
ansah und über sie reflektirte, ist eigentlich eine fortdauernde p1c_247.005
Poesie, und poetische Sprache umgekehrt, ist p1c_247.006
auch noch jetzt nur darum poetisch, weil sie uns das p1c_247.007
Schaffen und Werden der Sprache darstellt. Um p1c_247.008
dies Werden darzustellen, müssen die Töne nicht blos p1c_247.009
als artikulirt getrennt, sondern noch als Continua, p1c_247.010
die sich rythmisch entwickeln, erscheinen. Die Poesie p1c_247.011
muß die Töne vom Zwange des Verstandes wieder befreyen, p1c_247.012
sie in Gesang auflösen, und sie nähert sich in so fern wieder p1c_247.013
der Musik. Auf ein ungebildetes Publikum macht p1c_247.014
oft die musikalische Cadenz mehr Eindruck als die Begriffe.

p1c_247.015
p1c_247.016
§. 3.

p1c_247.017
Die Sprache, in wie fern sie das Schöne p1c_247.018
darstellt, oder der poetische Styl, kann erst nach p1c_247.019
ihren allgemeinen von der Prosa sie unterscheidenden p1c_247.020
Eigenschaften betrachtet werden, ohne noch auf p1c_247.021
die Untergattungen des Schönen Rücksicht zu p1c_247.022
nehmen, durch welche der poetische Styl Modificationen p1c_247.023
erleidet. Diese Eigenschaften des poetischen p1c_247.024
Styls,
in wiefern sie sich auf das logische p1c_247.025
Wesen
der Sprache beziehen, sind nothwendig p1c_247.026
durch die Eigenschaften des Schönen selbst,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0305" n="247"/><lb n="p1c_247.001"/>
uns die große Wirksamkeit der Kunst begreiflich, an die uns <lb n="p1c_247.002"/>
Fabel und Geschichte erinnern. Das <hi rendition="#g">Werden</hi> der Sprache <lb n="p1c_247.003"/>
selbst, eh der <hi rendition="#g">Verstand</hi> in der <hi rendition="#g">Grammatik</hi> sie als vorhanden <lb n="p1c_247.004"/>
ansah und über sie reflektirte, ist eigentlich eine fortdauernde <lb n="p1c_247.005"/> <hi rendition="#g">Poesie,</hi> und <hi rendition="#g">poetische</hi> Sprache umgekehrt, ist <lb n="p1c_247.006"/>
auch noch jetzt nur darum <hi rendition="#g">poetisch,</hi> weil sie uns das <lb n="p1c_247.007"/> <hi rendition="#g">Schaffen</hi> und <hi rendition="#g">Werden</hi> der Sprache darstellt. Um <lb n="p1c_247.008"/>
dies <hi rendition="#g">Werden</hi> darzustellen, müssen die <hi rendition="#g">Töne</hi> nicht blos <lb n="p1c_247.009"/>
als <hi rendition="#g">artikulirt</hi> getrennt, sondern noch als <hi rendition="#g">Continua,</hi> <lb n="p1c_247.010"/>
die sich <hi rendition="#g">rythmisch</hi> entwickeln, erscheinen. Die <hi rendition="#g">Poesie</hi> <lb n="p1c_247.011"/>
muß die Töne vom Zwange des Verstandes wieder befreyen, <lb n="p1c_247.012"/>
sie in <hi rendition="#g">Gesang</hi> auflösen, und sie nähert sich in so fern wieder <lb n="p1c_247.013"/>
der Musik. Auf ein <hi rendition="#g">ungebildetes</hi> Publikum macht <lb n="p1c_247.014"/>
oft die <hi rendition="#g">musikalische</hi> Cadenz mehr Eindruck als die Begriffe.</p>
          <lb n="p1c_247.015"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#c"><lb n="p1c_247.016"/>
§. 3. </hi> </head>
          <p><lb n="p1c_247.017"/>
Die <hi rendition="#g">Sprache,</hi> in wie fern sie das <hi rendition="#g">Schöne</hi> <lb n="p1c_247.018"/>
darstellt, oder der <hi rendition="#g">poetische Styl,</hi> kann erst nach <lb n="p1c_247.019"/>
ihren allgemeinen von der <hi rendition="#g">Prosa</hi> sie unterscheidenden <lb n="p1c_247.020"/> <hi rendition="#g">Eigenschaften</hi> betrachtet werden, ohne noch auf <lb n="p1c_247.021"/>
die <hi rendition="#g">Untergattungen</hi> des <hi rendition="#g">Schönen</hi> Rücksicht zu <lb n="p1c_247.022"/>
nehmen, durch welche der <hi rendition="#g">poetische Styl</hi> Modificationen <lb n="p1c_247.023"/>
erleidet. Diese <hi rendition="#g">Eigenschaften</hi> des <hi rendition="#g">poetischen <lb n="p1c_247.024"/>
Styls,</hi> in wiefern sie sich auf das <hi rendition="#g">logische <lb n="p1c_247.025"/>
Wesen</hi> der <hi rendition="#g">Sprache</hi> beziehen, sind nothwendig <lb n="p1c_247.026"/>
durch die <hi rendition="#g">Eigenschaften</hi> des <hi rendition="#g">Schönen</hi> selbst,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0305] p1c_247.001 uns die große Wirksamkeit der Kunst begreiflich, an die uns p1c_247.002 Fabel und Geschichte erinnern. Das Werden der Sprache p1c_247.003 selbst, eh der Verstand in der Grammatik sie als vorhanden p1c_247.004 ansah und über sie reflektirte, ist eigentlich eine fortdauernde p1c_247.005 Poesie, und poetische Sprache umgekehrt, ist p1c_247.006 auch noch jetzt nur darum poetisch, weil sie uns das p1c_247.007 Schaffen und Werden der Sprache darstellt. Um p1c_247.008 dies Werden darzustellen, müssen die Töne nicht blos p1c_247.009 als artikulirt getrennt, sondern noch als Continua, p1c_247.010 die sich rythmisch entwickeln, erscheinen. Die Poesie p1c_247.011 muß die Töne vom Zwange des Verstandes wieder befreyen, p1c_247.012 sie in Gesang auflösen, und sie nähert sich in so fern wieder p1c_247.013 der Musik. Auf ein ungebildetes Publikum macht p1c_247.014 oft die musikalische Cadenz mehr Eindruck als die Begriffe. p1c_247.015 p1c_247.016 §. 3. p1c_247.017 Die Sprache, in wie fern sie das Schöne p1c_247.018 darstellt, oder der poetische Styl, kann erst nach p1c_247.019 ihren allgemeinen von der Prosa sie unterscheidenden p1c_247.020 Eigenschaften betrachtet werden, ohne noch auf p1c_247.021 die Untergattungen des Schönen Rücksicht zu p1c_247.022 nehmen, durch welche der poetische Styl Modificationen p1c_247.023 erleidet. Diese Eigenschaften des poetischen p1c_247.024 Styls, in wiefern sie sich auf das logische p1c_247.025 Wesen der Sprache beziehen, sind nothwendig p1c_247.026 durch die Eigenschaften des Schönen selbst,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/305
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/305>, abgerufen am 08.05.2024.