Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_464.001
ist, und daß sie wirken, daß das Band ihrer Liebe die Gemüther p1c_464.002
zusammenhalten kann. Sie ist die ewige Schönheit p1c_464.003
selbst, der Abglanz Gottes. Der ganze Weltlauf p1c_464.004
ist durch sie eine höhere Poesie geworden, die die Seelen p1c_464.005
mit himmlischer Ruhe füllt. Ohne sie sinkt die Welt, als p1c_464.006
ein beschränktes endliches Verstandesobjekt, in den Staub. - p1c_464.007
Doch ohne jetzt weiter aus einander zu setzen, was erst späterhin p1c_464.008
einleuchtend werden wird, daß die von der rationalen p1c_464.009
Psychologie postulirte religiöse Weltgeschichte, allen ihren p1c_464.010
Erfordernissen nach, mit der christlichen Ansicht der p1c_464.011
Dinge übereinstimme; wollen wir hier nur diese religiöse p1c_464.012
Weltgeschichte überhaupt als ein Requisitum des religiösen p1c_464.013
Glaubens
aufstellen, welches a priori unabhängig p1c_464.014
von aller Erfahrung geschehen kann. Daß keine menschliche p1c_464.015
historische Kritik diejenigen stöhren könne, welche das p1c_464.016
Bedürfniß nach dieser religiösen Ansicht empfinden, ist p1c_464.017
aus der Jdee der Weltgeschichte an sich klar. Die p1c_464.018
Welt ist eine Vernunftidee, die von dem Verstand nicht p1c_464.019
begriffen noch erklärt werden kann. Jhre Geschichte bezieht p1c_464.020
sich auf eine Einheit, die über die Gesetze der Sinnenwelt p1c_464.021
hinaus geht. Die Weltgeschichte ist also für den Verstand p1c_464.022
Wunder, wie alles, was er nicht zu begreifen noch zu p1c_464.023
erklären vermag. Der Verstand kann das Unbegreifliche p1c_464.024
unwahrscheinlich
finden. Er kann aber, um p1c_464.025
das Unbegreifliche zu erklären, keine größere Wahrscheinlichkeit p1c_464.026
an die Stelle setzen. Die Weltgeschichte muß also p1c_464.027
der physischen sinnlichen Ansicht entrückt werden, sich an p1c_464.028
die höhere ideale Wahrheit anschließen. Sie kann sich,

p1c_464.001
ist, und daß sie wirken, daß das Band ihrer Liebe die Gemüther p1c_464.002
zusammenhalten kann. Sie ist die ewige Schönheit p1c_464.003
selbst, der Abglanz Gottes. Der ganze Weltlauf p1c_464.004
ist durch sie eine höhere Poesie geworden, die die Seelen p1c_464.005
mit himmlischer Ruhe füllt. Ohne sie sinkt die Welt, als p1c_464.006
ein beschränktes endliches Verstandesobjekt, in den Staub. ─ p1c_464.007
Doch ohne jetzt weiter aus einander zu setzen, was erst späterhin p1c_464.008
einleuchtend werden wird, daß die von der rationalen p1c_464.009
Psychologie postulirte religiöse Weltgeschichte, allen ihren p1c_464.010
Erfordernissen nach, mit der christlichen Ansicht der p1c_464.011
Dinge übereinstimme; wollen wir hier nur diese religiöse p1c_464.012
Weltgeschichte überhaupt als ein Requisitum des religiösen p1c_464.013
Glaubens
aufstellen, welches a priori unabhängig p1c_464.014
von aller Erfahrung geschehen kann. Daß keine menschliche p1c_464.015
historische Kritik diejenigen stöhren könne, welche das p1c_464.016
Bedürfniß nach dieser religiösen Ansicht empfinden, ist p1c_464.017
aus der Jdee der Weltgeschichte an sich klar. Die p1c_464.018
Welt ist eine Vernunftidee, die von dem Verstand nicht p1c_464.019
begriffen noch erklärt werden kann. Jhre Geschichte bezieht p1c_464.020
sich auf eine Einheit, die über die Gesetze der Sinnenwelt p1c_464.021
hinaus geht. Die Weltgeschichte ist also für den Verstand p1c_464.022
Wunder, wie alles, was er nicht zu begreifen noch zu p1c_464.023
erklären vermag. Der Verstand kann das Unbegreifliche p1c_464.024
unwahrscheinlich
finden. Er kann aber, um p1c_464.025
das Unbegreifliche zu erklären, keine größere Wahrscheinlichkeit p1c_464.026
an die Stelle setzen. Die Weltgeschichte muß also p1c_464.027
der physischen sinnlichen Ansicht entrückt werden, sich an p1c_464.028
die höhere ideale Wahrheit anschließen. Sie kann sich,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0522" n="464"/><lb n="p1c_464.001"/>
ist, und daß sie wirken, daß das Band ihrer Liebe die Gemüther <lb n="p1c_464.002"/>
zusammenhalten kann. Sie ist die ewige <hi rendition="#g">Schönheit</hi> <lb n="p1c_464.003"/>
selbst, der Abglanz Gottes. Der ganze Weltlauf <lb n="p1c_464.004"/>
ist durch sie eine <hi rendition="#g">höhere</hi> Poesie geworden, die die Seelen <lb n="p1c_464.005"/>
mit himmlischer Ruhe füllt. Ohne sie sinkt die Welt, als <lb n="p1c_464.006"/>
ein beschränktes endliches Verstandesobjekt, in den Staub. &#x2500; <lb n="p1c_464.007"/>
Doch ohne jetzt weiter aus einander zu setzen, was erst späterhin <lb n="p1c_464.008"/>
einleuchtend werden wird, daß die von der rationalen <lb n="p1c_464.009"/>
Psychologie postulirte <hi rendition="#g">religiöse</hi> Weltgeschichte, allen ihren <lb n="p1c_464.010"/>
Erfordernissen nach, mit der <hi rendition="#g">christlichen</hi> Ansicht der <lb n="p1c_464.011"/>
Dinge übereinstimme; wollen wir hier nur diese <hi rendition="#g">religiöse</hi> <lb n="p1c_464.012"/>
Weltgeschichte überhaupt als ein Requisitum des <hi rendition="#g">religiösen <lb n="p1c_464.013"/>
Glaubens</hi> aufstellen, welches <hi rendition="#aq">a priori</hi> unabhängig <lb n="p1c_464.014"/>
von aller Erfahrung geschehen kann. Daß keine menschliche <lb n="p1c_464.015"/> <hi rendition="#g">historische</hi> Kritik diejenigen stöhren könne, welche das <lb n="p1c_464.016"/>
Bedürfniß nach dieser <hi rendition="#g">religiösen</hi> Ansicht empfinden, ist <lb n="p1c_464.017"/>
aus der <hi rendition="#g">Jdee</hi> der <hi rendition="#g">Weltgeschichte</hi> an sich klar. Die <lb n="p1c_464.018"/> <hi rendition="#g">Welt</hi> ist eine Vernunftidee, die von dem Verstand nicht <lb n="p1c_464.019"/>
begriffen noch erklärt werden kann. Jhre Geschichte bezieht <lb n="p1c_464.020"/>
sich auf eine Einheit, die über die Gesetze der Sinnenwelt <lb n="p1c_464.021"/>
hinaus geht. Die Weltgeschichte ist also für den Verstand <lb n="p1c_464.022"/> <hi rendition="#g">Wunder,</hi> wie alles, was er nicht zu begreifen noch zu <lb n="p1c_464.023"/>
erklären vermag. Der Verstand kann das <hi rendition="#g">Unbegreifliche <lb n="p1c_464.024"/>
unwahrscheinlich</hi> finden. Er kann aber, um <lb n="p1c_464.025"/>
das Unbegreifliche zu erklären, keine größere Wahrscheinlichkeit <lb n="p1c_464.026"/>
an die Stelle setzen. Die Weltgeschichte muß also <lb n="p1c_464.027"/>
der <hi rendition="#g">physischen</hi> sinnlichen Ansicht entrückt werden, sich an <lb n="p1c_464.028"/>
die <hi rendition="#g">höhere ideale</hi> Wahrheit anschließen. Sie kann sich,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[464/0522] p1c_464.001 ist, und daß sie wirken, daß das Band ihrer Liebe die Gemüther p1c_464.002 zusammenhalten kann. Sie ist die ewige Schönheit p1c_464.003 selbst, der Abglanz Gottes. Der ganze Weltlauf p1c_464.004 ist durch sie eine höhere Poesie geworden, die die Seelen p1c_464.005 mit himmlischer Ruhe füllt. Ohne sie sinkt die Welt, als p1c_464.006 ein beschränktes endliches Verstandesobjekt, in den Staub. ─ p1c_464.007 Doch ohne jetzt weiter aus einander zu setzen, was erst späterhin p1c_464.008 einleuchtend werden wird, daß die von der rationalen p1c_464.009 Psychologie postulirte religiöse Weltgeschichte, allen ihren p1c_464.010 Erfordernissen nach, mit der christlichen Ansicht der p1c_464.011 Dinge übereinstimme; wollen wir hier nur diese religiöse p1c_464.012 Weltgeschichte überhaupt als ein Requisitum des religiösen p1c_464.013 Glaubens aufstellen, welches a priori unabhängig p1c_464.014 von aller Erfahrung geschehen kann. Daß keine menschliche p1c_464.015 historische Kritik diejenigen stöhren könne, welche das p1c_464.016 Bedürfniß nach dieser religiösen Ansicht empfinden, ist p1c_464.017 aus der Jdee der Weltgeschichte an sich klar. Die p1c_464.018 Welt ist eine Vernunftidee, die von dem Verstand nicht p1c_464.019 begriffen noch erklärt werden kann. Jhre Geschichte bezieht p1c_464.020 sich auf eine Einheit, die über die Gesetze der Sinnenwelt p1c_464.021 hinaus geht. Die Weltgeschichte ist also für den Verstand p1c_464.022 Wunder, wie alles, was er nicht zu begreifen noch zu p1c_464.023 erklären vermag. Der Verstand kann das Unbegreifliche p1c_464.024 unwahrscheinlich finden. Er kann aber, um p1c_464.025 das Unbegreifliche zu erklären, keine größere Wahrscheinlichkeit p1c_464.026 an die Stelle setzen. Die Weltgeschichte muß also p1c_464.027 der physischen sinnlichen Ansicht entrückt werden, sich an p1c_464.028 die höhere ideale Wahrheit anschließen. Sie kann sich,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/522
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/522>, abgerufen am 27.04.2024.