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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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besteht größtentheils aus Namen. Jenen Zeiten war es interessant, p1c_279.002
die nomina propria der Halbgötter u. s. w. alle p1c_279.003
zu kennen. Homer häuft auch Namen, z. E. in seinem p1c_279.004
Catalogo navium. Allein er giebt auch durch Beiwörter p1c_279.005
schon mehr zu denken. Zuweilen, wenn ein Held in der p1c_279.006
Schlacht viele Feinde erlegt, läßt der Dichter die Namen p1c_279.007
ohne Epitheten schnell auf einander folgen. Dies thut Wirkung, p1c_279.008
weil damit die Menge der Getödteten lebhaft ausgedrückt p1c_279.009
wird. Nicht selten sind die Namen selbst schon ausdrucksvoll p1c_279.010
und reich an Bildern; dann kann man sie auch p1c_279.011
ohne Epitheten mit Jnteresse anhören. Dies ist der Fall p1c_279.012
z. B. bey den Namen der Meernymfen, durch welche man p1c_279.013
an mahlerische Situationen der Seegegenden erinnert wird. p1c_279.014
Oft sind die Epitheta sehr tropisch und gewählt sub luce p1c_279.015
maligna - viridis senectus
. (Der Greis mit dem p1c_279.016
Blüthenhaar. Klopstock.) Dadurch werden sie auch oft p1c_279.017
geziert: mens congesta iubet - Claudian. Zuweilen p1c_279.018
sind sie scheinbar pleonastisch und doch poetisch: Komm, p1c_279.019
Landesvater, komm, zeuch ein bey dunkler Nacht. Pietsch. p1c_279.020
Gelidos inficiet tibi rubro sanguine rivos. (Horat. p1c_279.021
L. III. Od
. 13.) Jndessen giebt es doch auch schwarzes p1c_279.022
Blut und das Bild ist hier nicht unangenehm. Die Beywörter, p1c_279.023
welche mit aller Kürze die reichhaltigsten und lebhaftesten p1c_279.024
sind, werden auch immer die schönsten seyn; z. B. p1c_279.025
in eben der Ode das pecus vagum. - (giovani vaghi. p1c_279.026
Ariost
.) - Widersprechende Epitheta können blos im p1c_279.027
Komischen Wirkung thun. - Daß man, wenn Achill p1c_279.028
weint, an seine Schnellfüßigkeit gerade itzt erinnert wird,

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besteht größtentheils aus Namen. Jenen Zeiten war es interessant, p1c_279.002
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ohne Epitheten mit Jnteresse anhören. Dies ist der Fall p1c_279.012
z. B. bey den Namen der Meernymfen, durch welche man p1c_279.013
an mahlerische Situationen der Seegegenden erinnert wird. p1c_279.014
Oft sind die Epitheta sehr tropisch und gewählt sub luce p1c_279.015
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geziert: mens congesta iubet ─ Claudian. Zuweilen p1c_279.018
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Landesvater, komm, zeuch ein bey dunkler Nacht. Pietsch. p1c_279.020
Gelidos inficiet tibi rubro sanguine rivos. (Horat. p1c_279.021
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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/337>, abgerufen am 08.05.2024.