Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite

Adam verspürte wirklich Appetit auf eine gute
Cigarette. Er bemächtigte sich der Schachtel, die
er leicht fand, und ging zum Sophatisch zurück. In
demselben Augenblick, wo er den braungelben, kraus-
geflockten Tabak über der Lampe anzündete, trat
Lydia wieder ins Zimmer.

"Mit Ihrer Erlaubniß, gnädige Frau, habe ich
also soeben ... soeben Feuer gefangen ..."

"Bravo, Herr Doctor!" Lydia lächelte, aber
etwas gezwungen. Unmuth und Aerger lagen auf
ihrem Gesicht.

"Wie glücklich sind doch diese Menschen!" ließ
Frau Lange jetzt verlauten -- "Sitzen die beiden,
August und Emma, seelenvergnügt in der Küche
zusammen und schwatzen sich tausend Dummheiten
vor ... Alles Andere wird ganz gemüthlich ver-
gessen -- die Leutchen scheinen rechtschaffen verliebt
ineinander zu sein ... Geschmacklos -- finden Sie
nicht auch, Herr Doctor? Diese dumme Plebejer-
liebe! .."

"Geschmacklos -- warum, gnädige Frau? Warum
nennen Sie das Natürliche ,geschmacklos'? Und Sie
finden doch auch, daß die Menschen glücklich sind!
Ja! Ich glaube es beinahe auch: glücklicher sind
sie, als Unsereiner ... Sie dürfen so viel un-
genirter, so viel zwangloser, unmittelbarer, derber,
ehrlicher sein! Allerdings ... für uns ist unter
Umständen ja gerade das Unnatürliche .. glücklicher-
weise das Natürliche ... das Pikante, das Rei-
zende, Anreizende, Schaffende. Ich wenigstens liebe

Conradi, Adam Mensch. 10

Adam verſpürte wirklich Appetit auf eine gute
Cigarette. Er bemächtigte ſich der Schachtel, die
er leicht fand, und ging zum Sophatiſch zurück. In
demſelben Augenblick, wo er den braungelben, kraus-
geflockten Tabak über der Lampe anzündete, trat
Lydia wieder ins Zimmer.

„Mit Ihrer Erlaubniß, gnädige Frau, habe ich
alſo ſoeben ... ſoeben Feuer gefangen ...“

„Bravo, Herr Doctor!“ Lydia lächelte, aber
etwas gezwungen. Unmuth und Aerger lagen auf
ihrem Geſicht.

„Wie glücklich ſind doch dieſe Menſchen!“ ließ
Frau Lange jetzt verlauten — „Sitzen die beiden,
Auguſt und Emma, ſeelenvergnügt in der Küche
zuſammen und ſchwatzen ſich tauſend Dummheiten
vor ... Alles Andere wird ganz gemüthlich ver-
geſſen — die Leutchen ſcheinen rechtſchaffen verliebt
ineinander zu ſein ... Geſchmacklos — finden Sie
nicht auch, Herr Doctor? Dieſe dumme Plebejer-
liebe! ..“

„Geſchmacklos — warum, gnädige Frau? Warum
nennen Sie das Natürliche ‚geſchmacklos‘? Und Sie
finden doch auch, daß die Menſchen glücklich ſind!
Ja! Ich glaube es beinahe auch: glücklicher ſind
ſie, als Unſereiner ... Sie dürfen ſo viel un-
genirter, ſo viel zwangloſer, unmittelbarer, derber,
ehrlicher ſein! Allerdings ... für uns iſt unter
Umſtänden ja gerade das Unnatürliche .. glücklicher-
weiſe das Natürliche ... das Pikante, das Rei-
zende, Anreizende, Schaffende. Ich wenigſtens liebe

Conradi, Adam Menſch. 10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0153" n="145"/>
        <p>Adam ver&#x017F;pürte wirklich Appetit auf eine gute<lb/>
Cigarette. Er bemächtigte &#x017F;ich der Schachtel, die<lb/>
er leicht fand, und ging zum Sophati&#x017F;ch zurück. In<lb/>
dem&#x017F;elben Augenblick, wo er den braungelben, kraus-<lb/>
geflockten Tabak über der Lampe anzündete, trat<lb/>
Lydia wieder ins Zimmer.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mit Ihrer Erlaubniß, gnädige Frau, habe ich<lb/>
al&#x017F;o &#x017F;oeben ... &#x017F;oeben Feuer gefangen ...&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Bravo, Herr Doctor!&#x201C; Lydia lächelte, aber<lb/>
etwas gezwungen. Unmuth und Aerger lagen auf<lb/>
ihrem Ge&#x017F;icht.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie glücklich &#x017F;ind doch die&#x017F;e Men&#x017F;chen!&#x201C; ließ<lb/>
Frau Lange jetzt verlauten &#x2014; &#x201E;Sitzen die beiden,<lb/>
Augu&#x017F;t und Emma, &#x017F;eelenvergnügt in der Küche<lb/>
zu&#x017F;ammen und &#x017F;chwatzen &#x017F;ich tau&#x017F;end Dummheiten<lb/>
vor ... Alles Andere wird ganz gemüthlich ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en &#x2014; die Leutchen &#x017F;cheinen recht&#x017F;chaffen verliebt<lb/>
ineinander zu &#x017F;ein ... Ge&#x017F;chmacklos &#x2014; finden Sie<lb/>
nicht auch, Herr Doctor? Die&#x017F;e dumme Plebejer-<lb/>
liebe! ..&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ge&#x017F;chmacklos &#x2014; warum, gnädige Frau? Warum<lb/>
nennen Sie das Natürliche &#x201A;ge&#x017F;chmacklos&#x2018;? Und Sie<lb/>
finden doch auch, daß die Men&#x017F;chen glücklich &#x017F;ind!<lb/>
Ja! Ich glaube es beinahe auch: glücklicher &#x017F;ind<lb/>
&#x017F;ie, als Un&#x017F;ereiner ... Sie dürfen &#x017F;o viel un-<lb/>
genirter, &#x017F;o viel zwanglo&#x017F;er, unmittelbarer, derber,<lb/>
ehrlicher &#x017F;ein! Allerdings ... für uns i&#x017F;t unter<lb/>
Um&#x017F;tänden ja gerade das Unnatürliche .. glücklicher-<lb/>
wei&#x017F;e das Natürliche ... das Pikante, das Rei-<lb/>
zende, Anreizende, Schaffende. Ich wenig&#x017F;tens liebe<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Conradi</hi>, Adam Men&#x017F;ch. 10</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0153] Adam verſpürte wirklich Appetit auf eine gute Cigarette. Er bemächtigte ſich der Schachtel, die er leicht fand, und ging zum Sophatiſch zurück. In demſelben Augenblick, wo er den braungelben, kraus- geflockten Tabak über der Lampe anzündete, trat Lydia wieder ins Zimmer. „Mit Ihrer Erlaubniß, gnädige Frau, habe ich alſo ſoeben ... ſoeben Feuer gefangen ...“ „Bravo, Herr Doctor!“ Lydia lächelte, aber etwas gezwungen. Unmuth und Aerger lagen auf ihrem Geſicht. „Wie glücklich ſind doch dieſe Menſchen!“ ließ Frau Lange jetzt verlauten — „Sitzen die beiden, Auguſt und Emma, ſeelenvergnügt in der Küche zuſammen und ſchwatzen ſich tauſend Dummheiten vor ... Alles Andere wird ganz gemüthlich ver- geſſen — die Leutchen ſcheinen rechtſchaffen verliebt ineinander zu ſein ... Geſchmacklos — finden Sie nicht auch, Herr Doctor? Dieſe dumme Plebejer- liebe! ..“ „Geſchmacklos — warum, gnädige Frau? Warum nennen Sie das Natürliche ‚geſchmacklos‘? Und Sie finden doch auch, daß die Menſchen glücklich ſind! Ja! Ich glaube es beinahe auch: glücklicher ſind ſie, als Unſereiner ... Sie dürfen ſo viel un- genirter, ſo viel zwangloſer, unmittelbarer, derber, ehrlicher ſein! Allerdings ... für uns iſt unter Umſtänden ja gerade das Unnatürliche .. glücklicher- weiſe das Natürliche ... das Pikante, das Rei- zende, Anreizende, Schaffende. Ich wenigſtens liebe Conradi, Adam Menſch. 10

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/153
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/153>, abgerufen am 01.05.2024.